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Im Bann der Eigentümer-Gesellschaft

Die Förderung von Wohneigentum bildete die Grundlage der konservativen und neoliberalen Wende seit den 80er Jahren. Doch zugleich ist sie ein Krisenphänomen

Zu Beginn ihrer Regentschaft, in den frühen 1980er Jahren, sah sich Margaret Thatcher [1] mit einem handfesten strategischen Problem konfrontiert. Während ihre neoliberale Politik die "Eiserne Lady" binnen kürzester Zeit zu einem Schreckgespenst aufsteigen ließ, das selbst in die Kinderlieder der damaligen Zeit Eingang fand ("Thatcher the Milk Snatcher" [2]), konnte ihre konservative Partei auf keine strategischen Mehrheiten in der Bevölkerung bauen, um die Wiederwahl sicherzustellen. Die Wählerwanderung von Teilen der Arbeiterschaft zugunsten der Tories, die Thatcher 1979 aufgrund der Wirtschaftsmisere der späten 70er Jahre überhaupt ihren Wahlsieg ermöglichte, wäre aufgrund ihrer neoliberalen Schocktherapie bei der nächsten Wahl aller Voraussicht nach revidiert worden.

Es galt folglich, die Mehrheitsverhältnisse durch eine Spaltung der ohnehin im Abstieg befindlichen britischen Arbeiterklasse - der Thatcher erst in ihrer zweiten Amtszeit während des Bergarbeiterstreiks von 1984/85 das Genick endgültig brechen [3] sollte - langfristig zu verändern. Dies geschah durch die Verwandlung der Lohnabhängigen in Eigentümer. Im Rahmen des 1980 initiierten "Right to Buy" [4]-Programms wurden rund 1,8 Millionen Kommunal- und Sozialwohnungen an ihre Mieter verkauft, die mit Preisnachlässen von bis zu 50 Prozent gegenüber dem Marktpreis gelockt wurden. Insgesamt stieg Zahl der im Privatbesitz befindlichen Häuser und Wohnungen in England und Wales zwischen 1981 und 2011 von 10,2 Millionen Haushalten auf 14,9 Millionen.

Der britische Guardian sah in diesem Privatisierungsprogramm gar die wichtigste Erbschaft der Thatcher-Ära [5]:

Für Millionen aus der bessergestellten Arbeiterklasse… bestand die wichtigste Folge des Thatcherismus in der Erlangung von Wohneigentum. Thatchers Traum von einer Nation von Wohneigentümern war derjenige, den sie an weitesten realisieren konnte.

Neben dem siegreichen Falklandkrieg von 1982, in dessen Gefolge Thatcher auf einer Woge nationalistischer Begeisterung ihren zweiten Wahlsieg bei den Wahlen 1983 erringen konnte, war es gerade diese massive Privatisierungskampage im sozialen- und kommunalen Wohnungssektor, die erst die 18 Jahre währende Regierungszeit der Tories in Großbritannien ermöglichte - und die erst durch die neoliberale gewendete "New Labour" Partei Tony Blairs beenden werden sollte.

Laut dem Guardian bildete diese "kontroverse" Wohnungspolitik den "Schlüsselfaktor" [6] bei den drei Wahlsiegen der Konservativen in den 1980ern und 1990ern. Die "bessergestellten" Lohnabhängigen, die vermittels des "Right to Buy"-Programms erstmals zu Eigentümern wurden, bildeten konservative politische Anschauungen aus, die von der Sorge um die Abzahlung ihrer Hypotheken und den Wert ihrer Immobilien angefacht wurden. Der "immobile" Besitz, der dieser ehemaligen Stammwählerschaft Labours zukam, kettete sie an das Bestehende. Er reduzierte somit auch die Bereitschaft zu geistiger Mobilität in gesellschaftspolitischen Fragen.

