Idylle mit braunen Flecken: Völkische Siedler, Christentum und Judentum

Seite 2: Aufgaben für Staat und Gesellschaft, Theologie und Kirche

Es geht über die Grenzen der legitimerweise zu verlangenden Toleranz hinaus, dies hinzunehmen. Daher stellt sich die Frage, wie man sich solchen Aktivitäten entgegenstellen kann.

"Gegenstrategien müssen so gewählt werden, dass sie vor Ort sinnvoll sind und für diejenigen, die sie umsetzen, passen", sagt Anna Weers, Referentin zum Thema Rechtsradikalismus im ländlichen Raum bei der Amadeu-Antonio-Stiftung.

Feindbilder rechtsesoterischer und völkischer Ideologien seien die gleichen: Personen, die beispielsweise abseits heterosexueller Norm leben, Behinderungen haben, nicht weiß sind und so weiter. Mit Personengruppen, die von rechts angefeindet werden, sollte sich eine demokratische Gesellschaft und Zivilgesellschaft solidarisch zeigen und sie schützen, und eine vielfältige Gesellschaft als Dorfgemeinschaft bejahen und sichtbar machen, so dass "Diskriminierung, Antisemitismus und rechtes Gedankengut keinen Platz bekommt."

Herrsche bereits eine rechte Hegemonie vor, müssten Strategien eventuell angepasst werden. "Kommt es zu persönlichen Einschüchterungsversuchen durch Rechte und Bedrohungen einzelner zivilgesellschaftlich Akteur:innen, sollte auf jeden Fall Beratung zum Beispiel durch die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus oder ähnliche Organisationen hinzugezogen werden."

Auch die Regionalzentren für demokratische Kultur der Nordkirche befürworten unterschiedliche Umgangsstrategien und Handlungsansätze in verschiedenen Situationen:

Gemeindevertreterinnen und -vertreter werden unter Druck gesetzt und überlegen, ihre Ämter aufzugeben; ein Kind will in der Kita nicht mit Puppen mit dunkler Haut spielen, ein anderes wird von Schul-Freunden zur Sonnenwendfeier eingeladen; in Bürgerinitiativen versuchen Personen mit rechtsextremer Agenda die Themen zu dominieren; eine Kollegin in der Firma spricht plötzlich vom "Weltjudentum" oder von "Umvolkung" und "Rassenvermischung"; ein Künstler stellt Schmuck mit germanischen Symbolen aus, die auch als Symbole des Nationalsozialismus dienten; eine engagierte Schulleiterin wird von einer Elterngruppe unter Druck gesetzt, keinen Thementag zu jüdischer Kultur durchzuführen; ein Biobauer erzählt mit bedeutungsschwerem Ton vom Unkraut, das im Sinne der Nutzpflanze immer konsequent ausgerottet werden müsse...

Das Team der Regionalzentren für demokratische Kultur der Nordkirche unterstütze betroffene Schulen, Kitas, Eltern und sonstige Institutionen durch "Beratung, Fortbildung und Begleitung sowie durch die Kommunikationsvermittlung mit Landes- und Bundespolitik, Polizei, Verfassungsschutz etc."

Theologie und Kirche

Ob Rechte das Christentum nun vereinnahmen oder ob sie es überwinden wollen: Gleichgültig ist es ihnen nicht. Darum kann man normativ fragen: Was ist denn nun mit dem Christentum, also mit Theologie und Kirche? Welches sind die Aufgaben von Theologie und Kirche angesichts der Herausforderungen von rechts?

Angesprochen ist erstens die systematische Theologie, also die sachliche Bearbeitung der theologischen Themen. Zweitens ist die praktische Theologie gefordert, also die Verbreitung der christlichen Religion in der Predigt, aber auch die Seelsorge. Und zwischen beiden liegt die Ethik. Drei Strategien bieten sich an: Aufklärung, Interpretation und die Annahme einer Herausforderung.

Aufklärung

Rechte Positionen kristallisieren sich im Antisemitismus heraus. Er sollte eigentlich überwunden sein. Aber eine Bundestagskommission musste im Jahr 2012 feststellen, dass "kirchlich engagierte Menschen stärker für antisemitische Stereotype anfällig sind als Konfessionslose und nichtreligiöse Menschen", so Katharina von Kellenbach im Sammelband "Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie".

Die Autorin betrachtet den christlichen Antijudaismus als Wurzel aller anderen Erscheinungsformen des zeitgenössischen Antisemitismus. Sie definiert ihn als "mehr als Zustimmung zur These, dass 'die Juden für den Tod Jesu verantwortlich sind'". Ist das ein Fehler von Theologie und Kirche? Wohl nein. Aber diese Institutionen müssen vielleicht auch mit Hilfe von Erkenntnissen aus Theologie, Psychologie und Soziologie aufklären. Immer wieder.

