Friede dem Bundeskanzler
Und den etablierten Parteien ein Wohlgefallen. Wie ehemalige Regierungskräfte ihre Pfründe zu sichern versuchen. Und warum das fragwürdig ist.
Manchmal – und nicht nur zu Weihnachten – ist die SPD schnell mit ihren Wünschen. Erst vergangenen Woche forderte sie ein Fairnessabkommen aller im Parlament vertretenen Parteien außer der AfD. Erklärtes Ziel war es, "Fakenews und Hetze einen Riegel vorzuschieben".
Noch vor Weihnachten unterzeichneten SPD, CDU, CSU, Grüne, FDP und Linke ein solches Abkommen, in dem sie sich verpflichten, im Wahlkampf respektvoll miteinander umzugehen, auf persönliche Verunglimpfungen und Desinformation zu verzichten und stattdessen mit Argumenten in den Wahlkampf zu ziehen.
BSW lehnt Unterzeichnung ab
Nun wird keine Partei mehr das Gegenteil von sich behaupten, auch nicht das Bündnis Sahra Wagenknecht, das im Gegensatz zur AfD eingeladen war, die Vereinbarung mit zu unterzeichnen, dies aber ablehnte.
BSW-Pressesprecher Christian Leye begründete die Abstinenz unter anderem mit der Nichteinladung der AfD. Vor allem aber kritisierte er, dass auch seine Partei mit falschen Behauptungen angegriffen werde.
"Noch während der Verhandlungen über ein Fairnessabkommen, an denen auch die Union beteiligt war, hat CSU-Chef Markus Söder getwittert, unsere Partei werde von Moskau aus gesteuert – deutlicher kann man die Doppelmoral nicht auf den Punkt bringen", wird Leye von NTV zitiert.
Nützt es den Linken, dass sie mit unterschrieben haben?
Die Linkspartei hingegen gehörte zu den Unterzeichnern, was aus zwei Gründen überrascht. Schließlich gilt nach wie vor der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU/CSU, der eine Zusammenarbeit mit der Linken ausschließt.
Trotzdem haben deren Abgeordnete in den Landtagen von Thüringen und Sachsen in den letzten Wochen durch ihre Zustimmung eine CDU-geführte Landesregierung möglich gemacht. Man wolle verhindern, dass die AfD von einer instabilen Situation profitiere, lautete die Begründung. Diese staatstragende Haltung wurde auch von linksliberalen Kommentatoren kritisiert.
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"Sie hat damit einem Regierungschef zur Macht verholfen, der selbst für CDU-Verhältnisse ziemlich weit rechts steht, ohne wirklich etwas zu gewinnen. So verliert die Partei an Glaubwürdigkeit, auch für die Bundestagswahl", meint Luisa Faust in der taz.
So bleibt schon die Frage, ob Union und FDP die Linke zu einem solchen Fairnessabkommen eingeladen haben, weil sie davon ausgehen, dass sie im nächsten Bundestag nicht mehr vertreten sein wird, derzeit aber noch in einigen Landtagen als Mehrheitsbeschafferin gebraucht wird.
Zudem ist die Linke in den letzten Jahren immer wieder massiv angegriffen worden und das wird sich auch nicht ändern, wenn ihre Kandidaten wie Ferat Kocak in Berlin-Neukölln die Rechtsentwicklung nicht nur der AfD, sondern auch den anderen Parteien zuschreiben.
Ab wann wird eine politische Position zu Desinformation und Fakenews?
Schließlich ist ein weiteres zentrales Ziel des Fairnessabkommens, "irreführende Formulierungen" zu vermeiden, "die demokratische Parteien der rechten Mitte fälschlicherweise mit rechtsextremen Parteien gleichsetzen könnten", wie das juristische Fachportal Legal Tribune Online schreibt.
Hier wird auch deutlich, wie unbestimmt und auslegungsbedürftig das Fairnessabkommen ist. Ist es schon Desinformation und Fakenews, wenn Politiker darauf hinweisen, dass viele Positionen der AfD nicht nur in der Flüchtlingsfrage vor über 20 Jahren noch von der Union vertreten wurden und dabei auf deren Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft vor 25 Jahren verweisen?
Ist es nicht auch unfair, Vorschläge für mehr Diplomatie als Putin-Propaganda zu bezeichnen?
Und warum wird dann nicht gefordert, auch im Wahlkampf irreführende Formulierungen zu vermeiden, die Positionen für diplomatische Lösungen im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine als von Putin gesteuert diffamieren?
Solche Vorwürfe richten Anton Hofreiter, Agnes Strack Zimmermann und Roderich Kiesewetter nicht nur an Politiker der Linken und des BSW, sondern auch der SPD. Was im Fairnessabkommen zur Sprache kommt und was nicht, ist eben eine Frage der politischen Kräfteverhältnisse und unterliegt wie die Begriffe Desinformation und Fakenews oft keiner wissenschaftlich eindeutig bestimmbaren Definition.
Zudem bleibt die Frage, wie viele potenzielle Wähler sich für ein solches Abkommen interessieren und es sogar für so wichtig halten, dass sie es mit einer Wahlentscheidung verknüpfen. Zumindest die AfD profitiert davon, dass diese Frage gar nicht erst gestellt wurde.
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Schließlich basiert ihr ganzer Wahlkampf auf dem Narrativ, dass sie allein gegen einen Block der anderen Parteien kämpft. Dass in den Bundestagsdebatten vor der Weihnachtspause diverse AfD-Redner die Unionsabgeordneten immer wieder aufforderten, doch jetzt gemeinsam mit ihnen Gesetze zur Verschärfung der Zuwanderung, zur Abschaffung von Umweltauflagen etc. durch das Parlament zu bringen, wird dagegen von vielen ihrer Wähler nicht weiter beachtet.
Auch für die BSW dürfte sich die Taktik, dieses Abkommen nicht unterzeichnet zu haben, auszahlen. Gerade einer jungen Partei kann es Stimmen kosten, wenn sie so schnell schon zu den Etablierten gezählt wird. Das sollten zumindest die Grünen wissen, die schon in der Gründungsphase dabei waren. Noch Ende der 1980er Jahre wäre ein solcher Vertrag von der grünen Basis mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Denn damals gehörte es noch zum Markenkern der Grünen, anders zu sein als die anderen.