"Ich halte mich daran": Musk lässt abstimmen, ob er Twitter-Chef bleiben soll

Seite 2: Musks Scheinheiligkeit und sein politischer Kulturkampf

Doch nicht nur wirken Musks Vorwürfe, gedoxt zu werden (doxing heißt, im Internet personenbezogene Daten in böser Absicht zu verbreiten), merkwürdig angesichts der Tatsache, dass die Flugdaten öffentlich zugänglich sind und er eine extrem öffentliche, die Öffentlichkeit suchende Person ist.

Sie wirken auch scheinheilig. Während seines Vorgehens gegen Konten, die er als zu kritisch ihm gegenüber befand, postete er ein Video mit dem maskierten Gesicht einer Person und dem Nummernschild seines Autos. Dann fragte er seine 121,6 Millionen Follower, ob sie die Person identifizieren – was der Definition von Doxing entspricht.

Außerdem arbeitet Twitter unter seiner Leitung an einem Plan, der die Nutzer dazu zwingen soll, ihre Standortdaten mit dem Unternehmen zu teilen, was erhebliche Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes aufwirft.

Ocasio-Cortez macht zudem darauf aufmerksam, dass sie selbst Gegenstand gewalttätiger Drohungen und Doxing von denselben rechtsgerichteten Personen und Medien ist, die Musk nach seinem Einstieg bei Twitter befördert hat – Personen, die sehr viel eher bereit sind, Gewalttaten zu verüben als diejenigen auf der Linken. Die progressive Kongress-Abgeordnete fügte hinzu:

Als jemand, der realen und gefährlichen Anschlägen ausgesetzt gewesen ist, kann ich das gut verstehen. Ich habe keinen Sicherheitsdienst und habe viele beängstigende Vorfälle erlebt. In der Tat haben viele der rechten Medien, denen Sie jetzt wieder ein Forum bieten, Fotos von meinem Haus, meinem Auto usw. veröffentlicht. Ab einem gewissen Punkt muss man sich ausklinken.

Nachdem sich viele entrüsteten über die Sperre gegen Journalisten, initiierte Musk Twitter-Umfragen, bei der sich eine Mehrheit gleich zweimal dagegen aussprach, die von ihm gesperrten Journalisten von Twitter zu verbannen. Der Unternehmenschef gab schließlich nach und ließ die Konten wieder freischalten.

Seit Musk die Führung bei Twitter übernommen hat, herrscht Chaos und Willkür im Unternehmen. Er entließ umgehend mehrere Führungskräfte und etwa die Hälfte der Twitter-Mitarbeiter. Dann stellte er den verbleibenden Angestellten ein Ultimatum, entweder "extrem harte" Arbeit zu leisten oder zu gehen. Rund tausend weitere Mitarbeiter verließen das Unternehmen.

Parallel startete Musk eine Art politischen Kulturkampf. Bei den Zwischenwahlen zum US-Kongress unterstützte er ausschließlich Kandidaten der Republikaner. Dann ging er daran, einige der dauerhaft gesperrten Konten auf der Plattform wieder zuzulassen, darunter den Account des ehemaligen Präsidenten Donald Trump und viele Personen, die Fehlinformationen, Verschwörungstheorien oder Hassreden verbreitet haben.

Im Zuge seines Kulturkampfs sind die Followerzahlen von progressiven Politiker:innen in den USA stark zurückgegangen, während die von rechten, verschwörungstheoretischen Republikaner:innen wie Marjorie Taylor oder Ted Cruz in die Höhe schossen. Die Nutzung von Twitter hat in wenigen Wochen einen deutlichen Rechtsdrall erlebt: Progressive haben sich von der Plattform verabschiedet, Rechte werden angezogen.

Auch geschäftlich hat es Musk in kurzer Zeit geschafft, einen Scherbenhaufen zu hinterlassen. Einige große Werbekunden haben Twitter den Rücken gekehrt, weil sie einen Imageschaden befürchten. Musk reagierte daraufhin mit der Einführung eines Bezahl-Abos, um dem Einnahme-Schwund zu begegnen. Das verunsicherte zusätzlich und endete zudem als Rohrkrepierer.

Vielleicht wird Musk am Nachmittag schon von seinem Twitter-Thron geschubst. Oder besser: Er schubst sich selber.