"Ich hatte nie die Absicht, die Welt zu verändern. Ich wollte Probleme andeuten."
Herbert W. Franke über das Science-Fiction-Genre zwischen Wissenschaft und Kunst, das Erstarken von Fantasy und Mainstream sowie notwendige Lernprozesse
In der Frühzeit von Telepolis schrieb der aus Österreich stammende Science-Fiction-Autor Herbert W. Franke rege mit. Verschiedene Essays zu Fragen der Künstlichen Intelligenz, Kybernetik oder Mars-Höhlen erschienen Mitte der Neunzigerjahre bei dem damals neu gestarteten Medium.
Seit einigen Jahren erscheint im Verlag p.machinery eine Werkausgabe von Frankes Romanen, Kurzgeschichten und Schriften. Es lohnt sich, die Werke des Altmeisters der deutschsprachigen Science-Fiction-Literatur wiederzuentdecken. Mehrere heute aktuellen Themen finden sich bereits in den 60er- und 70er-Jahren in Frankes Werk. Darunter etwa das Thema simulierter Wirklichkeiten.
Hier findet sich eine große Schnittstelle zwischen dem Literaten und dem Bildenden Künstler, die Franke auch zu einem Vordenker des Metaverse machten. Vor kurzem wurde seine große Ausstellung "Visionär" im Museum Francisco Carolinum eröffnet, in der ihm ein eigener Raum gewidmet wurde. Auch im fortgeschrittenen Alter bleibt der Science-Fiction-Autor und Wissenschaftler interessiert und gibt in einem ausführlichen Interview Einblick in sein Schaffen.
Wie sind Sie zur Science Fiction gekommen?
Herbert W. Franke: Mein Vater, der Elektroingenieur war, hat sich als Hobby gern mit Astronomie beschäftigt. Er hatte eine Zeitschrift – Sterne und Weltraum – abonniert. Eines Tages kam er mit einem dieser Hefte auf mich zu und meinte: In dieser Zeitschrift kann man einen Fortsetzungsroman lesen. Ich könnte mir denken, dass dich das interessiert. Er drückte mir dann dieses Heft in die Hand. Mit seiner Vermutung hatte er recht gehabt.
Zwischen den beiden Weltkriegen hatte die fantastische Literatur eine Blütezeit, bevor der Faschismus einen Großteil verbot. Wie war das in der Nachkriegszeit, als Sie zu schreiben begannen?
Herbert W. Franke: Ich war der Erste, der nach dem Krieg Science Fiction im deutschsprachigen Raum geschrieben hat, wobei dies ein Zufall war. Ich war wissenschaftlicher Berater bei Goldmann, schon 1960, als die Serie mit einer ersten Staffel aus der Taufe gehoben wurde. Sie bestand aus acht Büchern. Goldmann hatte aber Probleme mit einem dieser Bücher, die alle aus Amerika stammten. Die Verhandlungen zogen sich so lange hin, dass sie kurz vor Drucklegung der Bücher gescheitert sind.
Herr Goldmann kam dann auf mich zu und meinte: "Sie haben mir doch erzählt, dass Sie auch schon SF-Geschichten geschrieben haben." Denn ich hatte bereits in der Studentenzeit einige utopische Kurzgeschichten geschrieben. In drei Wochen müsste das Buch fertig sein. Doch mit diesen drei Kurzgeschichten – Superkurzgeschichten, die bald mein Markenzeichen wurden, wäre ich natürlich nicht weit gekommen.
Doch Herr Goldmann ließ diesen Einwand nicht gelten. Er meinte stattdessen zu mir: "Sie sind doch ein junger Autor! Sie wollen doch etwas erreichen! Das werden Sie sich doch nicht entgehen lassen!" Er sollte Recht behalten. Das habe ich dann gemacht. Da ich die Kurzgeschichten schon hatte, bin ich in diesem Stil geblieben.
Hat das auch Ihren Stil weiter beeinflusst, weil die Romane solch eine präzise Sprache hatten?
Herbert W. Franke: Präzise ist richtig, und auch nüchtern. Einige Zeit ist das kritisch angemerkt worden. Das ist einfach meine Art, Kunst und Literatur zu verstehen. Die Sprache soll nicht zum Selbstzweck werden. Sie dient der Kommunikation und um etwas zu vermitteln. Sie muss einfach und klar sein, so wie meine Geschichten einfach und klar sind.
Aber trotzdem können sie spannend und aufregend sein, also das haben, was man sense of wonder nennt. Die Sprache muss aus meiner Sicht dem Sujet angepasst nüchtern sein. Das ist die technoide Welt, in der wir leben und so ist auch meine Sprache.
