Hoffnung für den Jemen

Sanaa. Bild (2009): Ferdinand Reus / CC BY-SA 2.0
Die Kämpfe sind abgeflaut. Nun wird über einen dauerhaften Waffenstillstand verhandelt. Der große Gewinner: China.
Die Auswirkungen des Krieges im Jemen sind extrem. Seit er 2015 ausbrach, sind mindestens 300.000, nach Rechnung verschiedener Menschenrechtsorganisationen sogar bis zu 600.000 Menschen durch die Kämpfe, durch Hunger und Krankheiten ums Leben gekommen; zwischen einem und zwei Prozent der Gesamt-Bevölkerung ist das.
Nach Angaben des Welternährungsprogramms der Uno waren 2022 17,4 Millionen Menschen von akuter Nahrungsmittelknappheit betroffen; 7,3 Millionen davon waren zum Jahresende mangelernährt. Und 161.000 Menschen litten unter Hungersnot (siehe: Jemen: Hunger als Kriegswaffe).
Nun sollen zumindest die Kämpfe vorbei sein, hoffen die Verhandler der Vereinten Nationen, die seit vielen Jahren in Dutzenden Anläufen versucht haben, dieses Krieges zu beenden, jeweils vergeblich.
Auf Feuerpause folgt Waffenruhe
Schon vor einem Jahr begann eine sechsmonatige Feuerpause, die auch so einigermaßen hielt; mehr hatte man bei der Uno auch nicht erwartet, deshalb hatte man die Sache auch nicht "Waffenruhe" oder gar "Waffenstillstand" genannt.
Nun jedoch haben sich die international anerkannte Regierung unter Führung des Präsidialratsvorsitzenden Raschad al-Alimi und die Houthi-Milizen, die den größten Teil des Nord-Jemens um die Hauptstadt Sana‘a kontrollieren, auf eine Waffenruhe geeinigt, wobei das aufseiten der offiziellen Regierung nicht freiwillig geschah.
Die Machtverhältnisse
Denn al-Alimi und der Präsidialrat hinter ihm sind weitestgehend machtlos; ihr Militär kontrolliert nur einen Teil des Landes. Al-Alimi selbst hält sich in der saudischen Hauptstadt Riad auf, wo auch die Ansagen getroffen werden.
Jahrelang hatte eine Militärallianz unter Führung Saudi-Arabien und unter massiver Beteiligung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) die jemenitischen Truppen mit Luftangriffen unterstützt, auch belebte Märkte, Schulen, Krankenhäuser bombardiert.
USA und Großbritannien
Hunderte wurden dabei auf einen Schlag getötet. Unterstützt wurden die Angriffe mit Informationen aus den USA und Großbritannien. Auch die Waffen, die dabei eingesetzt wurden, stammen fast ausschließlich aus Lieferungen westlicher Staaten.
Begründung: Die Houthi würden durch die iranischen Revolutionsgarden militärisch und finanziell unterstützt, müssten zurückgedrängt werden. Denn der Norden des Jemen liegt auch strategisch extrem günstig an jener Meerenge zwischen Indischem Ozean und Rotem Meer, die alle Schiffe auf dem Weg zum Suezkanal und nach Europa passieren müssen.
Doch in den vergangenen Jahren begannen die Houthi damit, Städte und Einrichtungen in Saudi-Arabien und den VAE mit Raketen zu beschießen, während die Kriegskosten für die beiden Staaten immer höher wurden.
Neue Entwicklungen durch China
Saudische Regierungsvertreter sprachen im vergangenen Jahr in Hintergrundgesprächen offen darüber, dass man sich mehr Vermittlungstätigkeit durch die Vereinten Nationen wünsche: ein fundamentaler Wandel in der saudischen Herangehensweise, denn Jahre lang hatte man sich, zusammen mit der US-Regierung, dafür eingesetzt, dass das Jemen-Team der Vereinten Nationen möglichst klein bleibt, und möglichst unterfinanziert.
Nun jedoch ist ein neuer Protagonist aufgetreten: China. In Peking nutzt man die außenpolitische Prioritätensetzung des Westens, die sich momentan fast ausschließlich auf Russland und die Ukraine fokussiert, um an Einfluss im Nahen Osten zu gewinnen.
Milliarden werden in Infrastrukturprojekte in der Region investiert. Und das nutzt man, um zu gestalten: der iranische Präsident Ebrahim Raisi, aufgrund seiner Beteiligung an Massenhinrichtungen während der Islamischen Revolution in den 1980er-Jahren Persona non grata in allen westlichen Ländern, durfte sich mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping treffen, bekam Investitionszusagen.
Und kurz darauf begann das Eis zwischen dem Iran und Saudi-Arabien rasant zu tauen und das auch, weil China in den Golfstaaten sehr großen wirtschaftlichen Einfluss hat, und man in Saudi-Arabien darauf hofft, dass der Lockruf des Geldes die iranische Führung in Bezug auf das Atomprogramm in Schach hält.