Der konservative Historiker John Ramsden beschrieb das diesbezügliche Kalkül der Tories, das bereits in der Zwischenkriegszeit aufkam, in einem 1997 publizierten Essay [7] folgendermaßen:

Es war in der Tat diese Verbreitung von Eigentum, die die Tories schon in der Zwischenkriegszeit anstrebten, um eine Antwort auf die Ankunft der Demokratie und die Herausforderung durch Labour zu finden. … Ein Tory-Abgeordneter in Leeds entgegnete seinen Labour-Gegnern 1926, dass es "eine gute Sache für die Leute ist, wenn sie ihre eigenen Häuser zu kaufen. Sie werden sich sofort in Tories verwandeln. Wir müssen weiterhin Tories fabrizieren, und ihr werdet hinweggefegt werden." In dieser Bemerkung findet sich viel von der Parteigeschichte [der Tories, T.K.] des 20. Jahrhunderts.

US-amerikanische Neoliberale haben diese britischen Erfahrungen auf den Begriff der Ownership-Society [8], der Eigentümer-Gesellschaft, gebracht. Die Förderung von Wohneigentum wurde mit den neoliberalen Werten von "Eigenverantwortung" und größtmöglichem Marktliberalismus verknüpft, was im Endeffekt auch auf eine Privatisierung - und Komodifizierung - von sozialen Leistungen wie der Bildung oder der Krankenversorgung, die ebenfalls zu "Eigentum" erklärt wurden.

Diese Politik schien auch wirtschaftlich überaus erfolgreich zu sein. Der boomende Wohnungsmarkt wurde zu einem wichtigen Konjunkturmotor in Großbritannien und den USA, sodass die schwere Krisenperiode der 1970er Jahre - die erst den Aufstieg des Neoliberalismus ermöglichte - überwunden schien.

Erst die Krise der Siebziger Jahre, die unter dem Begriff Stagflation in die Wirtschaftsgeschichte einging, ermöglichte den Sieg des Neoliberalismus und die Realisierung des konservativen Konzepts der Eigentümer-Gesellschaft. Die Folgen sind bekannt: Die ab 2007 platzenden Immobilienblasen auf denen die Ownership-Society fußte, haben nicht nur diese beiden Länder, sondern das gesamte kapitalistische Weltsystem in die schwerste Krise seit den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts gestürzt.

Deutschland als Nachzügler

Insofern scheint die gegenwärtige Entwicklung auf dem deutschen Immobilienmarkt dem Betrachter ein klassisches Déjà-vu Erlebnis zu bescheren. Inzwischen beobachtet selbst der deutsche Finanzminister die Preisentwicklung im Immobiliensektor mit Sorge und warnt [9] vor einer "gefährlichen" Preisentwicklung.

"Familie vor neuem Eigenheim" - Wahlplakat der CDU zur Bundestagswahl am 19. September 1965; Foto: Konrad-Adenauer-Stiftung [10]; Lizenz: CC-BY-SA 3.0 DE [11]

Seit dem Krisenausbruch 2007 sind laut dem IMX-Index die Preise für Neubauten in der Bundesrepublik durchschnittlich um 38 Prozent in die Höhe geklettert [12], während Mieter im Schnitt 20 Prozent mehr zahlen müssen. Wie auch bei der Blasenbildung in den USA und Großbritannien, konzentriert sich der Preisanstieg auf die Metropolenregionen und Großstädte wie München, Berlin, Hamburg, wo die Preise seit 2007 um 50 bis 60 Prozent zulegten [13].

Dabei stellt Deutschland als Nachzügler der Ownership-Society nicht einmal den extremsten Fall dieses abermaligen Immobilienbooms. Während die Immobilienpreise in der Bundesrepublik 2014 um 4,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr zulegen sollen, wird in Großbritannien ein enormer Preisanstieg von sieben Prozent erwartet [14].

Die britische Regierung wusste nach drei Dekaden Deindustrialisierung keinen anderen Ausweg aus der durch das Platzen der letzten Immobilienblase ausgelösten Wirtschaftskrise, als die abermalige massive staatliche Förderung von Immobilienerwerb [15] - der den Grundstein für den gegenwärtigen spekulativen Preisauftrieb legte. Großbritannien gleicht somit in wirtschaftlicher Hinsicht einem "Blasenland" [16], bei dem die verheerenden Folgen einer geplatzten Spekulationsblase nur durch abermalige Blasenbildung - kurzfristig - überwunden werden können.

