Im Blindflug in die Abhängigkeit: Was wir über KI ausblenden
- Im Blindflug in die Abhängigkeit: Was wir über KI ausblenden
- Verblöden wir? Je mehr wir KI nutzen, desto weniger wollen wir sie verstehen
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Eine neue Studie untersucht mit Künstlicher Intelligenz, wie wir mit KI umgehen. Was dabei herauskommt, ist verblüffend. Ein Land verliert dabei den Anschluss.
Kann man Künstliche Intelligenz einsetzen, um besser zu verstehen, wie wir uns mit KI beschäftigen? Was kommt dabei heraus, wenn uns Analysealgorithmen nüchtern den Spiegel vorhalten zu unserem Umgang mit Künstlicher Intelligenz?
Eine Studie des von mir geführten Technologieunternehmens Hase & Igel hat diesen Versuch gewagt – und um es vorwegzunehmen: Das Bild, das die Ergebnisse zeigen, ist für unser Land nicht schmeichelhaft.
Schon seit Längerem erleben Praktiker ihre täglichen Cringe-Momente zum Fremdschämen, wenn über "die KI" gesprochen wird, als handele es sich um eine einheitliche Technologie oder gar eine Person. Wer über "den Strom" sprechen würde, statt leidenschaftlich über Atom versus Wind zu streiten oder verschiedene Anbieter zu vergleichen, würde auf Unverständnis stoßen und Lacher provozieren.
Doch finden es die meisten völlig normal, wenn Menschen etwas von sich geben wie "die KI wird das Klimawandel-Problem lösen", "die KI ist eine Menschheitsgefahr", "nutzt Du die KI schon?" oder "die KI muss reguliert werden". Mehr Details oder gar Substanz sucht man dann oft vergebens.
Doch natürlich beklagt jede Zukunft, dass man sie nicht hinreichend differenziert wahrnimmt – ist es bei KI wirklich so schlimm? Das wollten wir herausfinden und haben darauf unsere Analysealgorithmen angesetzt.
KI untersucht die Wahrnehmung von KI: Willkommen im Jahr 2023
Mit eigenen Language Models haben wir ab Mai 2022 alle öffentlichen Äußerungen im gesamten deutschsprachigen Netz untersucht – inklusive der Reaktionen darauf. Aus über 700.000 Beiträgen und 900.000 Reaktionen haben die neuronalen Netze eine Landkarte erstellt, die empirisch zeigt, welche Themen die Deutschen im Kontext KI bewegen und wie diese miteinander zusammenhängen.
Für diese Themen haben wir ermittelt, was die Menschen im Land dazu bei Google suchen und wie sich Zahl und Art der Suchanfragen (ganz wichtig: die realen Zahlen, nicht die unzuverlässigen Index-Werte bei Google Trends) über die letzten vier Jahre verändert hat.
Über 35 Millionen Suchanfragen flossen in Machine-Learning-gestützte Trendanalysen ein, die zeigen, wie sich die Nachfrage je Thema über die Zeit entwickelt und welche künftige Entwicklung erwartbar ist.
So haben wir das bisher wohl vollständigste Bild dazu gewonnen, was KI für uns Deutsche bedeutet, was uns dazu umtreibt und wie wir uns ihr nähern – und zwar, das ist die Pointe, fast komplett automatisch und mit KI.
Das Ergebnis hat uns einerseits bestätigt – andererseits aber auch überrascht und beunruhigt.
Generative AI wird zum Synonym für KI: Ich prompte, also bin ich
Bestätigt sehen wir uns im professionellen Klagen über die undifferenzierte Wahrnehmung von KI. Nur, dass diese noch viel krasser verengt ist, als wir vorher gedacht hätten. Seit dem Siegeszug von ChatGPT und Midjourney ist Generative AI zum Synonym für KI als Ganzes geworden.
