Parteien-Check zur Bundestagswahl: Wer kämpft gegen die Vermögenskluft – und wer verteidigt sie?
Bild: Marek Studzinski / Unsplash
Die Vermögenskluft in Deutschland ist die größte in Europa. Wer will das ändern? Telepolis fragt nach: Das Konzept der Parteien zum Thema Ungleichheit (Teil 1).
"Ungleichheit ist das Megathema der kommenden Jahre," prophezeite die Bertelsmann-Stiftung 2016. Heute finden zwei Drittel der Deutschen, dass es in Deutschland ungerecht zugeht. Soziale Ungleichheit und Armut sind mit jeweils 33 Prozent die zweit- und drittgrößten Sorgen der Menschen. Und die Parteien?
Mehrfach waren die Parteiprogramme und ihre sehr unterschiedlichen Antworten auf das Thema sozialer Ungleichheit Thema auf Telepolis .
Zeit für einen Blick in die Programme und eine Presseanfrage.
Frage zur Vermögensungleichheit
Die Vermögensungleichheit in Deutschland ist gravierend. Genauer gesagt, ist Deutschland in diesem Hinblick das Schlusslicht in Europa.
Der Stellenwert des Themas ist hoch. Historisch ist an der Vermögensungleichheit ganz zentral ein grundlegender Unterschied zwischen den alten und neuen Bundesländern abzulesen: Zu Zeiten der DDR war es im Prinzip unmöglich ein Vermögen zu erwirtschaften.
Zu beachten ist auch, dass Vermögensungleichheit strukturell entscheidend für die soziale Ungleichheit ist: Einigen werden viele Türen geöffnet, die anderen hingegen verschlossen bleiben, wie die MDR-Dokumentation "Das falsche Versprechen vom Aufstieg" auf beeindruckende Weise zeigt. Nicht zuletzt vererbt sich Ungleichheit auch in hohem Maß.
Telepolis stellte allen Parteien, die laut Umfragen sehr gute Chancen haben in den Bundestag einzuziehen, folgende Frage:
Wie die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage ergab, ist nirgendwo in Europa das Nettovermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Welchen Stellenwert räumt Ihre Partei dem Thema der sozialen Ungleichheit ein? Plant ihre Partei finanzpolitische Maßnahmen, um diese Ungleichverteilung zu reduzieren? Wenn ja, welche Maßnahmen? Wenn nein, aus welchem Grund sollen keine Maßnahmen getroffen werden?
In der Reihenfolge der aktuellen Umfrageergebnisse werden im Weiteren die Antworten der Pressestellen wiedergegeben und hierzu zentrale Aussagen des jeweiligen Parteiprogramms zitiert.
CDU/CSU
Die Presseanfrage von Telepolis beantwortet die CDU:
"Vielen Dank für Ihre Nachricht. Gerne verweisen wir dazu auf das gemeinsame Grundsatzprogramm von CDU und CSU, das Wahlprogramm der Unionsparteien sowie unsere Agenda 2030 und das am Montag vom 37. Parteitag beschlossene Sofortprogramm. Darüber hinaus äußern wir uns derzeit nicht und bitten höflich um Verständnis."
In ihrem Grundsatzprogramm berufen sich die Christdemokraten explizit auf die soziale Marktwirtschaft. Das konkrete Thema der Vermögensungleichheit und der sozialen Ungleichheit sucht man auf den 82 Seiten vergeblich.
Im Wahlprogramm der christlichen Fraktion bleibt die Suche nach den genannten Begriffen ebenfalls erfolglos. Im Kapitel "Ja zu einem starken und gerechten Sozialstaat" lauten zentrale Forderungen:
• "Bürgergeld" abschaffen
• Arbeitsanreize verstärken.
• Mitwirkungspflicht stärken, Karenzzeit abschaffen
• Vermitteln, vermitteln, vermitteln.
• Sozialleistungsmissbrauch bekämpfen.
Der Kampf gegen Steuerhinterziehung und Verbesserung der Personaldecke der Steuerfahndung wird nicht thematisiert.
Im Hinblick auf die Vermögensungleichheit, lehnt die CDU/CSU eine Vermögenssteuer ab. Ihre Lösung lautet hingegen:
Geringverdiener beim Vermögensaufbau stärker unterstützen. Wir führen eine Vermögensbildungsprämie ein, in der wir die Arbeitnehmersparzulage und die Wohnungsbauprämie verschmelzen. Wir erhöhen den Förderbetrag deutlich und vereinheitlichen die Einkommensgrenzen. Damit unterstützen wir gerade auch Geringverdiener.