Sicher ist die Science Fiction stark von der angloamerikanischen Tradition geprägt. Aber denken Sie, Herr Franke, dass sich in all den Jahrzehnten auch genuin Themen des deutschsprachigen Raumes entwickelt haben?
Herbert W. Franke: Also, als ich zu schreiben begann, war ich kaum von der amerikanischen Literatur beeinflusst. Das kam erst später. Zum einen bin ich von der klassischen deutschen Science Fiction à la Hans Dominik, andererseits aber auch von der Fantastik beeinflusst. Mit Fantastik meine ich Kafka und Co., also die Prager Fantasten.
Ich bin mit dieser Literatur in einer Zeit zusammengekommen, wo es eigentlich verboten war, diese zu lesen. Ich ging mit meiner Mutter zu einem bestimmten Bibliothekar, der mir Nachschub lieferte. Er öffnete dann die hinteren Reihen und hat mir die Fantasten gereicht. Leo Perutz war ein ganz besonderer Liebling von mir. Bei Perutz schätze ich seine Mischung aus Fantastik und logischer Kombinationsgabe.
Das sind für mich wichtige zwei Punkte: Das Fantastische der Fantasten einerseits, aber mit einer rationalen Erklärung wie in der deutschen Zukunftsliteratur. Das war das, was ich machen wollte. Die Amerikaner haben das ohnehin schon gemacht.
Ich denke, dass bei Ihnen nicht allein eine technizistische Sprache auftaucht, sondern eine weit umfassendere. Sie interessieren sich in Ihren Geschichten fast immer auch für das Innenleben der Charaktere zum Beispiel.
Herbert W. Franke: Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich am Beginn meiner schriftstellerischen Laufbahn noch nicht so viel über Kunsttheorie und die optimale Vermittlung von Inhalten nachgedacht habe. Mich interessierte zuerst einmal das Abenteuer, das damit ausgedrückt werden konnte. Bei den Geschichten, die ich geschrieben habe, ist ein Problem aufgetreten. Das Fantastische habe ich aber auch erklärt – so, wie ich mir die Science Fiction wünschen würde, habe ich sie geschrieben.
Es war eigentlich keine sprachintellektuelle Auseinandersetzung. Ende der Sechziger habe ich mich dann sehr intensiv mit Kunsttheorien beschäftigt. Da habe ich das natürlich reflektiert. Es gibt ein Thema, das schon sehr europäisch-deutsch ist: Ich habe den Krieg noch miterlebt, wir sind ins Deutsche Reich geholt worden. Ich war im letzten Jahr des Kriegs auch noch selbst für Deutschland aktiv.
Mich hat daher immer schon sehr das Thema des Überwachungsstaates beschäftigt. Ich sah dann, dass mit den Neuen Technologien, wie Computer und Ähnliches, das alles noch perfektioniert werden konnte. Insofern kann man das als ein Leitmotiv bezeichnen, das in vielen meiner Bücher auftaucht. Die Auseinandersetzung des Einzelnen mit dem Staat, mit der Macht des Staates. Das sind Dinge, die bei mir immer wieder auftauchen.
Früh haben Sie auch ökologische Probleme aufgegriffen, was sich momentan zu einem Dauerbrenner-Thema entwickelt hat. Wie haben Sie diese Umweltfragen damals in Ihren Texten entwickelt?
Herbert W. Franke: Ich hatte nie die Absicht, die Welt zu verändern oder zu verbessern. Es war mir darum zu tun, Probleme anzudeuten, die durch neue Technologien entstehen, aber auch gelöst werden könnten. Hierbei kommt es zu Missverständnissen. Das ergibt dann den Stoff der Geschichte.
Ich habe immer dafür plädiert, dass der Science-Fiction-Autor eine hohe Verantwortung hat, weil viele junge Menschen über diese Literatur ihr Zukunftsbild gestaltet bekommen. Gleichzeitig sage ich aber, dass die Zukunft nicht vorhersehbar ist. Wir können aber in der SF-Literatur Modelle entwickeln, um auf die möglichen Gefahren hinzuweisen. Das kann Literatur: Modellhaft Probleme aufwerfen, über die man nachdenken, die man bewusst analysieren sollte und dann entscheiden, ob man sie ohnehin lösen möchte.
Es gibt auch keine einheitliche Meinung dazu, was richtig und was falsch ist. Insofern ist es nicht so sehr der Zeigefinger des Autors, sondern es ist mehr das Offenlegen einer Problematik, damit die Leser zum Nachdenken angeregt werden.
Bei jeder Lesung und jedem Vortrag ist danach jemand zu mir gekommen, der mir sagte: Sie haben mich zum Studium der Physik oder zur Computertechnik gebracht. Das ist für mich eigentlich das größte Lob. Jugendliche auf ihrem Weg in die Zukunft begleiten zu können, so dass diese schließlich einen eigenen Beitrag zu dieser Zukunft leisten.
