Im Kriegsjournalismus

Cäsar vor dem Überschreiten des Rubikons. Danach gab's kein Zurück mehr. Bild: Müller-Baden, Emanuel (Hrsg.), gemeinfrei

Das Magazin Rubikon ist mit Elan als Alternativmedium angetreten. Seither sieht sich die Leitung zunehmend von einer "Diktatur" bedroht. Wer Kritik übt oder die Reihen verlässt, gilt als Nestbeschmutzer

Selten ist ein Online-Medium mit einer solchen Verve angetreten wie die Seite Rubikon. Als "Magazin für die kritische Masse" war das Projekt im Jahr 2017 online gegangen und hat in kürzester Zeit zahlreiche namhafte Autoren rekrutiert. Die Selbstbeschreibung wirkt rückblickend unfreiwillig ehrlich. Rubikon sammelte massiv Beiträge ein und bat Journalistinnen und Journalisten wortwörtlich massenhaft um Beiträge; gleich, ob in Erst- oder Zweitverwertung; gleich welches Genre. Man setzte auf viel Inhalt und schnelles Wachstum.

Doch was schnell wächst, droht schnell in sich zusammenzufallen. Längst schon ist bei Rubikon ein weiterer, weniger öffentlich ausgetragener Trend zu verzeichnen. Autoren haben die Mitarbeit beendet, vielen ist die Enttäuschung über den Kurs der Redaktion anzumerken. Was einst scheinbar als gemeinsames Projekt begann, sei zusehends zentral gesteuert worden, schildern ehemalige Mitarbeiter. Das wirkt sich auch auf die Inhalte aus.

Rubikon habe - wie auch zahlreiche andere kritische emanzipatorische Medien - die für einen pluralen, demokratischen Diskurs wichtige Funktion, sich den Einschränkungen des öffentlichen Debattenraumes entgegenzustellen, heißt es nun in einer öffentlichen Erklärung. Trotz dieser versöhnlichen Worte haben die Publizistin Daniela Dahn, der Psychologe Rainer Mausfeld, der Politologe und Soziologe Hans See und der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Ernährung, Jean Ziegler, mit dem Dokument ihren Austritt aus dem Rubikon-Beirat bekannt gegeben.

Vorangegangen war eine Debatte, die ein zentrales Dilemma des Projektes hinweist: Die Offenheit der Debatten, die nach außen gefordert wird, wird nach innen mutmaßlich nicht gewährt. Bei Dahn, Mausfeld, See und Ziegler klingt das so: "Leider sehen wir jedoch eine solche Funktion durch einige Entwicklungen des Rubikon sowohl inhaltlicher als auch editorialer Art gefährdet." Man habe versucht, diese Position im Magazin abzubilden, dies sei jedoch abgelehnt worden.

"Krieg", "Diktatur", "Überwachung", "Globale Neuordnung"

Glaubt man ehemaligen festen und freien Mitarbeitern und liest man die nach Phasen der Funkstille immer wieder massenhaft eintrudelnden E-Mails von Herausgeber Jens Wernicke, wird man den Eindruck nicht los, dass sich die Rubikon-Leitung umzingelt sieht. Von "Zensur" ist da die Rede, von "Manipulation", "schrecklichem Sterben", "politischen Erdbeben", "Bürgerkrieg", "Diktatur", "Überwachung", "globaler Neuordnung" und "Revolution".

Und wenn man im Krieg ist, oder sich im Krieg fühlt, dann gibt es auch Opfer. Das kann ein Redakteur sein, dem gekündigt wird, nachdem er seiner Aufgabe nachgekommen und eingereichte Beiträge redigiert hat; dem daraufhin vorgeworfen wird, er habe die Rubikon-Regeln infrage gestellt und dem Projekt geschadet. Das können Beitratsmitglieder sein, die ihre Aufgabe ernst genommen haben und über den Kurs des Projektes diskutieren wollten. Freilich ohne Erfolg: Man habe Wernicke "in der Vermittlung seiner Entscheidungen als autoritär" erlebt, heißt es in der Austrittserklärung von Dahn, Mausfeld, See und Ziegler: "So als billige er dem Beirat nur die Funktion eines Aushängeschildes und Werbeträgers zu."

Der so Gescholtene wehrt sich wie gehabt. Auf Telepolis-Nachfrage erklärte Wernicke den Vierfachaustritt mit "politischen Differenzen zur Corona-Politik der Regierung". Was folgt, ist ein zu erwartender Angriff nach dem Motto "Wer nicht (mehr) für mich ist, ist gegen mich":

Nicht alle Intellektuellen, die gerade in dieser schweren Zeit ihre Stimme erheben könnten und sollten, sind dazu bereit oder willens, die Klarheit und Entschlossenheit, mit welcher der Rubikon die Manipulationen und Lügen der Regierungen dekonstruiert, mitzutragen. Die vorgebrachten Diffamierungen entbehren jeder Grundlage und jedes Beleges - es handelt sich teilweise sogar um falsche Tatsachenbehauptungen.