Attraktivere vermögenswirksame Leistungen. Wir wollen einen Freibetrag für Erträge aus vermögenswirksamen Leistungen einführen, um sie für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer attraktiver zu machen.
Inwiefern diese Maßnahmen das ärmste Drittel der Deutschen Bevölkerung betrifft, die maximal 18.600 Euro an Nettohaushaltsvermögen ihr Eigen nennen darf (das obere Drittel startet bei knapp 300.000 Euro), bleibt fraglich.
In ihrer Agenda 2030, welche die CDU im letzten Monat verabschiedete und die "neuen Wohlstand für Deutschland" verheißt, erklärt die Partei:
Wir wollen einen starken und fairen Sozialstaat – wissend, dass eine starke Wirtschaft der beste Garant für verlässliche soziale Sicherungssysteme ist. Wir werden daher handeln und eine große Steuerreform umsetzen – die umfassendste seit Jahrzehnten. Damit entlasten wir Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer und Unternehmen in Deutschland. (…)
Wir werden die Einkommensteuerbelastung deutlich reduzieren. Der Anstieg des Einkommensteuertarifs soll zukünftig flacher verlaufen. Der sog. Spitzensteuersatz soll erst bei 80.000 Euro greifen. Den Grundfreibetrag werden wir jährlich erhöhen. Das führt insgesamt zu einer niedrigeren Steuerbelastung für alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, insbesondere für die arbeitende Mittelschicht.
Auf dem Sofortprogramm der CDU haben die Themen Wettbewerbsfähigkeit, Wohlstand und Sicherheit Platz. Jedoch nicht die Ungleichheit.
Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) kommt zum Ergebnis, dass bei der Umsetzung des Wahlprogramm der Gini-Koeffizient, der die Ungleichheit berechnet, um 2,3 Prozent, und damit die Ungleichheit, zunehmen würde.
AfD
In ihrem Wahlprogramm beruft sich die AfD explizit auf die soziale Marktwirtschaft. Das Wort "Ungleichheit" sucht man auf den 177 Seiten vergebens.
Das Wort "Armut" taucht nur explizit im Zusammenhang mit Alter und Immigration sowie als Kritik der Klimapolitik auf. Die AfD spricht sich explizit gegen die Vermögenssteuer aus und will auch die Erbschaftssteuer abschaffen.
Unter der Überschrift "Niedriglohnsektor und Mittelstand entlasten" schlägt die Partei vor:
Der aktuelle Grundfreibetrag zur Freistellung des Existenzminimums ist aus unserer Sicht zu niedrig. Der einkommensteuerliche Grundfreibetrag soll auf 15.000 Euro erhöht werden, von der bisherigen Anlehnung an sozialhilferechtliche Regelungen wird Abstand genommen. Die Freibeträge sollen indexiert werden, um auch zukünftig heimliche Steuererhöhungen auszuschließen.
Eine weitere Maßnahme zur Entlastung für Menschen mit geringerem Vermögen:
Der aktuell geltende Sparerpauschbetrag für Ledige von 1.000 Euro pro Jahr wird den sich ständig wandelnden Herausforderungen längst nicht mehr gerecht. Die AfD will den Sparerpauschbetrag auf 6.672 Euro erhöhen und an die Geringfügigkeitsgrenze koppeln, um den Menschen in Deutschland, vor allem dem Mittelstand, die Möglichkeit zu geben, ihr Vermögen sicher und steueroptimiert aufzubauen.
Mit der Erhöhung des Sparerpauschbetrages schaffen wir eine echte Entlastung, die vor allem diejenigen erreicht, die auch durch kleinere Kapitalerträge einen wirksamen privaten Vermögensaufbau erzielen wollen.
Ein weiteres Mittel ist ein "Junior-Spardepot", der explizit auf deutsche Staatsangehörige beschränkt ist:
Das "Junior-Spardepot" ergänzt das bestehende Altersvorsorgesystem um eine aus Steuermitteln finanzierte, kapitalgedeckte Altersvorsorge. Für jedes neugeborene Kind mit deutscher Staatsangehörigkeit und dauerhaftem Aufenthalt in Deutschland wird ein individuelles Altersvorsorge-Depot eingerichtet. Bis zum vollendeten 18. Lebensjahr sollen monatlich 100 Euro aus Steuermitteln in einen ETF-Sparplan oder Aktienfonds-Sparplan eingezahlt werden.