Doch auch der deutsche Immobilienboom stellt eine Folge des Krisenschubs von 2007 dar. Die Bundesrepublik fungierte seit Krisenausbruch als ein "Sicherer Hafen", der enorme Kapitalzuflüsse aus dem krisengeplagten Euroraum verzeichnen konnte. Diese Zuflüsse äußern sich nicht nur in den sehr niedrigen Zinsen für Bundesanleihen, sondern auch in enormen ausländischen Kapitalinvestitionen [17] im deutschen Immobiliensektor: Im ersten Quartal 2014 kamen beispielsweise rund 53 Prozent aller Kapitalinvestitionen bei deutschen Gewerbeimmobilien aus dem Ausland.

Diese die Immobilienpreise treibenden Kaptalzuflüsse wurden durch die Politik der Bundesregierung maßgeblich angefacht, die bei der Zypern-Rettung auf eine Teilenteignung von Spareinlagen in Banken über 100.000 Euro bestand. Viele vermögende "Investoren" aus der Eurozone sind folglich bemüht, ihr Kapital im "Sicheren Hafen" BRD zu investieren - in Betongold.

Die Immobilie als Krisenanlage, als "Betongold", verleitete aber auch viele Bundesbürger in den vergangenen Jahren zum Häuserkauf. Die Niedrigzinspolitik der EZB, die sich inzwischen mit Negativzinsen gegen die drohende Deflation im Euroraum stemmt, hat diesen Run vieler Mittelklasseangehörigen aufs Eigenheim befördert.

Auch hier sind es somit die Folgen der 2007 geplatzten Spekulationsblasen, die den gegenwärtigen Boom anheizen. Angesichts der steigenden Mieten und kaum gegebener Sparzinsen ist es schlicht ökonomisch vernünftig, Wohneigentum zu erwerben. Das Eigenheim kann aufgrund steigender Preise als eine Art Lebensversicherung und Kapitalanlage fungieren, die etwa die oftmals mageren Renteneinkünfte ausgleichen oder gegen alle möglichen Unvorhersehbarkeiten absichern soll.

Doch diese ökonomische Logik galt auch im Fall der USA. Auch dort war es bis zum Krisenausbruch "sinnvoll", eine Wohnimmobilie per Hypothek zu erwerben, da die Mieten oftmals weitaus höher ausfielen als die Hypothekenzinsen. Auch dort galten die eigenen vier Wände als eine Kapitalanlage und Krisenversicherung - bis die Blase platzte.

Menschen, die sich noch vor wenigen Jahren über die Zockermentalität der "Amis" erregten, erwerben aus demselben ökonomischen Kalkül nun selbst Wohneigentum - um sich den steigenden Mieten zu entziehen und vom niedrigen Zinsniveau, das ja ebenfalls die Grundlage des US-Immobilienbooms am Beginn des 21. Jahrhunderts bildete, zu profitieren. Somit gleichen sich auch auf dem Immobilienmarkt BRD und USA immer stärker an (Projektionsfläche Amerika [18]).

Eigentümergesellschaft als Fundament sozialer Apartheid

Auch bei den sozialen Folgen dieses Runs auf das "Betongold" können leicht Parallelen zur urbanen Entwicklung in den Vereinigten Staaten gezogen werden. Letztendlich führt die rasch voranschreitende Privatisierung des Wohnraums - die den berüchtigten Prozess der Gentrifizierung von Stadtteilen antreibt - zu einer sozialen und urbanen Segregation der Bevölkerung [19].

Stadtteile und Wohnquartiere bilden im Verlauf der Gentrifizierung ein relativ einheitliches Preisniveau aus, dass folglich die entsprechende soziale Schicht anzieht - sei es die gehobene oder die untere Mittelklasse, die Oberklasse, oder die Spitzenverdiener und Vermögenden. Man beliebt unter sich, alltägliche Begegnungen jenseits der eigenen sozialen Schicht erhalten so einen Seltenheitswert, was die Ausbildung von Ressentiments noch verstärkt - während das Elend in den Gettos konzentriert wird.

