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Im Schatten des Terrors: Wie sich der Energiekrieg zwischen Russland und Ukraine aufheizt

Nach russischem Angriff: Brand in einer Energieinfrastrukturanlage in der ukrainischen Region Kiew am 27. Oktober 2022. Die Stromversorgung wurde dadurch eingeschränkt. Bild: State Emergency Service of Ukraine / CC BY 4.0 Deed

Moskau bombardiert Staudammkraftwerk, das AKW Saporischschja mit Strom versorgt. Ukraine attackiert Raffinerien. Warum diese Angriffe äußerst gefährlich sind.

Vor dem Hintergrund des schrecklichen Terroranschlags in Moskau [1] – bei dem mindestens 133 Menschen getötet wurden, zu dem sich die islamistische Gruppe Isis bekannte (inklusive [2] Fotos und Videos der Täter), während Moskau von einer ukrainischen Beteiligung spricht (ohne Belege dafür vorzulegen) – hat Russland den dritten massiven Raketenangriff [3] in Folge auf die Ukraine gestartet.

Auch die Regionen Charkiw und Lwiw wurden bombardiert. Eine Person wurde dabei getötet. Die militärische Eskalation hat die polnischen Streitkräfte in erhöhte Bereitschaft versetzt [4]. Es wird befürchtet, dass der russische Präsident Wladimir Putin den Terroranschlag in Moskau benutzt, um den Krieg zu intensivieren.

Größter Angriff auf Energieinfrastruktur der Ukraine

Schon am Donnerstag hatte es schwere Angriffe [5] auf Kiew gegeben, die 17 Bewohner der Hauptstadt verletzten. Zerstört wurden Wohnhäuser und Industrieanlagen.

Beunruhigend ist zudem ein sich entfaltender "Energiekrieg" zwischen Russland und der Ukraine. Bei Angriffen am Freitag [6], bei denen rund 60 Drohnen und 90 Raketen eingesetzt sowie mindestens zwei Menschen getötet und zahlreiche verletzt wurden, traf das russische Militär auch das größte Staudamm-Kraftwerk der Ukraine, während die Stromversorgung des von Russland besetzten Kernkraftwerks Saporischschja unterbrochen wurde, so ukrainische Behörden [7].

Volodymyr Kudrytskyi, Leiter des staatlichen Energieversorgers Ukrenergo, bezeichnete die Bombardierungswelle vom Freitag als den größten Angriff auf die Energieinfrastruktur der Ukraine seit Beginn des Krieges.

Das riesige Wasserkraftwerk Dnipro stellte seinen Betrieb ein, nachdem es von mindestens sechs Raketen getroffen worden war, was massive Schäden verursachte.

Stromversorgung von Kernkraftwerk Saporischschja unterbrochen

Ihor Syrota, der Leiter des Unternehmens Ukrhidroenergo, das die Wasserkraftwerke des Landes beaufsichtigt, sagte [8], das Kraftwerk habe etwa ein Drittel seiner Erzeugungskapazität verloren, was einen "erheblichen Verlust für das ukrainische Energiesystem" bedeute.

Das Wasserkraftwerk versorgt zugleich das Kernkraftwerk in Saporischschja, das größte in Europa, mit Strom. Der Leiter der Internationalen Atomenergiebehörde, Rafael Grossi, erklärte am frühen Freitag [9], dass die Stromversorgung des Kernkraftwerks mehrere Stunden lang unterbrochen war, bevor sie wiederhergestellt werden konnte. Russland hatte das Kraftwerk im März 2022 beschlagnahmt.

Der Damm des Wasserkraftwerks drohe nicht zu brechen, erklärte zugleich die Wasserkraftbehörde des Landes. Ein Dammbruch könnte nicht nur die Versorgung des Kernkraftwerks unterbrechen, sondern auch schwere Überschwemmungen verursachen, ähnlich wie im vergangenen Jahr, als der große Kachowka-Staudamm [10] weiter flussabwärts des Dnipro zusammenbrach.

Die Reaktoren vom Atomkraftwerk Saporischschja sind zwar abgeschaltet, benötigen aber eine konstante Stromversorgung, um sie kühl zu halten und das Schmelzen der Uranbrennstäbe zu verhindern. Innerhalb weniger Stunden sei die unterbrochene Leitung wieder angeschlossen worden, erklärte Energoatom [11].

Extrem gefährlich

"Eine solche Situation ist extrem gefährlich und droht, in einem Notfall zu enden", warnt Petro Kotin [12], Leiter von Energoatom, zuvor auf Telegramm. Das Kraftwerk war während des Krieges mehrmals von der Stromversorgung abgeschnitten und musste auf Dieselgeneratoren zurückzugreifen, was nach offiziellen Angaben ein erhöhtes Risiko eines nuklearen Unfalls darstellt.

Im Zuge der Angriffe sollen 200.000 Menschen in der Region Odessa keine durchgängige Stromversorgung erhalten haben [13]. Viele ukrainische Bürger saßen in mehreren Städten im Dunkeln, mindestens fünf Menschen kamen ums Leben [14].

"Das Ziel ist nicht nur die Zerstörung, sondern der erneute Versuch, wie im letzten Jahr die Energieinfrastruktur massiv zu stören", schrieb der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko [15] auf Facebook.