Im Sozialkonzept der AfD stehen die Themen Familie, Rente und Immigration im Vordergrund. Auch hier findet man das Wort Ungleichheit nicht (bis auf die Forderung "Ungerechtigkeiten bei der Überleitung der Ostrenten beseitigen").
Die Presseanfrage von Telepolis an die AfD blieb trotz Nachfrage unbeantwortet.
Das ZEW kommt zum Ergebnis, dass der Gini-Koeffizient bei der Umsetzung des Programms der AfD, die sich wiederholt explizit als "Partei des kleinen Mannes" bezeichnet hat (hier, hier und hier, um 2,7 Prozent steigen würde.
SPD
Das Wahlprogramm der SPD beschreibt ihre Wirtschaftspolitik als Verbindung von "Wachstum, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit".
Auf die oben angeführte Anfrage von Telepolis antwortete die SPD ausführlich:
Die Vermögen in Deutschland sind nach wie vor ungleich verteilt. Diese Ungleichheit bei den Vermögen führt auch zu einer Ungleichheit bei den Chancen. Wer Vermögen in die Wiege gelegt bekommt, startet mit anderen Chancen ins Leben als andere. Die polarisierte Vermögensverteilung polarisiert auf Dauer auch Gesellschaften. Es ist ein sehr wichtiges Ziel der SPD, diese Ungleichheit zu reduzieren. Dazu unsere Forderungen zur Vermögensteuer und zur Reform von der Erbschaft- und Schenkungsteuer aus unserem Wahlprogramm:
"In Deutschland werden Einkommen aus Arbeit stärker als Vermögen besteuert. Dies wollen wir verändern und mehr Steuergerechtigkeit schaffen. Eigentum gibt Sicherheit, aber Eigentum verpflichtet auch. Daher wollen wir die vermögensbezogene Besteuerung stärken und Spitzenvermögen stärker an der Finanzierung der Modernisierung unseres Landes und unserer Gemeinschaft beteiligen.
Die Erbschaft- und Schenkungsteuer in ihrer heutigen Form ist nicht gerecht, denn die übermäßige Privilegierung großer Unternehmensvermögen führt dazu, dass bei der Übertragung solcher Multimillionen- oder Milliardenvermögen oftmals nur sehr wenig oder gar keine Steuern gezahlt werden.
Diese Ungerechtigkeit wollen wir abschaffen. Innerhalb des bestehenden progressiven Steuertarifs führen wir eine effektive Mindestbesteuerung für große Betriebsvermögen ein, die auch für vermögenshaltende Familienstiftungen gilt. Die persönlichen Freibeträge wollen wir erhöhen, um den Vermögenspreissteigerungen seit der letzten Anpassung Rechnung zu tragen.
Das selbst genutzte Familienheim bleibt auch in Zukunft unangetastet. Die ausgesetzte Vermögensteuer wollen wir für sehr hohe Vermögen revitalisieren. Darüber hinaus unterstützen wir auch die von Brasilien im Rahmen der G20 angestoßenen Pläne für eine international koordinierte Mindeststeuer für Superreiche.
Ein international abgestimmtes Vorgehen schafft notwendige Transparenz über Vermögensanhäufung und macht Steuervermeidung unattraktiv. Die Steuereinnahmen aus Erbschaft und Schenkungsteuer sowie Vermögensteuer stehen den Ländern zu, in deren Verantwortungsbereich die Bildungspolitik liegt. Es ist daher unser Ziel, dass die Länder die aufgrund unserer Reformen erzielten Mehreinnahmen für die dringend erforderliche Stärkung und Modernisierung des Bildungssystems aufwenden.
Außerdem wollen wir Einkommen aus Kapital über den Einkommensteuertarif besteuern. Anders als an den Finanzplätzen Paris oder Mailand, werden Finanztransaktionen in Deutschland bisher nicht besteuert. Daher wollen wir eine Finanztransaktionssteuer einführen. Dies soll möglichst im Einklang mit unseren europäischen Partnern geschehen."
Ein weiteres Instrument des SPD-Programms zur Reduzierung der Ungleichheit ist das Versprechen, die Mietpreisbremse nicht Ende 2025 auslaufen, sondern unbefristet gelten zu lassen.
Das ZEW kommt zum Ergebnis, dass der Gini-Koeffizient und damit die Ungleichheit bei der Umsetzung des SPD-Programms um 3,0 Prozent senken würde.
Die Programme der Partei Die Grünen, Die Linke, BSW und FDP werden im zweiten Teil untersucht.