Der wichtigste Unterschied zwischen der Entwicklung in Europa und den USA besteht darin, dass westlich des Atlantiks die Gentrifizierung oftmals zu einer Verödung und sozialen Verwahrlosung der Innenstädte führte, da die Mittelklasse in die aus Einfamilienhäusern bestehenden Suburbs im "Speckgürtel" der Städte migrierte.

In Europa hingegen werden die verarmten, marginalisierten und ökonomisch "überflüssigen" Bevölkerungsschichten gerade in die Randbezirke der Städte - in die Wohntürme der französischen Banlieues oder den postsozialistischen Plattenbau Ostberlins - abgedrängt. In den USA konzentriert sich das Elend somit oftmals in bestimmten Innenstadtbezirken (South Central in Los Angeles etwa), in Europa wird es in die Peripherie der Städte abgedrängt.

Diese urbane Segregation der Bevölkerung entlang ihrer ökonomischen Leistungsfähigkeit befördert eine Art sozialer Apartheid, die den sozialen Aufstieg aus der in den Gettos zusammengepferchten Unterschicht zusätzlich behindert. Ein "schlechter" Stadtteil wird so bei einer jeden Bewerbung für einen anständigen Job zu einem Nachteil - unabhängig von den Fähigkeiten des Bewerbers. In gewisser Weise forciert die Eigentümergesellschaft eine Renaissance der Ständegesellschaft des 19. Jahrhunderts, als die sozialen Grenzen kaum zu überschreiben gewesen waren. Die (abermalige) Kommerzialisierung des Wohnraumes bringt eine Tendenz zur Abschottung gegen all diejenigen mit sich, die das entsprechende Preisniveau sich nicht leisten können.

Dabei waren es gerade die berühmten "Szenestadteile", in denen sich ab den 1980ern eine starke Subkultur entwickelte und eine große Vielfalt von Lebensformen und Einwohnergruppen herrschte, die von der Gentrifizierungswelle erfasst wurden. Als Paradebeispiel für diesen klassischen Gentrifizierungsprozess kann der Stadtteil Soho [20] in New York dienen, der sich von einem heruntergekommenen Arbeiterviertel, über eine Bohme-Enklave, zu einem gentrifizierten Freilicht-Einkaufszentrum entwickelte.

Die Krise der industriellen Arbeitsgesellschaft in den 1970ern schaffte somit den Raum für die Entfaltung der Subkultur in diesen ehemaligen Arbeiterbezirken, die dann im Gefolge der Herausbildung des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus ab den 1990ern erst Gentrifizierungsprozessen unterworfen wurden.

Die Eigentümergesellschaft vernichtet mit der Gentrifizierung lebendige, von Vielfalt und Widersprüchen geprägte urbane Räume

Die Eigentümergesellschaft ergriff somit gerade von den Bezirken Besitz, in denen eine Subkultur sich mit vielfältigen randständigen ethnischen Migranten-Communities mischte, um ein besonders lebendiges urbanes Milieu zu erschaffen - das gerade nicht durch Marktgesetze konstituiert war. In Berlin sind es die ehemaligen Szenestadtteile Prenzlauer Berg, Friedrichshain und Kreuzberg, die das Schicksal Sohos teilten. Die urbane Vielfalt der Szenestadtteile, die oftmals - wie bei der Kreuzberger Hausbesetzerszene - mit dem Anspruch einer alternativen nichtkapitalistischen Lebensführung einherging, bildete somit den wichtigsten Anziehungspunkt für die mit der Gentrifizierung einhergehenden Privatisierungswellen, die dieser Vielfalt ein Ende machten.

Eine weitere Absurdität der Eigentümergesellschaft: In einer Zeit, in der die berüchtigte "Flexibilität" im Arbeitsleben von den Lohnabhängigen erfordert, notfalls Jobs am anderen Ende der Republik anzunehmen, werden diese vermittels Immobilienbesitz immobil gemacht. Immobil und gefügig: Wer eine Hypothek aufgenommen hat, ist auch im Job leichter erpressbar.

