Vom Medienliebling zum Prügelknaben: Muss Robert Habeck Deutschland retten?

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Eine Petition mit über 200.000 Unterschriften fordert den Politiker zum Rückzug vom Rückzug auf. Warum Deutschland Habeck vermissen wird. Kommentar.
Lieber Robert, ... Du bist für viele ein Hoffnungsträger. Und Hoffnungsträger dürfen nicht gehen, wenn sie am meisten gebraucht werden, sondern müssen Führung und Verantwortung übernehmen.
Offener Brief
Eine Petition fordert Grünen-Spitzenpolitiker Robert Habeck zum Rückzug vom Rückzug auf und erreicht in knapp zwei Tagen schon über 220.000 Unterschriften, wie die Petitionsplattform von Campact, We act, heute Vormittag (10 Uhr) meldet.
Habecks Rückzug trotz zweitbestem Ergebnis
Nach Lage der Dinge können die Grünen mit dem Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag eigentlich zufrieden sein. Im Gegensatz zu den anderen Partnern der Ampelkoalition wurden sie vergleichsweise milde vom Wähler beurteilt.
Während die SPD ihr schlechtestes Wahlergebnis seit dem 19. Jahrhundert einfuhr, und die FDP mit nur 4,3 Prozent aus dem Bundestag direkt ins politische Nirvana entschwand, erzielten die Grünen mit 11,6 Prozent ihr zweitbestes Wahlergebnis aller Bundestagswahlen, seitdem sie 1980 erstmals antraten.
Trotzdem zog sich der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck am Tag darauf enttäuscht und etwas beleidigt fürs Erste aus der Politik zurück und kündigte an, in Zukunft für Spitzenämter seiner Partei nicht zur Verfügung zu stehen.
Begründung: "Schleifspuren" in der Partei, die Habecks "Migrationsthesen" vorlaut widersprochen und seine Steuervorschläge nur konfus erklärt hatte. Und die von Friedrich Merz veranlasste Bundestags-Abstimmung der Union mit der AfD, die die Wähler in die Arme der Linken und von den Grünen weg getrieben hätten: Voller Verantwortungsgefühl hätten die Grünen eine zukünftige Zusammenarbeit mit Merz nicht ausgeschlossen.
Vor allem aber schien Habeck zermürbt vom Dauerfeuer des konservativen Medienmainstreams, der seinen Wahlkampf mit ähnlicher Schärfe attackiert hatte wie sonst nur Sarah Wagenknecht.
Verstand, Zusammenhalt und Zuversicht gegen den zynischen Diskurs
Habecks vorschnelle Ankündigung war auch in der eigenen Partei enttäuscht und kritisch kommentiert worden: So bedauerte Fraktionschefin Britta Haßelmann den Schritt. Habeck habe einen guten Wahlkampf gemacht und sei mit dafür verantwortlich, dass die Grünen seit dem Bruch der Ampel-Koalition rund 42.000 neue Mitglieder gewonnen hätten.
Auch Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann will Habeck in der Politik halten. "Ich wünsche ihm und uns, dass er die Türe für eine Rückkehr einen Spalt weit offen lässt", sagte Kretschmann der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ). "Ich bedaure es, dass Robert Habeck nicht mehr für ein Spitzenamt zur Verfügung steht."
Jetzt bittet eine Online-Petition Habeck darum, in der Politik zu verbleiben.
"Menschen haben Zukunftsangst und verspüren ein Gefühl der Machtlosigkeit im Angesicht der geopolitischen Verschiebung, einer fortschreitenden Klimakrise, steigender Ungleichheit sowie der Bedrohung der Demokratie, der Freiheit und des Friedens", heißt es in dem Offenen Brief.
Gerade in einer solchen Zeit braucht es Menschen - und noch wichtiger Führungspersönlichkeiten – wie dich. Du hörst zu, wägst ab, fühlst mit, suchst die Verantwortung und willst die Zukunft mit und für die Menschen gestalten.
Habeck, so ist dort zu erfahren, widersetze sich einem oftmals rückwärtsgewandten, zynischen und entmenschlichten Diskurs und stehe für Verstand, Zusammenhalt und Zuversicht.
Kampagne gegen den Lieblingsfeind der Unions-gewogenen Medien?
Irgendwann, Anfang Januar, bekam die Springerpresse einen Schreck. Da war Robert Habeck plötzlich der beliebteste Kanzlerkandidat in Deutschland. Friedrich Merz kam nur noch auf drei Prozent mehr als Sahra Wagenknecht, und die Grünen überholten die SPD.
Von da an ging es los: Eine Kampagne fokussierte sich auf die Person des grünen Spitzenkandidaten, und auch wenn die Welt am 23.01.2025 keck behauptete: "Deutscher Journalismus ist dieser Partei gewogen", so arbeiteten sich vor allem die Springer-Medien und die FAZ in den Wochen vor der Wahl auffällig an Habecks Person ab.
Hier ein repräsentativer Ausschnitt der Schlagzeilen der letzten Wochen: "Trittins Erben regieren durch" (FAZ, 15.01.); "Eine Kriegserklärung an die Mittelschicht", "Was Habeck hier als 'Solidarität' verkauft, entpuppt sich als knallharte Klientelpolitik zugunsten Besserverdienender" (NZZ, 16.01.); "Habecks Kommunikationskrise" (Handelsblatt, 16.01.); "Ziemlich unausgegoren" (taz, 16.01.); "Es läuft nicht rund" (SZ, 27.01.); "Ist Habeck zu trauen?" (FAZ, 06.02.); "Migration wird für Habeck zur Frage der politischen Existenz" (Welt, 07.02.); "Geister einer Eliten-Partei" (ZDF-Berlin direkt) – man könnte diese Reihe noch lange fortsetzen. Soviel zu den "linksversifften" Medien.
