"Ich halte mich daran": Musk lässt abstimmen, ob er Twitter-Chef bleiben soll

Elon Musk lässt über seine Zukunft als Twitter-Chef auf der Plattform abstimmen. Bild: Screenshot

Die Umfrage auf der Social-Media-Plattform ist beendet. Resultat: Die Mehrheit will Musk nicht mehr an der Spitze. Der Multimilliardär hat seit der Übernahme Journalisten verbannt und rechte Republikaner hofiert.

Elon Musk, seit kurzem Eigentümer und Vorstandsvorsitzender von Twitter, hat am Sonntagabend auf der Social-Media-Plattform eine Umfrage gestartet, in der die Nutzer darüber abstimmen können, ob er als Chef des Unternehmens zurücktreten soll oder nicht.

Ich werde mich an die Ergebnisse dieser Umfrage halten,

… sagte Musk.

Mehr als vier Millionen Konten hatten innerhalb der ersten Stunde auf die Umfrage geantwortet. Schon am Abend wurde ein Zwischenergebnis bekannt gegeben. Danach sprachen sich 58 Prozent für seinen Rücktritt und 42 Prozent für einen Verbleib im Unternehmen aus. Nach neun Stunden haben bereits 15 Millionen User ihr Votum abgegeben: 57 stimmten für den Rücktritt, 43 Prozent lehnen das ab. Dann kam am Mittag das amtliche Endergebnis: 57,5 Prozent sind für den Rücktritt und 42,5 Prozent dagegen.

Die Umfrage hat nicht nur Millionen von Accounts dazu veranlasst, auf die Frage zu antworten, sondern auch Diskussionen über Musks Absichten und Spekulationen über die Zukunft der Plattform ausgelöst.

Sollte Musk tatsächlich nach der Umfrage als CEO zurücktreten, ist unklar, wen er als Nachfolger auswählen würde.

Nach der Veröffentlichung der Nutzerumfrage twitterte er:

Wie das Sprichwort sagt, sei vorsichtig, was du dir wünschst, denn du könntest es bekommen.

Seit Musk Ende Oktober die Leitung des Unternehmens übernommen hat, kommt die Twitter-Plattform nicht mehr zur Ruhe.

Noch am Sonntagmorgen verbannte der Multimilliardär die bekannte US-Journalistin Taylor Lorenz. Ihr Konto wurde gesperrt. Lorenz arbeitet als Tech-Reporterin für die Washington Post. Sie hatte 340.000 Follower. Kurz vor ihrer Verbannung hatte sie Musk im Zuge von Recherchen angeschrieben.

Der Unternehmer hatte letzte Woche bereits die Accounts von mehreren bekannten Journalisten gesperrt, darunter Drew Harwell von der Washington Post, Micah Lee von The Intercept, Ryan Mac von The New York Times und Matt Binde von Mashable. Der Vorwurf: Sie hätte die Flugdaten von Elon Musk veröffentlicht. Musk twitterte darauf hin:

Es ist völlig in Ordnung, mich den ganzen Tag lang zu kritisieren, aber meinen Echtzeit-Standort zu veröffentlichen und meine Familie zu gefährden, ist es nicht.

Die Journalisten hatten auf die Website eines Musk-Fans hingewiesen. Seit einiger Zeit listet dieser die Flüge seines Idols, die er mit seinem Privatjet tätigt, auf. Die Journalisten hatten selbst keine Daten mitgeteilt. Zudem sind alle Flugdaten – selbst die von Privatflugzeugen – als öffentliches Gut für jeden zu jeder Zeit einsehbar.

"Sie sind eine öffentliche Person. Eine äußerst umstrittene und mächtige", twitterte die demokratische Abgeordnete im US-Kongress Alexandria Ocasio-Cortez vom Bundesstaat New York. Sie antwortete damit auf Musks Behauptung, "Morddrohungen" erhalten zu haben – ohne allerdings Beweise vorzulegen.

Ich verstehe, dass Sie sich unsicher fühlen, aber wenn Sie Ihre Macht missbrauchen und Journalisten verbannen, wird die Intensität um Sie herum nur noch größer.

Ocasio-Cortex riet Musk: Er solle zum Telefon greifen und mit den Leuten reden, statt Accounts zu sperren.