Interpretation

Johann Hinrich Claussen beschreibt im Sammelband "Christentum von rechts", wie er als Probst "Gemeindestreitigkeiten und Personalprobleme zu bearbeiten hatte, bei denen kleine Gruppen rechter Christen beteiligt waren.

Hier war die gemeinsame Suche nach tragfähigen Lösungen erschwert, weil es sich für diese Gruppen um Weltanschauungskämpfe handelte." Seiner Ansicht nach wird die Auseinandersetzung mit Rechten noch lange ein politisches und kirchliches Thema bleiben und er versucht, mit ihrer theologischen Deutung und der Diskussion ihrer Theologien "zur nötigen Orientierung bei[zu]tragen".

Er tut das am Beispiel von Karlheinz Weißmann, einem Theologen und Ideengeber der Neuen Rechten. Claussen interpretiert dessen Denken als "Kultur der Niederlage", in der die erlebte Niederlage umgedeutet wird mit der Prätention, einer Gegen-Elite anzugehören und über geheime Heilstraditionen zu verfügen.

Annahme der Herausforderung

Im selben Sammelband wie Claussen schreibt Rochus Leonhardt über die politische Kultur Deutschlands. Er kritisiert sie vom Standpunkt einer protestantischen Ethik des Politischen aus: Nach seiner Überzeugung wird die evangelische Kirche der Herausforderung durch die gegenwärtige Konjunktur des Rechtspopulismus nicht gerecht, indem sie sich das "apokalyptische Narrativ einer Gefährdung der Demokratie zu eigen macht".

Vielmehr sollte sie überlegen, was heilsrelevant ist, und dabei sachlich und vernünftig vorgehen. Die eigentliche Gefahr für die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung sei ein schlichter Freund-Feind-Dualismus.

Persönliches Fazit

Was bedeuten diese Menschen und ihre Ideen für uns? Ein Grund für Sympathien für rechte Positionen könnte sein, dass jemand sich nicht ernst genommen fühlt. Ich kenne Frauen, die sich nicht mehr in gewisse Freibäder trauen, weil dort viele türkische und arabische Jungs sind, die vielleicht nicht Randale machen, aber ins Wasser springen, wo man nicht springen darf, und die Frauen haben Angst vor Verletzungen.

Wenn ich diese Frauen daran erinnere, dass sich "biodeutsche" Jugendliche vor 45 Jahren genauso benommen haben oder wenn ich ihnen etwas von Integration erzähle: Dann nehme ich sie nicht ernst, benachteilige sie sogar gegenüber den Menschen, die sich ins Freibad trauen. Oder wenn ich ihnen erzähle, dass ich beim Kampfsport oft die einzige Frau war und manchmal die einzige "Biodeutsche", und dass ich dabei nur gute Erfahrungen gemacht habe, dann kommen sie sich verarscht vor.

Wenn sie dann die AfD wählen und ich sie daraufhin schneide, wem ist dann geholfen? Besser könnte es funktionieren, zuzuhören, ihre Meinung stehen zu lassen und ab und zu die eigene Meinung dagegenzuhalten.

Da aber meine ich "nur" Rechtspopulismus, nicht Rechtsextremismus. Denn wenn mich jemand fragt, was ich denn zu den Antisemitismen, Unverschämtheiten, Rassismen aus den Reihen der AfD sage, dann fällt mir auch keine gute Antwort ein.

Mit völkischen Siedlern würde ich reden, versuchen, etwas über ihre Beweggründe zu erfahren und journalistische Fairness wahren, etwa indem ich sie korrekt zitiere. Zugleich hoffe ich aber, dass Behörden und Institutionen ein Auge auf sie haben. Dass sie erstens besonders die gefährdeten Personengruppen schützen – und dass sie zweitens darauf achten, dass Kinder von Rechtsextremen in "richtige", möglichst öffentliche Schulen gehen. Notfalls mithilfe von Zwangsmaßnahmen.

Ich denke, dass wir mit einem Dilemma leben und immer neu unsere eigenen "Toleranz-Grenzen" prüfen müssen. Was wir ertragen können. Und wollen. Und, andererseits, wie wir unsere Mitmenschen schützen können. – Früher gehörte es zum guten Ton., dass nach einem Treffen der Mann die Frau zu ihrer Wohnung geleitete, damit ihr unterwegs nichts passiere. Heute müssen wir uns vielleicht Benimmregeln überlegen, um Homosexuelle, nicht-nordisch-Aussehende und Menschen anderer gefährdeter Gruppen zu schützen.