Jens Wernicke

Auf eine Telepolis-Nachfrage, um welche falschen Tatsachenbehauptungen es sich handelt, antwortete Wernicke inhaltlich nicht mehr.

"Halte den Corona-Faschismus nicht mehr aus"

An der Abwanderung von Autoren und Unterstützern beim "Magazin für die kritische Masse" hat Wernicke offenbar einen erheblichen Anteil. Für Verunsicherung sorgte schon eine halböffentliche Rundmail an Hunderte Adressaten, in der er Mitte Oktober vergangenen Jahres seine Flucht aus Deutschland ankündigte. "Damit Ihr Bescheid wisst: Ich verlasse morgen längerfristig das Land, denn ich halte den Corona-Faschismus nicht mehr aus", hieß es darin.

Er setze sich daher "morgen in aller Herrgottsfrühe" in ein südamerikanisches Land ab: "keine Regeln, keine Masken, keine Toten, welch Wunder". Er wolle fortan eine "rechtssichere Auslandsstruktur für den Fall der voranschreitenden Diktatur" schaffen, und "vor Ort (…) andere Strukturen aufbauen, die sich dann der europäischen Exekutive entziehen".

Ob die Exilierung ein Fake war, vermochte Telepolis nicht zu verifizieren. Der Rückzug war es. Wenig später meldete sich Wernicke wort- und nachrichtenreich wieder. Sein Einfluss scheint ungebrochen.

Spricht man über all dies mit ehemaligen Autoren und Unterstützern des alternativen Medienprojektes, ist deren Bedauern so offensichtlich wie die Intention, sich im Guten zu trennen. Daniela Dahn etwa mochte der kollektiven Erklärung der ehemaligen Beiräte nichts mehr hinzufügen, auch Jean Ziegler bat auf Telepolis-Nachfrage nicht weiter zitiert zu werden.

Verhalten bis versöhnlich klingt auch das Urteil von Telepolis-Autor Wolf Wetzel, der bis zur Abkehr von Rubikon eine Weile für dieses Magazin schrieb. Schon 2017, so Wetzel, seien die Bedingungen schwer gewesen. "Es trotzdem zu wagen, gegen die widrigen Umstände und gleichzeitig gegen den Strom schwimmen zu wollen, ist eine große Anstrengung, die nicht viele in Kauf nehmen." Es gehe dabei nicht nur um die finanziellen Mittel, sondern auch um ein politisches Selbstverständnis, das man in einem Prozess finden müsse.

Was man im Sinne des Projektes Rubikon kritisieren muss, ist die Weigerung, diese notwendige Debatte, also auch den Widerspruch dazu, selbst zu führen. Diese fehlende Souveränität, mit den Gegenargumenten zu streiten, dabei einem gemeinsamen Umgang zu (er-)lernen, in dem (historischen) Wissen, dass die Linke gerade kein Garant für vorausschauende Analysen und Prognosen ist, ist sehr bedauerlich - und das Gegenteil von dem, was zu Beginn den Reiz an Rubikon ausgemacht hat.

Wolf Wetzel

Was ist die Lehre für alternative Medien?

All das hatte sich früh abgezeichnet. Nicht allzu lange nach der Gründung von Rubikon hatte sich die Journalistin und Filmemacherin Gaby Weber von dem Projekt Rubikon verabschiedet – und die Machtkonzentration auf Wernicke kritisiert: "Ich halte die Trennung von Geschäftsführung und Redaktion für absolut notwendig. Das ist bei Rubikon nicht der Fall, weil alle Entscheidungen über Wernicke laufen. Es fehlt Transparenz."

Weber führte damals auch ihre journalistische Kritik aus: an einem Text mit der Forderung zur Abschaffung der Schulpflicht, an der Forderung nach einem "linken Populismus" und an einem Text, in dem das nordkoreanische Atomprogramm als "korrekte Antwort auf die US-Provokationen" bezeichnet wurde.

Ähnlich liest sich nun die Kritik von Dahn, Mausfeld, See und Ziegler: "Der von uns wahrgenommene hohe Grad an Selektivität, eine nicht selten mangelnde analytische Sachlichkeit sowie schrille Töne in der Darstellung bergen nach unserer Überzeugung die Gefahr, dass aus dem Rubikon selbst ein komplementäres Mainstream-Medium wird, das gleichsam mit umgekehrtem Vorzeichen die kritisierten Eigenschaften der Mainstream-Medien wiederholt."

Die Debatte und der Niedergang des Projektes sollte alternativen Medien, also jenen, die sich als unabhängig von großen Medienkonzernen oder den öffentlich-rechtlichen Redaktionen mit ihren politischen Abhängigkeiten verstehen, eine Lehre sein. Wer die Verfasstheit führender Medien und herrschende Diskurse kritisiert, darf deren Fehler nicht spiegeln, sondern muss es auf jeder Ebene und in jedweder Hinsicht zumindest besser zu machen versuchen. Ansonsten landet jedes alternative Medium in der selbstgestellten Falle. In der Gegeninformationsfalle.