Musks Scheinheiligkeit und sein politischer Kulturkampf

Doch nicht nur wirken Musks Vorwürfe, gedoxt zu werden (doxing heißt, im Internet personenbezogene Daten in böser Absicht zu verbreiten), merkwürdig angesichts der Tatsache, dass die Flugdaten öffentlich zugänglich sind und er eine extrem öffentliche, die Öffentlichkeit suchende Person ist.

Sie wirken auch scheinheilig. Während seines Vorgehens gegen Konten, die er als zu kritisch ihm gegenüber befand, postete er ein Video mit dem maskierten Gesicht einer Person und dem Nummernschild seines Autos. Dann fragte er seine 121,6 Millionen Follower, ob sie die Person identifizieren – was der Definition von Doxing entspricht.

Außerdem arbeitet Twitter unter seiner Leitung an einem Plan, der die Nutzer dazu zwingen soll, ihre Standortdaten mit dem Unternehmen zu teilen, was erhebliche Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes aufwirft.

Ocasio-Cortez macht zudem darauf aufmerksam, dass sie selbst Gegenstand gewalttätiger Drohungen und Doxing von denselben rechtsgerichteten Personen und Medien ist, die Musk nach seinem Einstieg bei Twitter befördert hat – Personen, die sehr viel eher bereit sind, Gewalttaten zu verüben als diejenigen auf der Linken. Die progressive Kongress-Abgeordnete fügte hinzu:

Als jemand, der realen und gefährlichen Anschlägen ausgesetzt gewesen ist, kann ich das gut verstehen. Ich habe keinen Sicherheitsdienst und habe viele beängstigende Vorfälle erlebt. In der Tat haben viele der rechten Medien, denen Sie jetzt wieder ein Forum bieten, Fotos von meinem Haus, meinem Auto usw. veröffentlicht. Ab einem gewissen Punkt muss man sich ausklinken.

Nachdem sich viele entrüsteten über die Sperre gegen Journalisten, initiierte Musk Twitter-Umfragen, bei der sich eine Mehrheit gleich zweimal dagegen aussprach, die von ihm gesperrten Journalisten von Twitter zu verbannen. Der Unternehmenschef gab schließlich nach und ließ die Konten wieder freischalten.

Seit Musk die Führung bei Twitter übernommen hat, herrscht Chaos und Willkür im Unternehmen. Er entließ umgehend mehrere Führungskräfte und etwa die Hälfte der Twitter-Mitarbeiter. Dann stellte er den verbleibenden Angestellten ein Ultimatum, entweder "extrem harte" Arbeit zu leisten oder zu gehen. Rund tausend weitere Mitarbeiter verließen das Unternehmen.

Parallel startete Musk eine Art politischen Kulturkampf. Bei den Zwischenwahlen zum US-Kongress unterstützte er ausschließlich Kandidaten der Republikaner. Dann ging er daran, einige der dauerhaft gesperrten Konten auf der Plattform wieder zuzulassen, darunter den Account des ehemaligen Präsidenten Donald Trump und viele Personen, die Fehlinformationen, Verschwörungstheorien oder Hassreden verbreitet haben.

Im Zuge seines Kulturkampfs sind die Followerzahlen von progressiven Politiker:innen in den USA stark zurückgegangen, während die von rechten, verschwörungstheoretischen Republikaner:innen wie Marjorie Taylor oder Ted Cruz in die Höhe schossen. Die Nutzung von Twitter hat in wenigen Wochen einen deutlichen Rechtsdrall erlebt: Progressive haben sich von der Plattform verabschiedet, Rechte werden angezogen.

Auch geschäftlich hat es Musk in kurzer Zeit geschafft, einen Scherbenhaufen zu hinterlassen. Einige große Werbekunden haben Twitter den Rücken gekehrt, weil sie einen Imageschaden befürchten. Musk reagierte daraufhin mit der Einführung eines Bezahl-Abos, um dem Einnahme-Schwund zu begegnen. Das verunsicherte zusätzlich und endete zudem als Rohrkrepierer.

Vielleicht wird Musk am Nachmittag schon von seinem Twitter-Thron geschubst. Oder besser: Er schubst sich selber.