Wie steht es um die Generationen? Es gibt sicher alteingesessene Franke-Leser, die Sie seit den Siebzigern begleiten. Aber mischt sich das inzwischen auch?
Herbert W. Franke: Die klassische Science Fiction gibt es ja heute nicht mehr. Sie hatte zwanzig bis dreißig Jahre bis in die Neunzigerjahre, aber dann ist die Science Fiction entweder mehr in den Mainstream gegangen oder mehr in die Fantasy abgedriftet. Ich kann mir vorstellen, dass es den jungen Lesern vielleicht zu wenig fantasylastig ist. Zu nüchtern.
Sie sind natürlich auch durch Fernsehen, Medien und Film in eine ganz andere Richtung erzogen. Sie goutieren meine Art der Literatur wahrscheinlich nicht so sehr.
Hat die Science Fiction eine solch gesellschaftsbildende Rolle immer noch inne?
Herbert W. Franke: Diese Frage kann ich Ihnen einfach nicht beantworten, da ich viel zu wenig moderne Science Fiction lese, um dazu eine qualifizierte Antwort zu geben.
Welchen Inhalt nimmt die Science-Fiction-Literatur denn auf?
Herbert W. Franke: Der Hauptkonflikt in der Science Fiction liegt zwischen den Menschen und der Gesellschaft auf der einen Seite sowie Naturwissenschaft und Technologien auf der anderen Seite. Es geht vor allem um diese Wechselwirkungen, nicht um Zwischenmenschliches wie Liebe und Hass oder Vergleichbares.
Dies kann ein Teil der Spannungsaufladung sein, aber es ist nicht das Zentrum der Science Fiction. Erst die Science Fiction hat das thematisiert, was unsere moderne Gesellschaft ausmacht: die Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlich-technischen Themen. Genau das ist das Spezifikum, das es vorher in der Literatur nicht gab.
Was hat Sie als Herausgeber von Science Fiction besonders interessiert?
Herbert W. Franke: Welchen Einfluss übt die Geschichte aus? Ist sie spannend, bereitet sie Vergnügen, sich mit diesem Thema zu beschäftigen oder ist da jemand, der mir etwas belehrend beibringen will? Das gefällt mir weniger. Ich finde es gelungen, wenn in der Problematik auch menschliche Willensbekundungen untergebracht werden, wenn Probleme bei der Entwicklung von technischen Lösungen auftreten.
Wichtig war auch, dass sich die Handlungen auf dem wissenschaftlichen Möglichen aufbauen. Bei Zeitreisen in die Zukunft hatte ein Autor bei mir schlicht keine Chance gehabt. Was mit den naturwissenschaftlichen Gesetzen nie möglich sein wird, ergibt keinen Sinn, darüber nachzudenken.
Da kommt wieder der Ansatz durch, dass es dem Lesenden auch etwas bringen soll. Die Leser sollen sich mit etwas auseinandersetzen, was für die Zukunft relevant ist. Ich war Physiker und hätte daher nie Sachen für eine Geschichte genommen, die nicht umsetzbar gewesen oder den Naturgesetzen widersprochen hätte.
Wie steht es um die Frage, wie wahrscheinlich eine Technologie in der Zukunft möglich wäre?
Herbert W. Franke: Das war für mich nicht so entscheidend, weil sich Dinge in der Zukunft ja durchaus verändern können. Dinge, die zunächst als nicht so wichtig erschienen, plötzlich wichtiger werden. Es wurde zu Anfang von Hardcore-Weltraum-SF-Lesern beklagt, dass ich so viele andere Themen mache.
Über Künstliche Intelligenzen und solchen Kram, den keinen Menschen wirklich interessiert. Oder gar Geschichten über Umwelt. Warum keine Begegnungen mit Außerirdischen? Diese alternativen Themen waren damals noch nicht so virulent, aber trotzdem habe ich mich damit beschäftigt, das heißt, diese Freiheit muss ein Autor schon haben, auch wenn er nicht weiß, ob solche Themen einmal wirklich wichtig werden.
Das ist nicht das Auswahlkriterium. Wenn Sie meinen Roman Das Zentrum der Milchstraße anschauen, was übrigens der Lieblingsroman meiner Frau ist: Das ist sicher keine Geschichte, die sehr nah am Realen dran ist, aber sie befasst sich mit den großen philosophischen Menschheitsfragen.
Sie haben sich auch viel mit Simulationen und Simulationsprozessen beschäftigt. Vor allem, was die Kunst betrifft. Interessiert Sie das auch bezüglich der Politik und Gesellschaften?