Das Endergebnis dieser Ausbreitung der Eigentümergesellschaft bilden "tote" Stadteile wie der Prenzlauer Berg, deren in den 1990ern entstandene Szene längst vor den steigenden Mieten gen Neukölln fliehen musste - und die inzwischen die Atmosphäre einer schwäbischen Kleinstadt verströmen.

Weite Teile Berlins gleichen inzwischen einer Anballung schwäbischer Kleinstädte, in denen nach Anbruch der Dunkelheit tiefste provinzielle Ruhe, eine merkwürdige Grabesstille herrscht. Eigentlich ließe sich hier eine Korrelation herstellen zwischen dem "Preisniveau" eines Stadtbezirks und dessen Ödnis herstellen: Je reicher der Stadtteil, desto ruhiger, desto "toter" ist er auch.

Denn dies ist es, was die neuen Einwohner der gehobenen Mittelklasse, die sich in diese - ehemals - so "lebendigen" Stadteile unter nicht wenigen persönlichen Opfern eingekauft haben, vor allem fordern: Ruhe. Frisch gebackene Immobilienbesitzer, die etwa in den ehemaligen Berliner Partybezirk Prenzlauer Berg zogen, weil sie dessen "Lebendigkeit" so anziehend fanden, wünschen sich nach kurzer Zeit, dass dort keine Partys mehr gefeiert werden.

Vom ökonomischen Standpunkt betrachtet ist diese scheinbar absurde Verhaltensweise auch rationell: Wer möchte schon eine Kneipe, einen Migrantenklub oder ein linkes Szenezentrum neben seiner Immobilie haben, für die er eine stattliche Hypothek aufnehmen musste.

Die Eigentümergesellschaft vernichtet somit genau das, wonach sie giert: lebendige, von Vielfalt und Widersprüchen geprägte urbane Räume, die im Gentrifizierungsprozess regelrecht "verdaut" werden, um hiernach aufwendig restaurierte Attrappen der ehemaligen Szenestadtteile zu hinterlassen, die nur noch als Marken fungieren.

Die Szene flieht vor diesem Gentrifizierungsprozess, dessen - ungewollte - Avantgarde sie bildet, in immer neue Stadtteile. Inzwischen ist es neben Neukölln, das noch vor zehn Jahren als Migrantengetto von der Mittelklasse peinlichst gemieden wurde, wohl auch Wedding.

Dem urbanen Leben hinterherjagend, hinterlässt die Gentrifizierung somit nur tote Schlafstädte, deren Einwohner sich vor allem um den Wert ihrer Immobilien sorgen. Das Besitzdenken der Eigentümer expandiert dann aus den eigenen vier Wänden, es macht sich im ganzen Stadtteil breit: Es äußert sich einem Bedürfnis nach der Kontrolle des urbanen Umfeldes der eigenen Eigentumswohnung, um deren Wert zu steigern. Störende Elemente müssen entfernt, die Straße sollte am liebsten nur für Anlieger frei gehalten, Unruhepotenzial minimiert werden, etc. Mit einem Satz: Dorfatmosphäre hat in der Innenstadt einzukehren. Und auch dies ist auch ein ökonomisch rationelles Verhalten, das quasi naturwüchsig aus dem Fundament der Ownership-Society erwächst.

Geisterstädte als Folge einer Krise der Eigentümergesellschaft

Hinzu kommen die Freuden - wir erinnern uns an die "Selbstverantwortung", die mit der Eigentümergesellschaft einhergeht - der endlosen Debatten und Auseinandersetzungen bei den Eigentümerversammlungen, wo die Eigentümergemeinschaften all die spannenden Belanglosigkeiten (Form der Mülltonnen, Farbe der Briefkästen) oder kostspieligen Unternehmungen (Renovierung des Treppenhauses, da dessen Farbe nicht zu den neu abgeschafften Briefkästen passt) in stundenlangen Diskussionen ausfechten, die für gewöhnlich eine Genossenschafts- oder Hausverwaltung regelt.

