Im Strudel der Gefängnisindustrie

Eine aktuelle US-Studie stellt fest: Je mehr Geld in den Strafvollzug gesteckt wird, um so mehr Strafgefangene werden frisch eingeliefert

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Die Vereinigten Staaten von Amerika sind Weltmeister. Zumindest was den Strafvollzug angeht. Von den 288 Millionen Bürgern der USA befinden sich in diesem Augenblick 2.2 Millionen Menschen im Gefängnis. Das ist unangefochten Weltspitze. Da können Schurkenregime wie Iran oder Nordkorea nur vor Neid erblassen: In den USA kommen auf 100.000 Bürger 737 Strafgefangene (Stand: Ende 2005). Putins Russland ist mit 607 Strafgefangenen auf Hunderttausend Zweiter. Die Bronzemedaille geht an Kuba mit 487 Gefängnisinsassen. Bescheiden nehmen sich da geradezu die 98 Strafgefangenen aus, die in Deutschland im Jahre 2004 auf je Hunderttausend Einwohner kamen.

Aber das ist noch nicht alles. Insgesamt 7 Millionen US-Bürger verfügen in diesem Augenblick nicht über die von der Verfassung garantierte Freiheit. Wenn sie nicht hinter Gittern sitzen, unterliegen sie der staatlichen Vormundschaft durch Bewährungsstrafe, Freigang oder auferlegte Arbeitsleistungen. Das bürdet dem Steuerzahler beträchtliche Abgaben auf. Die Kosten für Strafjustiz schnellten von 1983 bis 2003 von 36 Milliarden Dollar auf stolze 186 Milliarden Dollar hoch.

Nach herrschender Logik der Law-and-Order-Befürworter aller Länder sollte härtere Bestrafung von Delikten zu einer wirkungsvollen Verbrechensbekämpfung durch Abschreckung führen. Dem steht aber die nüchterne Sprache der Statistik entgegen. In den USA oszillierte die Zahl der Gefängnisinsassen nämlich bis 1970 immer – abgesehen von den beiden Weltkriegen – um 200.000 Personen. Dann zog die Schraube der Gefängniseinlieferungen dramatisch an und ihre Zahl ist bis heute um den Faktor 11 angestiegen. Die Abschreckung scheint also auszubleiben. Sind die US-Bürger heute tatsächlich elfmal so kriminell wie vor 35 Jahren?

Folsom Prison

Die private Stiftung Justice Policy Institute plädiert in den USA seit Jahren für ein Umdenken weg vom Staat der harten Strafen hin zu mehr sozialer Vorsorge und Betreuung. Das JPI hat aktuell im Dezember eine Studie veröffentlicht. Es geht um die Frage: wie konnte es zu diesem spektakulären Wachstum des Gefängniswesens im Land der unbegrenzten Möglichkeiten kommen? Die Studie richtet ihr Augenmerk auf zwei Faktoren, die beim raschen Wachstum des Strafvollzugs eine besondere Rolle spielen: nämlich auf den Umgang mit Drogendelikten sowie mit ethnischen Minderheiten. Die Forscher der JPI verglichen die Daten des Jahres 2002 zu Strafverfolgung und Strafvollzug in jenen 198 Landkreisen (Counties), die mehr als 250.000 Einwohner haben.

Zwischen den Counties zeigen sich extreme Unterschiede. In Mecklenburg County im Bundesstaat North Carolina wurden auf 100.000 Einwohner gerade mal 2.57 Gefängniseinweisungen bei Drogendelikten vermeldet, während in Kern County in Kalifornien sage und schreibe 320 Einweisungen auf 100.000 Bürger kamen – 124 mal so viel. Und dass es sich hier nicht um eine vereinzelte Diskrepanz handelt, belegt die Studie ausführlich. Zunächst fallen extreme Unterschiede auf, die ein Wohlstandsgefälle abbilden. Die Counties mit der höchsten Arbeitslosigkeit liefern Drogendelinquenten dreimal häufiger ins Gefängnis ein als jene Counties mit wenig Arbeitslosigkeit. Counties mit hoher Quote an armen Mitbürgern inhaftieren sechsmal häufiger als solche mit wenig Armut. Das ist insofern erstaunlich, weil der Drogenkonsum in den USA regional nicht in diesem extremen Maß differiert. Eine landesweite Telefonumfrage ergab 2002, dass im Bundesstaat Iowa 6.1% der Befragten in den letzten dreißig Tagen Drogen konsumiert hatten. In Alaska waren es 12.2%. Diese beiden Extremwerte liegen also lediglich um den Faktor 2 auseinander.