Herbert W. Franke: Das Thema hängt viel mit Macht und Kontrolle zusammen. Simulation ist häufig ein Mittel in meinen Geschichten, um Kontrolle auszuüben über den, der in der Simulation sitzt oder vielleicht noch nicht einmal weiß, ob er in einer Simulation sitzt. Das sind Machtmechanismen, die mich schon immer interessiert haben.
Auch für Ihre Computerkunst wechseln Sie zwischen Zufall und Muster, wie man in Ihrer Ausstellung "Visionär" im Francisco Carolinum in Linz sehen kann, die Ihr Lebenswerk zwischen Wissenschaft und Kunst anlässlich Ihres 95. Geburtstages ehrt. Wie läuft das da genau ab, wenn Kunstwerke entstehen, wie sie dort zu sehen sind?
Herbert W. Franke: Zufall und Analyse, das sind die zwei Begriffe, die ich in meinen Werken zusammenbringe. Wobei ich den analytischen Teil beim Künstler sehe, die Erzeugung von Zufall jedoch bei der Maschine. Sie kann durch Würfeln Kreativität erzeugen, die mir womöglich gar nicht in den Sinn gekommen wäre. So ist für mich der Computer eigentlich mehr als ein Werkzeug, er ist ein Partner, den ich im Prozess der Kunstentstehung einsetze.
Wie steht dann Ihre Literatur dazu?
Herbert W. Franke: Ich habe mich in den Sechziger- und Siebzigerjahren, wie schon erwähnt, intensiv mit Theorien der Kunst beschäftigt. Was Kunst überhaupt ist, wie sie zustande kommt, wie der Künstler Kunst produzieren kann einerseits, warum andererseits Kunst nicht absolut ist, sondern Kunst immer vom Betrachter abhängt, weil der Leser eben sein eigenes Hirn hat, von dessen Umwelt geprägt ist, daher die Wirkung eine andere ist.
Ich bin überzeugt, dass es das absolute Kunstwerk nicht gibt. Man kann natürlich sagen, dass es Kunst ist, die jedem zuspricht. Auf der anderen Seite kann es in der Rezeption kein absolutes Kunstwerk geben, weil wir Menschen nicht alle identisch sind. Weil wir alle von Umwelteinflüssen geprägt sind, die individuell eben ganz unterschiedlich sind. Vorwissen und Erfahrungen sind unterschiedlich. Mit diesem Vorwissen betrachten wir ein Kunstwerk.
Es kann mal naheliegender sein, gerade so, dass es das Optimum ist, dann ist es das, was wir als Kunst empfinden oder es kann so abwegig und grenzwertig sein, dass wir sagen: Das ist chaotisch. Da verstehe ich gar nichts, weil mir dazu das nötige Vorwissen fehlt. Das ist eine Betrachtung, die von der einzelnen Kunstgattung unabhängig ist, weil es eine sehr abstrakte Betrachtung ist.
Welche Rolle hat denn Kunst? Sie hat eine Bedeutung in der Gesellschaft, weil sie die Sinne schärft, wie man das früher formuliert hätte. Es geht darum, Lernprozesse auszulösen. Es geht darum, den einzelnen weiterzubringen.
Wenn jemand lernt, mit Strukturen umzugehen, auch viele Modelle der Zukunft gelesen hat und sagt: Das habe ich doch schon einmal gelesen, da könnte diese Gefahr lauern oder da müssen wir aufpassen, dass wir das Richtige tun. Das sind alles Aspekte, die darunterfallen. Es sollten Lernprozesse stimuliert werden, das ist die Aufgabe der Kunst.
Dadurch wird die Literatur auch wissenschaftlich.
Herbert W. Franke: Für mich war es immer wichtig, mit dem Verstand eines Naturwissenschaftlers die eigene Kunst zu betrachten. Das war für mich immer die Grundlage, gute Kunst zu machen.
Kann die SF-Literatur selbst Wissenschaft sein, also durch ihre Szenarien Erkenntnisse generieren?
Herbert W. Franke: Es kommt etwas darauf an, wie die Aussage gemeint ist. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse direkt zu generieren, ist aus meiner Sicht jedenfalls keine Kernaufgabe der Science Fiction. Sie arbeitet ja mit konventioneller Sprache, nicht mit der abstrakten Sprache der Mathematik, die man wohl schon braucht, um neue Erkenntnisse jedenfalls in der Naturwissenschaft zu generieren.
Ich glaube, neue wissenschaftliche Erkenntnis zu liefern, ist schwierig für Literatur. Aber, wovon ich überzeugt bin: Science Fiction steht indirekt am Beginn neuer Erkenntnisse, wenn Menschen durch die Lektüre angeregt werden, Ideen für neue Fragestellungen zu entwickeln und nach Erkenntnissen oder neuen Problemlösungen in der Wissenschaft zu suchen. Gute Science Fiction, also jedenfalls wie ich sie sehe, leistet genau das.