Immerhin gehört China zu den Vertragspartnern des Atomabkommens, das dann später von US-Präsident Donald Trump aufgekündigt wurde. Und Erfahrungen aus anderen Ländern, in denen China investiert hat, zeigen, dass Peking daran sehr detaillierte Bedingungen knüpft. Es ist deshalb ausgesprochen wahrscheinlich, dass das auch im Fall Iran so ist.
Diese Entwicklung hat gute und schlechte Seiten. Für die Menschen im Jemen besteht nun wenigstens eine verhaltene Hoffnung auf ein Ende der Gewalt. Im Iran hingegen hat das Engagement der chinesischen Staatsführung dafür gesorgt, dass Raisi gestärkt wurde.
Das Regime ist nun einen Schritt weiter, westliche Sanktionen zu umgehen. Das ermöglicht es Raisi auch, ohne großen Druck von außen gegen die Massenproteste für persönliche Freiheiten und Regimekritiker vorzugehen.
Die Lage im Konflikt
Dabei bedeutet die Waffenruhe im Jemen längst noch keine komplette Lösung des Konflikts. Zunächst einmal kämpfen Houthi-Milizen mit der Regierung um die Kontrolle über den Norden des Landes. Das ist das, was im Allgemeinen als "Jemen-Krieg" bezeichnet wird.
Im Süden des Landes fordert der "Südliche Übergangsrat" (SÜR) allerdings zudem einen eigenen Staat. Mit militärischer Unterstützung aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) wurde man seit 2017 zur militärischen Kraft. Mal kooperiert der SÜR mit der Regierung, mal nicht.
Und dann sind im Hintergrund unzählige Kampfgruppen aktiv, die mal auf der einen, mal der anderen Seite stehen. Der Preis: Geld. Waffen. Außerdem sind Gruppen aus dem Umfeld von al-Qaida und dem "Islamischen Staat" im Land aktiv, haben in den unwegsamen Bergen Unterschlupf gefunden.
Derzeit wird über einen dauerhaften Waffenstillstand verhandelt. Der Uno-Sondergesandte für den Jemen, Hans Grundberg, hofft darauf, dabei den "großen Wurf" zu landen: Einen umfassenden Deal über die politische Zukunft des Jemen.
Doch bei den Verhandlungen sitzen derzeit nur die Houthi, die saudische Führung, die Uno sowie die Regierung des Oman mit am Tisch. Oman hat die Rolle des Vermittlers übernommen. Nicht mit dabei sind die offizielle Regierung, der SÜR und sämtlichen unabhängigen Kampfgruppen. Wie man in dieser Konstellation die Zukunft dieses gespaltenen Landes gestalten will, ist völlig offen.
Aber immerhin: Normalerweise begannen die beiden Seiten mit gegenseitigen Beschuldigungen, sobald sie den Verhandlungsraum verlassen hatten; diesmal ist das anders.
Viele westliche Regierungen scheinen den Jemen-Krieg bereits für beendet erklärt zu haben; das Interesse ist gering.
Und Uno und Hilfsorganisationen befürchten, dass mit einem Kriegsende die Aufmerksamkeit der westlichen Regierungen völlig verschwinden werde. Und damit auch das Geld.
Die humanitäre Lage
Längst kann man nicht mehr alle Notleidenden versorgen, und das liegt nicht, wie oft behauptet, an der Frage der Getreide-Exporte aus der Ukraine, sondern an der Finanzierung.
Im vergangenen Jahr konnte die UNO nur einen Teil der benötigten Gelder einwerben, musste die Hilfe zeitweise ganz eingestellt werden. Nun wurde sogar noch weniger für das laufende Jahr ausgelobt, viel zu wenig, um eine Ausweitung der Hungersnot zu verhindern.
Doch auch andere Auswirkungen werden noch lange zu spüren sein: Der Rote Halbmond meldet, nahezu täglich würden Menschen durch Minen und Streumunition getötet.
Hinzu kommen die Cholera und andere Krankheiten, die wegen der maroden und oft zerstörten Kanalisation immer wieder nach Regenfällen auftreten. Funktionierende Krankenhäuser gibt es in großen Teilen des Landes nicht mehr.
Eine künftige Regierung, wie immer diese aussehen könnte, wäre auch finanziell nicht in der Lage, Nahrungsmittelimporte zu bezahlen, denn die Staatskasse ist leer. 2022 hat die international anerkannte Regierung nach eigenen Angaben so gut wie nichts eingenommen; wie es bei den Houthi und dem SÜR aussieht, ist unbekannt.
Dass es bei der offiziellen Regierung überhaupt weitergeht, liegt daran, dass Saudi-Arabien seit März 2022 ingesamt vier Milliarden US-Dollar in die Zentralbank eingezahlt hat.
Zwar verfügt das Land über Öl- und Gasreserven, aber eine funktionierende Förderinfrastruktur gibt es nur zum Teil. Die Felder stehen also nicht kurzfristig als Einnahmequelle zur Verfügung.