Im Winter 2022/2023 hatte Moskau schon einmal die Energieinfrastruktur ins Visier genommen, nachdem der Blitzkrieg zur Übernahme der gesamten Ukraine gescheitert war.

Droht ein fataler Dammbruch am Dnipro?

Neben der Gefahr eines nuklearen Unfalls [16] im Kernkraftwerk Saporischschja warnen Beobachter vor den Folgen eines Dammbruchs. Am meisten Besorgnis lösten daher am Freitag Schläge aus, die den Damm der beiden Dniprovska-Wasserkraftwerke ins Visier nahmen.

Der Analyst Ihar Tyshkevich sagte gegenüber Al Jazeera [17], dass die Schnee- und Eisschmelze im Oberlauf des Dnipro bereits ein Frühjahrshochwasser ausgelöst habe, das innerhalb eines Monats seinen Höchststand erreichen wird.

Stellen Sie sich vor, nur ein einziger Damm würde getroffen.

Die zunehmenden Angriffe Russlands auf die Energieversorgung der Ukraine scheinen in Reaktion auf eine Reihe von ukrainischen Schlägen auf russisches Territorium in letzter Zeit stattzufinden.

Ukraine bombardiert russische Ölraffinerien

Seit Januar hat Kiew mindestens neun Ölraffinerien im Westen Russlands sowie Depots, Terminals und Lagereinrichtungen angegriffen [18], wodurch die Kapazität der Ölverarbeitung Russlands nach Berechnungen von Reuters um sieben Prozent gesunken ist [19].

Die Angriffe versetzten Moskaus wichtigste Quelle für Exporteinnahmen, mit denen der Krieg in der Ukraine trotz der vom Westen verhängten Sanktionen finanziert wird, einen schweren Schlag. Washington forderte Kiew nun auf, die Angriffe auf die Raffinerien einzustellen [20], da sie den Konflikt eskalieren könnten.

Die Verdopplung der Angriffe der russischen Streitkräfte in dieser Woche könnten zugleich ein Signal des Aufbruchs darstellen. So erklärte der Kiewer Analyst Aleksey Kushch gegenüber Al Jazeera [21]:

Man könnte es als eine neue Operation betrachten, die den Auftakt zu Russlands Sommeroffensive bilden soll.


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https://www.heise.de/-9664343

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Terroranschlag-in-Moskauer-Konzerthalle-Warum-Vorsicht-bei-Taeter-Spekulationen-geboten-ist-9663963.html?seite=all
[2] https://www.theguardian.com/world/2024/mar/24/new-islamic-state-videos-back-claim-it-carried-out-moscow-concert-hall-attack
[3] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ukraine-russland-angriffe-kiew-krim-100.html
[4] https://www.theguardian.com/world/2024/mar/24/poland-activates-air-force-as-western-ukraine-and-kyiv-come-under-massive-russian-attack
[5] https://www.aljazeera.com/news/2024/3/21/wave-of-russian-missiles-strikes-ukraines-kyiv-wounds-more-than-10?traffic_source=KeepReading
[6] https://apnews.com/article/ukraine-russia-war-electric-power-attack-90218fcbed4fbf196aa8148a4aae6239
[7] https://apnews.com/article/ukraine-russia-war-electric-power-attack-90218fcbed4fbf196aa8148a4aae6239
[8] https://kyivindependent.com/ukrhydroenergo-zaporizhzhias-dnipro-hydroelectric-power-plant-lost-about-3rd-of-generation-capacity/
[9] https://apnews.com/article/ukraine-russia-war-electric-power-attack-90218fcbed4fbf196aa8148a4aae6239
[10] https://www.telepolis.de/features/Ist-Russland-fuer-Damm-Sprengung-in-Ukraine-verantwortlich-zu-machen-9184109.html
[11] https://www.reuters.com/world/europe/ukraine-says-occupied-zaporizhzhia-nuclear-power-plant-verge-blackout-2024-03-22/
[12] https://www.reuters.com/world/europe/ukraine-says-occupied-zaporizhzhia-nuclear-power-plant-verge-blackout-2024-03-22/
[13] https://apnews.com/article/ukraine-russia-war-electric-power-attack-90218fcbed4fbf196aa8148a4aae6239
[14] https://apnews.com/article/ukraine-russia-war-electric-power-attack-90218fcbed4fbf196aa8148a4aae6239
[15] https://www.pravda.com.ua/eng/news/2024/03/22/7447620/
[16] https://www.aa.com.tr/en/world/security-situation-at-zaporizhzhia-nuclear-power-plant-extremely-fragile-iaea/3119146
[17] https://www.aljazeera.com/news/2024/3/23/imagine-if-just-one-dam-is-hit-russian-ukrainian-energy-war-heats-up
[18] https://www.theguardian.com/world/2024/mar/17/ukraine-oil-electricity-drone-attacks-russia
[19] https://www.reuters.com/markets/commodities/oil-prices-rise-tighter-supply-geopolitical-risks-2024-03-18/
[20] https://www.politico.eu/article/report-us-urges-ukraine-stop-attacking-russian-oil-refineries/
[21] https://www.aljazeera.com/news/2024/3/23/imagine-if-just-one-dam-is-hit-russian-ukrainian-energy-war-heats-up