Angesichts der dabei oft aufkommenden Streitereien und Feindschaften [21], denen man ja nicht einfach durch einen Umzug aus dem Wege gehen kann, müsste der Begriff "Miteigentümer" inzwischen mit einer ähnlich ironischen Konnotation besetzt sein wie der des "Parteifreundes".

Da die Eigentümer-Gesellschaft mit ihren immer neuen Gentrifizierungswellen ein Krisenphänomen darstellt, das dem wucherungsartigen Wachstum der Finanzmärkte und dem daraus resultierenden Spekulationsblasen entspringt, steht sie auf einem höchst brüchigen Fundament. Diese buchstäbliche Entvölkerung der gentrifizierten Quartiere ist letztendlich nur einen Krisenschub entfernt.

Wie sich ein Kriseneinbruch in solch einer durchweg privatisierten urbanen Struktur gestaltet, kann in den USA oder Spanien studiert werden. Dort sind regelrechte Geisterstädte entstanden, die nicht nur so wirken, als seien sie unbewohnt: In den USA sind immer noch 10 Prozent aller Häuser unbewohnt [22].

In Spanien stehen inzwischen 3,4 Millionen Wohnungen leer [23], in denen die gesamte - und aufgrund der Krise beständig wachsende - obdachlose Bevölkerung Europas ein Dach über dem Kopf finden könnte. Insgesamt haben die europaweit platzenden Immobilienblasen auf dem Kontinent 11 Millionen unbewohnte Immobilien hinterlassen.

Und wir leben in einer "Wirtschaftsordnung", die diese beiden Krisentendenzen - 4,1 Millionen Obdachlose und Leerstand von 11 Millionen Wohneinheiten - beim besten Willen nicht bewältigen kann, da dies den geheiligten Marktgesetzen zuwider laufen würde.


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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.youtube.com/watch?v=wcXi-VYy_Yw
[2] http://thedailybanter.com/2013/04/margaret-thatcher-took-my-milk/
[3] https://www.youtube.com/watch?v=1bJbeeKBPCU
[4] http://en.wikipedia.org/wiki/Right_to_buy
[5] http://www.theguardian.com/politics/2013/apr/12/thatcher-britain
[6] http://www.theguardian.com/society/2009/dec/06/right-to-buy-housing-thatcher
[7] http://www.conservativehome.com/thetorydiary/2014/03/how-thatcher-sold-council-houses-and-created-a-new-generation-of-property-owners.html
[8] http://www.cato.org/publications/commentary/ownership-society-fosters-responsibility-liberty-prosperity
[9] http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/zinsen-schaeuble-befuerchtet-immobilienblase-in-deutschland-a-976154.html
[10] http://commons.wikimedia.org/wiki/File:KAS-Wohnungsbau-Bild-689-1.jpg?uselang=de
[11] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.de
[12] http://www.welt.de/finanzen/immobilien/article129272551/Vergesst-Berlin-und-Muenchen-kauft-in-Krefeld.html
[13] http://www.focus.de/immobilien/kaufen/wirtschaft-immobilien-2014-boom-oder-blase_id_3834594.html
[14] http://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/mieten-und-wohnen/nachrichten/steigende-immobilienpreise-deutschland-fuehrt-im-euroraum-12919293.html
[15] http://www.konicz.info/?p=2505
[16] https://www.heise.de/tp/features/Aufwachen-im-Blasenland-3502553.html
[17] http://www.manager-magazin.de/immobilien/artikel/auslaendische-investoren-greifen-nach-deutschland-a-971141.html
[18] https://www.heise.de/tp/features/Projektionsflaeche-Amerika-3400159.html
[19] http://www.cash-online.de/immobilien/2013/wohnen-2/151934
[20] http://blogs.cornell.edu/art2701mja245/2013/06/16/the-soho-effect/
[21] http://www.immobilienrecht-ratgeber.de/immobilienrecht/kauf-einer-wohnung/eigentuemergemeinschaft.html
[22] http://www.forbes.com/sites/trulia/2013/11/06/vacant-homes/
[23] http://www.thelocal.es/20140225/spain-worst-in-europe-for-empty-properties