Besonders groß ist die Neigung der Behörden, Afroamerikaner zu einer Gefängnisstrafe zu verdonnern. Die Afroamerikaner stellen lediglich 13% der US-Bevölkerung, sind aber zu 51% wegen Drogendelikten im Strafvollzug. Entgegen landläufiger Meinung konsumieren Afroamerikaner aber weniger Drogen als die Weißen. Das Kokain-Derivat Crack ist eine Droge der armen Leute. Ein Viertel aller Crack-Konsumenten sind Afroamerikaner. Jedoch 80% aller wegen Crack-Besitz oder Crack-Dealerei Verurteilten gehören der afroamerikanischen Community an. Obwohl die absolute Zahl weißer Drogenkonsumenten die Anzahl der afroamerikanischen Drogenkonsumenten um das Fünffache übersteigt, wurden im Jahre 2002 28.314 Weiße wegen dieser Vergehen ins Gefängnis eingewiesen. Jedoch mussten mehr als zweimal so viele Afroamerikaner (62.087 Personen) den Weg in den geschlossenen Strafvollzug antreten.

Ist also das Gefängniswachstum der letzten Jahrzehnte hauptsächlich Ausdruck eines grassierenden Rassismus gegen die Afroamerikaner? Handelt es sich um einen maskierten Rassismus, wie die afroamerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis? Das JPI hat Empfehlungen für Gerichtsurteile sowie Urteilsbegründungen verglichen. Tatsächlich neigen US-Juristen dazu, schwarzen jugendlichen Angeklagten persönliche Verfehlungen anzukreiden, während bei der Beurteilung weißer jugendlicher Delinquenten zugute gehalten wird, sie seien ein Opfer ihrer Umgebung geworden. Weiße Delinquenten können sich doppelt so oft auf Rechtsbeistand verlassen wie Schwarze. Und auch Therapieplätze stehen für Afroamerikaner in erheblich geringerem Umfang zur Verfügung als für Weiße.

Jedoch war der Rassismus gegen die Schwarzen in jenen Jahrzehnten, als sich die Gefangenenpopulation um die 200.000 Personen einpendelte, mindestens genau so schlimm wie heute. Die Kriminalitätsrate hat sich auch in den letzten Jahrzehnten kaum verändert gegenüber früheren Epochen. Sie war sogar während der neunziger Jahre leicht rückläufig. Und dennoch das explosionsartige Wachstum der Gefängnisse.

Nicht die Kriminalitätsrate in einem County entscheidet über die Zahl der Strafgefangenen, sondern die Ausgaben für Strafverfolgung und -vollzu

In diesem Zusammenhang wartet die JPI-Studie mit einer weiteren erstaunlichen Erkenntnis auf. Es liegt nämlich im Ermessen der Counties, wieviel Geld sie für Strafverfolgung und -vollzug aufwenden wollen. Die Untersuchung stellt nun fest: Je mehr ein County für die beiden Bereiche ausgibt, umso mehr Strafgefangene werden hervorgebracht. Um sicher zu gehen, hat die JPI ihren Befund mit den Daten über Arbeitslosigkeit, Armut und ethnische Zusammensetzung in den einzelnen Counties abgeglichen.

