Hollywood ist verrückt geworden
Drei Spider-Männer und fünf Superschurken suchen eine Handlung: Regisseur John Watts inszeniert einen Superheldenfilm, wie es ihn noch nie gegeben hat
Mit nie gekannter Starpower kommt jetzt der neueste Marvel-Superheldenfilm ins Kino: Außer dem derzeitigen Spinnenmann-Darsteller Tom Holland sind in "Spider-Man: No Way Home" auch seine beiden Vorgänger Tobey Maguire und Andrew Garfield als Spider-Men aus Paralleluniversen zu sehen.
Dazu Benedict Cumberbatch als "Doctor Strange" und Zendaya als Freundin Mary Jane "MJ" sowie in weiteren Rollen Jamie Foxx, Willem Dafoe, Alfred Molina und Marisa Tomei. Dieses Staraufgebot soll eine Geschichte tragen, die das Publikum vor allem intellektuell fordert: Es gibt Paralleluniversen und viel Selbstbeschäftigung der Figuren. Das Kino selbst, Spektakel und Humor bleiben dabei allerdings auf der Strecke.
Hypersensibler Junge
Ziemlich am Anfang des Films flieht Spider-Man, also eigentlich Peter Parker, in eine spirituelle Oase. Der Medienhype um ihn ist dem armen hypersensiblen Jungen zu viel, "Wellness" und "Wokeness" sollen sein Leben bestimmen. Und der Hochbegabte möchte sich auf seine MIT-Bewerbung konzentrieren.
Das passt ins Konzept des Marvel-Konzerns, denn Spider-Man ist nicht nur der spießigste, kleinbürgerlichste aller Superhelden, einer, der nicht wie Ironman oder Batman in protzigen Villen wohnt, in schnellen Autos herumfährt und Technik-Gadgets liebt, sondern einer, der eigentlich nichts mehr ersehnt als Normalität und einen Abend vor der Glotze mit Pizza und seiner Freundin MJ - dieser Spider-Man ist überhaupt weniger Superheld als vor allem eine Superfranchise. Und demzufolge muss dies auch eine Geschichte für die ganze Welt werden, die zugleich auch eine Geschichte für alle Generationen sein soll und alle Menschen aller Länder und Kulturen integrieren.
Weil die Welt sich aber zugleich immer weiter ausdifferenziert, muss auch die Figur des Spider-Man sich immer weiter ausdifferenzieren. Ebenso die Figuren der Schurken.
Der intellektuellste aller Superheldenfilme
Das ist der Widerspruch, den die Macher lösen müssen. Und noch nie hat ein Superheldenfilm diese Problematik derart offen reflektiert und dann auf der Leinwand ins Bild gesetzt wie dieser. So ist "Spider-Man: No Way Home" paradoxerweise der intellektuellste aller bisherigen Superheldenfilme und ein typisch "postmodernes" Produkt, in dem Figuren fortwährend über sich selber und ihre Rollen nachdenken, ihre Möglichkeiten zu handeln oder nicht zu handeln in langen Dialogen reflektieren, und in dem vor allem Figuren sich verdoppeln und verdreifachen.
Die Handlung dreht sich auch irgendwie um ein Böses, das besiegt werden soll. Vor allem aber dreht sie sich um Spider-Man selbst und um seine Befindlichkeit.
Nur zwischendurch ist dies mal für kurze Zeit ein richtiger Film mit einer Handlung von A nach B und dann nach C, die von Guten erzählt, die gegen Schurken kämpfen. Und allzu selten ist dies auch ein Film der ungesehenen, wirklich überraschenden Bilder.
Die tollste Szene ist, wenn einmal ein "Multiverse", also mehrere Universen gleichzeitig, geöffnet wird. Ganz kurz fühlt man sich da in einen Christopher-Nolan-Film versetzt, "Inception" zum Beispiel, wenn dann acht Züge parallel zu einer Art rasenden Blüte geformt, im Concorde-Tempo durch die Luft düsen. Aber nur selten kommt es zu solchen Momenten.
Verfall des Narrativen: Unglaublich viel Gequatsche
Ansonsten ist "Spider-Man: No Way Home" dominiert von unglaublich viel Gequatsche und breit getretener Figuren-Befindlichkeit statt von dem ökonomischen Erzählen, das Hollywood einst ausgemacht hat. Der Film könnte leicht eine ganze Stunde kürzer sein als er ist. Es würde ihm guttun. Stattdessen erlebt man hier die Folgen des Serienbooms und der allmählichen Verwandlung des Narrativen, den Verfall der Kunst, Schwerpunkte zu setzen. Es soll alles gesagt werden, alles vorkommen, alles "episch" sein und mit Bombast-Musik untermalt, und statt eines einzigen Endes gibt es eine Handvoll.
Dazu passt dann auch, dass man sich nicht für einen Bösewicht entscheiden wollte und auch nicht für einen Spider-Man, sondern kurzerhand fünf (!) verschiedene Schurken und ungelogen drei (!) Spider-Männer auftreten lässt. Gespielt werden sie außer von dem jetzigen Tom Holland auch von seinen Vorgängern Andrew Garfield und Tobey Macguire.
Man könnte sagen: Ein nostalgisches Wiedersehen, der Marvel-Konzern bietet seinen Fans einfach alles in einem Rundum-Sorglos-Wohlfühlpaket. Man könnte aber auch sagen: Hollywood ist verrückt geworden.
Dieser Peter Parker/Spider-Man will im Film fortwährend die Vergangenheit manipulieren und alle Welt vergessen lassen, was war und wer er ist. Er will fortwährenden Neuanfang und zweite Chancen. Das belegt sein kindisches Gemüt, sein im Grunde pubertäres Wesen: Denn "Spidey" will nicht zu seinen Entscheidungen stehen, er weiß nicht, dass das Leben bedeutet, dass man das Rad nicht zurückdrehen kann. Lieber hofft er auf eine gute Märchenfee, die ihm jeden Wunsch erfüllt. Diese gute Fee heißt hier "Doctor Strange".
Dieser "Dr. Strange", eine weitere Marvel-Figur, gespielt von Benedict Cumberbatch, ist nicht nur "Spideys" Ersatzpapa, sondern überhaupt der einzige Erwachsene dieses Films und die wahre Hauptfigur. So erzählt uns dieser Film einiges den Traum der Menschen, immer wieder von vorn anzufangen, den Traum vom ewigen Neustart und Nullpunkt, von der ewigen Jugend.
Vor allem aber erzählt der Film viel über das Kino von heute. Ein Kino, das in die Krise schlittert, weil es immer stärker schematisiert und normiert ist, weil es sich immer weniger entscheiden will, sondern auch noch den letzten Zuschauer ins Kino locken und es allen recht machen.
Einmal mehr könnten Filme wie diese trotz aller Werbe- und Marketingmillionen aber beweisen: Wer alle kriegen will, kriegt am Ende keinen.