Hybris des Westen: Drei Jahrzehnte Chaos und Niedergang
Seite 2: Die chinesische Rebellion
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Das historische Sanktionsregime gegen Russland hat das Land dabei kaum schädigen können, vielmehr die Integration mit China und die Kooperation innerhalb der Brics-Staaten verstärkt, die sich immer mehr vom Westen absetzen. Und zugleich wurde Europa durch die Sanktionen wirtschaftlich geschädigt, sie haben den Lebensstandard hierzulande einbrechen lassen.
Gegen Beijing wirkt man ebenfalls machtlos. Wenn Brüssel oder Washington mit Sanktionen und Strafen drohen, zuckt man in China mit den Schultern. Dann eben nicht, sagt man sich. Oder man warnt die USA, mit ihren Drohungen aufzuhören und keine "rote Linien" zu übertreten, wie gerade heute geschehen.
Der chinesische Markt ist einfach zu wichtig, zu dominant, als dass der Westen ihn ignorieren oder mit Befehlen dirigieren könnte, wie noch in der Vergangenheit.
Der Verlust von Afrika
In Afrika sieht es nicht besser aus. Nach Staatscoups in der Sahelzone haben der Niger und der Tschad ihre militärische Zusammenarbeit mit den USA aufgekündigt. In Niger müssen die US-Truppen das Land verlassen und die zentrale Drohnenbasis aufgegeben. Auch im Tschad wird Ähnliches passieren.
In Mali und Burkina Faso nach Regierungsstürzen sowie in Äthiopien oder Senegal nach Regierungswechseln ist man dabei, sich neu zu orientieren. Es geht auch um Öl- und Gasverträge. Die alten Kolonialmächte drohen ins Abseits zu geraten.
Die Junta in Niger verkündete diese Woche, dass die staatliche chinesische Ölgesellschaft eine Vorauszahlung von 400 Millionen Dollar für den Kauf von Rohöl aus dem nigrischen Agadem-Feld geleistet habe.
Während Frankreich und die USA aus den Ländern geworfen werden, ziehen Russland (auch russische Militäreinheiten als Ausbilder) und China ein. Das Wall Street Journal schreibt in seinem Leitartikel unverblümt: "In der neuen Ära des Wettbewerbs der Großmächte ist Afrika ein Ort, an dem die USA verlieren".
In Lateinamerika ist das längst geschehen. Die Vereinigten Staaten mussten ihre Militärbasen schon vor längerer Zeit räumen, auch wenn sie versuchen, diesen Trend wieder umzukehren und Marinestützpunkte in den wenigen verbliebenen befreundeten Staaten zu errichten. Auch ökonomisch schlugen die Staaten Lateinamerikas einen von den USA unabhängigen Weg ein und gründeten eigene Handelsorganisationen.
Israelisch-amerikanischer Gaza-Krieg
Und dann ist da der Nahe Osten mit seinen weiter enormen Ressourcen. Der Gaza-Krieg, der fünfte bereits, und die anhaltende eherne Unterstützung Israels durch die USA sowie, wenn auch zunehmend mürrischer, der europäischen Länder, bei dem, was der Internationale Gerichtshof als "plausiblen Völkermord" bezeichnet – fast täglich kommen neue Details von Grausamkeit ans Licht (zuletzt Massengräber und Anzeichen von Folter) –, wirkt wie ein Krisenbeschleuniger beim Niedergang des Westens.
Während in der Ukraine ein fataler direkter Krieg zwischen der Nato und Russland droht, inklusive atomare Bedrohung und der Aussicht auf einen dritten Weltkrieg, könnte der Nahe Osten durch die Eskalation der Netanjahu-Regierung in Brand gesetzt werden. Die militärischen Schlagabtausche zwischen Israel und dem Iran, die Huthi-Angriffe im Jemen, die wechselseitigen Angriffe an der Grenze zum Libanon mit der Hisbollah sind ein ständiges Spiel mit dem Feuer.
Die USA, der Westen, haben in dieser Eskalation nichts zu gewinnen, nur zu verlieren. Die Weltgemeinschaft haben sie längst dabei verloren. Der Globale Süden wendet sich von ihnen ab.
Die ehemalige palästinensische Unterhändlerin Diana Buttu spricht beim Gaza-Krieg von einem "israelisch-amerikanischen Angriff". Das denkt ein Großteil der Welt. Israel mit den USA werden diesen Krieg am Ende nicht gewinnen können, man hat auch gar kein "Endgame" außer endlose Zerstörung, während die Region droht, in Chaos zu versinken.
In einer aktuellen Studie von Amnesty International warnt deren Generalsekretärin Agnès Callamard, dass die offensichtlichen Kriegsverbrechen Israels trotz UN-Resolution und Aufforderung des Weltgerichtshofs seit Monaten weitergehen, mit unausgesetzter Unterstützung der USA und anderer Staaten wie Deutschland. Damit stehe das internationale System und internationales Recht vor dem Zusammenbruch.
Eine zerbrechende Ordnung
Die alte globale, westlich dominierte Ordnung, kodifiziert in Werten und internationalen Regeln, erodiert zunehmend, militärisch, politisch, und auch rechtlich und ethisch. In Europa wächst derweil die Unzufriedenheit und der Frust in den Gesellschaften, der sich in Rechtsentwicklungen und im Aufstieg von rechtsextremen Parteien und politischen Galionsfiguren zeigt.
Der Westen, die politischen Führungen und Eliten, reagieren auf den Kontrollverlust mit mehr Gewalt, Waffen, Eskalation und nach innen mit Repression und Angriffen auf demokratische Rechte, um die "außer Kontrolle geratene" Bevölkerung in die Spur zu bringen. Statt Politikänderung und Dialog gibt es Einschüchterung und Meinungseinschränkungen.
Damit trampelt der Westen gerade auf den Werten, die man vorgibt, überall auf der Welt zu verteidigen. Das sieht die Welt, das sehen die Menschen überall sehr genau. Mit der schwindenden Glaubwürdigkeit drohen die USA und Europa in ihrer eigenen Hybris unterzugehen.
Es liegt an der Zivilbevölkerung, das zu verhindern und die Regierungen dazu zu bringen, die hehren Ideale westlicher Zivilisation nicht nur in Reden zu proklamieren, sondern ihnen auch in Taten zu folgen.