Leavenworth

Extrembeispiel: Orleans Parish im Bundesstaat Louisiana, verglichen mit Lancaster County in Nebraska. Die Kriminalitätsrate ist in beiden Counties in etwa gleich. In Orleans Parish machen die öffentlichen Ausgaben für Strafverfolgung und Strafvollzug 6% des Etats aus. Jeder Bürger in diesem Landkreis muss pro Jahr 222 Dollar für diesen Bereich an Steuern berappen. Lancaster County dagegen kommt mit 3%-Etat-Anteil aus, und die Bürger sind mit 113 Dollar pro Jahr dabei. In Lancaster County werden 20 von hunderttausend Bürgern ins Gefängnis eingewiesen. Im ausgabefreudigeren Orleans Parish werden 250 von hunderttausend Bürgern hinter Gitter gebracht – also mehr als zwölfmal so viel Bürger! Die beiden Counties repräsentieren Extremwerte einer breiten Streuung. Die JPI-Forscher haben die Counties in vier Gruppen aufgeteilt, vom Viertel mit den höchsten Werten zu jenen mit den niedrigsten Werten. Im Vergleich der Ausgaben der Counties für Polizeiarbeit und Justiz ergab sich, dass die ausgabefreudigsten Counties ihre Bürger im Schnitt dreimal so häufig ins Gefängnis schickten wie die sparsameren Counties.

Der Zuwachs im Polizei- und Justizetat geht fast immer zu Lasten von Programmen sozialer Verbrechensvorbeugung und Betreuung von Menschen in gesellschaftlichen Brennpunkten. Erkennbar wird mithilfe der vom JPI gezeigten Zahlen eine immer gefräßigere Gefängnismaschine, die immer mehr Bürger in den Strudel der Krminalisiserung hineinzieht.

Wer einmal aus dem Blechnapf aß, dem wird in der wiedererlangten Freiheit meistens die Fahrerlaubnis entzogen. Das wirkt in den auf das Automobil fixierten USA wie ein soziales Todesurteil. Das Wahlrecht wird eingeschränkt. Weiteres menschliches Futter erhält die Gefängnismaschine durch Gesetze, die Richtern bei bestimmten Drogendelikten vorschreibt, auf jeden Fall eine Haftstrafe zu verhängen. Selbst bei der Höhe der Haftstrafe hat der Gesetzgeber Mindesthaftstrafen neu eingeführt, das mandatory minimum. Schon der Besitz kleiner Mengen von Heroin, Crack oder Kokain kann Familienväter für 15 Jahre hinter Gitter bringen. Eine Errungenschaft der Clinton-Ära stellt zudem die three strikes and you are out-Regelung dar: Wer dreimal hintereinander wegen was für einem noch so geringen Vergehen auch immer ins Gefängnis eingeliefert wird, bleibt lebenslänglich im Strafvollzug.

Nun stellen die JPI-Forscher fest, dass sich für eine unbegrenzte Aufblähung der Gefängnismaschine nicht jede Art von Delikten eignet. Da gibt es jene Vergehen, die Opfer zur Folge haben, wie z.B. Gewaltdelikte, also: Mord, Körperverletzung, Nötigung, Raub, Fahrlässigkeit. Dies sind sog. reaktive Vergehen. Der Staat als Gewaltmonopolist muss auf ein solches Verbrechen reagieren. Den Täter sicherstellen und bestrafen. Die Gesellschaft vor weiteren Übeltaten schützen. Bei den reaktiven Vergehen gibt es kein Wachstumspotential. Denn die Zahl der Delikte auf diesem Gebiet ist über die Jahrzehnte einigermaßen gleich geblieben.

War on Drugs

Wege des Wachstums für die Gefängnismaschine bieten sich dagegen bei den opferlosen Vergehen. Wenn kein Verbrechensopfer zu beklagen ist, muss der Staat nicht eingreifen. Er schafft sich sein Tätigkeitsfeld selber, indem er Kriterien konstruiert, wen er verfolgen will und wen nicht. Zu diesen Vergehen gehört u.a. der Bereich Drogenhandel und –besitz. Die Breite des Ermessensspielraums des Staates wird in diesem Bereich deutlich, wenn einerseits der Handel und Besitz von Alkohol erlaubt wird, obwohl von stark alkoholisierten Mitbürgern extreme Gefahren ausgehen; andererseits der Besitz von Haschisch verboten ist, obwohl nachweislich von diesem Genussmittel keine Gefahren für die Gemeinschaft ausgehen.