Auch sonst war den der Union gewogenen Medien kein Argument zu einfach, um es nicht gegen Habeck aufzufahren: Hartnäckig versuchte man Schwächen in Habecks unausgegorener Idee einer Kapitalsteuer zu finden, die besser für sich behalten hätte, und die um ein Haar zu seinem "Veggie Day" geworden wäre – eine ähnliche Hartnäckigkeit gegenüber Friedrich Merz' nicht gegenfinanzierten Wahlversprechen, gegenüber Markus Söders Mütterrente und Christian Lindners Schuldenbremsen-Fetischismus suchte man in den gleichen Medien vergebens.
Oder die Berichterstattung über die – unwahren – Sexismus-Vorwürfe gegen den Berliner Grünen-Abgeordneten Stefan Gelbhaar, die die Causa schnell in eine Affaire Habeck zu verwandeln suchte.
Das Feigenblatt seiner Partei
Grüner wird's nicht. Das war schon vor dem Sonntagabend klar.
Natürlich hatte Habecks Wahlkampf auch selbst grobe Schwächen, die von den "Grünfressern" der Medien, allen voran der Springerpresse und Markus Lanz im ZDF genüsslich ausgeschlachtet wurden: Habeck auf dem Siegestor. Habecks Steuer-Idee und Habecks Migrationsthesen, die sofort von der grünen Parteibasis zurückgeholt wurden.
Es wäre schön, wenn die Online-Petition Erfolg hätte. Denn ohne Robert Habeck wäre die deutsche Politik ärmer. Es fehlte ihr etwas, das nur er verkörpert. Dabei geht es nicht so sehr darum, dass man ihm in allem recht geben will oder dass man ihn wirklich ins Kanzleramt wünscht.
Robert Habeck war und ist das Feigenblatt einer Partei, die ein Post-68er-Generationenprojekt ist und nicht halb so intelligent, wie er selbst, nicht halb so flexibel und pragmatisch, die sich für die Realität nicht ein Viertel so viel interessiert wie Habeck, sondern lieber für ihre Prinzipien, für ihre moralische Reinheit und für die kleinen Seitenproblemchen, die von der grünen Parteimehrheit zu etwas Weltbewegenem aufgeblasen werden.
Das ist nach Auffassung des Autors das eigentliche Problem der Grünen: Dass es bei ihnen nur einen Robert Habeck gibt und dass sie diesen haben scheitern und fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel.
Glaubt man Habecks Glaubwürdigkeit?
Immer noch erweckt Robert Habeck den Eindruck, als sei er kein Berufspolitiker, sondern nur zufällig in die Politik geraten. Habeck scheint mehr Glaubwürdigkeit zu verkörpern, als viele Kollegen, aber aber wie wichtig ist diese Glaubwürdigkeit wirklich? Lassen die von ihm zur Schau getragenen Zweifel Robert Habeck nicht als besonders verwundbar und schwach erscheinen?
Ein Politiker muss doch Stärke ausstrahlen und Entschlossenheit und darf sich Zweifel, wenn sie denn überhaupt da sind, nicht anmerken lassen. Oder glaubt man Habeck seine Zweifel und seine Glaubwürdigkeit gar nicht?
Eine Person wirkt glaubwürdig, wenn sie sagt was sie denkt. Das tut Habeck nicht immer. Oft genug lächelt er nämlich nur verschmitzt und dann wieder denkt er erst, während er etwas sagt, oder denkt sagend, praktiziert die allmähliche Verfertigung des Redens beim Denken.
Niemand kann so schön zerknirscht aussehen wie Robert Habeck, und manchmal fürchtet man, dass der Mann gleich in Tränen ausbricht, ob der Schwere des Amtes, das er innehatte, oder zumindest der Frage, die Markus Lanz ihm wieder gerade serviert hatte.
Die (verständliche) Sehnsucht nach dem Retter
Robert Habeck verkörpert die (verständliche) Sehnsucht der Gesellschaft nach einem Retter und die notwendige Kompromissfähigkeit, die allen Parteien und ihren Wählern gerade verloren geht.
Sie war vielleicht noch nie so notwendig wie gerade jetzt, wo die liberale Parteiendemokratie in einer realen, existenziellen Krise ist und äußerer Druck sie nicht etwa zusammenschweißt. sondern endgültig zu zerstören droht.
Einer wie Robert Habeck wäre, hätte es einfach nur 13.000 Stimmen mehr für den BSW gegeben, in der Lage gewesen, eine Kenia-Koalition zusammenzuschweißen. CDU und SPD scheinen ein neues Aufbruchsbündnis allein nicht hinzubekommen; sie verbeißen sich schon jetzt destruktiv ineinander, bevor die zukünftige Koalition überhaupt beschlossen wird.
Der Autor dieses Kommentars vermisst Habeck darum ganz ehrlich schon jetzt, wo er noch gar nicht richtig weg ist. Aber wenn er dann bald wieder da ist, als Bundespräsident vielleicht oder als Chefredakteur der Zeit auf der verwaisten Helmut-Schmidt-Stelle, dann wird er kluge, folgenlose Sachen sagen und nerven wie eh und je.
Auch solche (post-)heroischen Figuren gehören notwendig zu einer politischen Kultur, die im machtvergessenen, machtversessenen Deutschland zu einer provinziellen Soap-Opera geschrumpft ist.