Nicht nur für Privatanwender, auch für Unternehmen besteht Künstliche Intelligenz derzeit oft in erster Linie darin, Cloud-Anwendungen zu prompten [also Input-Texte wie bei Google-Suchanfragen eingeben], um sich dann von diesen Texte, Bilder und gelegentlich Code erstellen zu lassen. Oder sie für Recherchen zu nutzen – von Hausaufgaben bis Business Cases, obwohl sich inzwischen herumgesprochen haben sollte, dass Generative AI als "Geschichtenerzähler" nicht gemacht ist dafür, zuverlässig belastbare Informationen zu beschaffen.
Andere Anwendungen von KI kommen in der öffentlichen Wahrnehmung kaum noch vor und werden auch immer weniger gesucht. Dass analytische KI zur Optimierung betrieblicher Prozesse von der Produktion bis in den Vertrieb seit Jahren Wertschöpfung in Milliardenhöhe schafft, ist genauso zu einer Fußnote geworden, wie dass Künstliche Intelligenz in IOT-Anwendungen unsichtbar und ohne Anerkennung Unglücke verhindert, in dem sie Züge, Flugzeuge und Industriekomponenten rechtzeitig in die Wartung schickt.
Auch die Rolle von KI im zunehmend automatisierten Handel mit Aktien, Gütern und Werbeplätzen ist als Thema aus der Aufmerksamkeit verschwunden – obwohl es sich um Multimilliarden-Industrien handelt.
Die Einfachheit, mit der jeder ein Web-Frontend dazu bringen kann, ihm ein Gedicht zu schreiben, ein Werbebild zu gestalten oder Code zu überprüfen, hat das Thema für völlig neue Nutzerschichten eröffnet und damit alle anderen Aspekte verdrängt – und zwar auch bei jenen, die diese eigentlich durchaus auf dem Schirm hatten.
Eine Goldgräberstimmung, die Risiken ausblendet
Die leichte Zugänglichkeit führt zu einer wahren Goldgräberstimmung. Einer der stärksten Trends, die wir je gemessen haben, ist jener zur Gewinnerzielung mit Generativer AI. Von der Vermarktung ChatGPT-generierter Texte oder Midjourney-generierter Bilder über Software- und Beratungsprodukte auf Basis dieser Technologien bis hin zu Schülern und Studenten, die Hausaufgaben und Seminararbeiten an den Bot delegieren: Immer mehr Menschen versuchen immer schneller, Geschäftsmodelle auf Generative AI aufzubauen oder diese Art von KI in ihre eigenen Produkte und Prozesse einzubinden.
Weder in der öffentlichen Diskussion noch in der persönlichen Informationssuche spielt dabei eine Rolle, dass viele zentrale Aspekte hierzu völlig ungeklärt sind, die eigentlich jeden Nutzer – besonders in Unternehmen – umtreiben müssten: Wie viel verrate ich mit meinen Prompts einem US-Unternehmen über meine einzigartige Geschäftsidee? Trainiere ich mit meinem Input Modelle, von denen dann meine Konkurrenz profitiert?
Was ist mit dem Copyright für Text, Grafik und Software, die mir der Algorithmus schreibt? Wie steht es um meine Anwendungen, wenn ein Player wie Open AI über Nacht seine API schließt, seine Leistung drosselt oder den Preis vervielfacht?
Wie gehe ich bei Nutzung einer Blackbox, die ihre Quellen und Modelle niemals offenlegt, damit um, wenn Prüfer, Aufsichtsräte oder gar Gerichte wissen möchten, wie ich zu meiner Entscheidung gekommen bin oder wie mein Produkt eigentlich funktioniert?
Während in Fachkreisen und zunehmend auch in der Politik das Thema "Explainable AI" ganz, ganz langsam anrollt, werden diese Elefanten im Raum draußen im Land fröhlich ignoriert.
Das könnte man als die übliche Anfangseuphorie für eine neue Technologie abtun – wenn unsere Daten nicht eine wirklich besorgniserregende parallele Entwicklung aufgezeigt hätten.