Und hier deutet die JPI-Studie auf jene unheimliche Symbiose des vom damaligen US-Präsidenten Richard Nixon 1971 verkündeten „War on Drugs“, dem Krieg gegen die Drogen, und dem im gleichen Jahr einsetzenden Wachstum der Gefängnismaschine. Scheinbar war der Krieg gegen Drogen eine ehrbare Bestrebung, Menschen von der Heroin-Nadel zu befreien. Tatsächlich diente der Drogenkrieg ganz anderen Zwecken. Zum einen konnten US-Streitkräfte unter einem „humanitären“ Deckmantel in souveräne Staaten implantiert werden. So besetzen US-„Drogenkrieger“ heute nicht nur Kolumbien, sondern auch die Philippinen – rein zufällig - in jener Region der Inselgruppe Mindanao, wo sich islamistische Aufständische befinden.

Im Jahre 1998 gelang es der Clinton-Regierung, eine Sondervollversammlung der Vereinten Nationen einberufen zu lassen, in der sich die Regierungen der Weltgemeinschaft auf das absurde Ziel verpflichteten, bis zum Jahre 2008 Drogenanbau, Drogenhandel und Drogenbesitz auf diesem unseren Globus weitgehend auszuradieren. Die US-Regierung wollte sogar die vollständige Vernichtung aller Drogen festschreiben lassen. Restelemente von Zivilcourage bei anderen Regierungen ließ die feierliche Selbstverpflichtung auf „annähernde Vernichtung“ einschwören. Genausogut hätte die Vollversammlung für 2008 die vollständige Vernichtung des Einschlags von Sternschnuppen in die Erdatmosphäre dekretieren können. Vom 12. bis 16. März 2008 wollen nun die Regierungen dieser Welt in Wien nachschauen, wie vernichtet der Drogenhandel nach zehn Jahren darniederliegt. Diesen Schildbürgerstreich werden kommende Menschengenerationen in die Schmunzelecken ihrer Webseiten setzen.

Aber für Millionen Menschen bringt dieser Wahnsinn, der Methode hat, unbeschreibliches Leid. In Lateinamerika werden die Anbauflächen indigener Völker mit giftigen Chemikalien aus US-amerikanischen Antidrogenhubschraubern auf lange Zeit unfruchtbar gemacht. Zum anderen wird das Territorium der USA durchkämmt nach armen Teufeln, die man mit verbotenen Pülverchen aufgreift. Erfolge lassen sich leichter in dicht besiedelten Gebieten erzielen, wo der Drogenhandel offen auf der Straße abgewickelt wird – also in den Slums mit ethnischen Minderheiten, und nicht in den verschlossenen weißen Suburbs der Großstädte. Auf diese Weise kann man der Öffentlichkeit auch immer wieder Bilder liefern von Afroamerikanern, die den ganzen Tag nichts anderes im Kopf haben, als mit Drogen zu dealen.

Der trotz Condoleeza Rice immer noch unübersehbare Rassismus der USA ist der Humus, auf dem die Gefängniswirtschaft blüht und gedeiht. Der Rassismus ist jener Treibstoff, der die Maschine am Laufen hält. Doch das Wachstum der Gefängnisbevölkerung betrifft auch die weiße Mehrheit, wenn auch noch nicht so stark wie die Minderheiten. Immer mehr unbescholtene Bürger geraten in den Strudel der Kriminalisierung. Die krassen Unterschiede im Justizwesen zwischen den Counties sind in erster Linie ein Indikator dafür, wie weit die Propagandisten der Gefängniswirtschaft mit ihrer Agitation bereits in die Köpfe von Kommunalpolitikern eingedrungen sind.

Doch wie kann es angehen, dass verantwortliche Politiker Millionen ihrer Bürger zu Berufskriminellen umschulen? Dass sie ohne Not soziales Kapital: nämlich Selbstachtung der Bürger und gegenseitigen Respekt, gegenseitiges Vertrauen und Vertrauen in die Administration, soziale Kompetenz der Bürger, so einfach auf den Kopf hauen?

Boom der Gefängnisindustrie

Es gehört zu den Bewegungsgesetzen unserer Ökonomie, dass sich einzelne Wirtschaftszweige immer weiter auszudehnen pflegen. Grenzen werden regulierend von der Politik gesetzt. So wie der US-Präsident Franklin D. Roosevelt dem zerstörerischen Wachstum des Risikokapitals Grenzen zu setzen wusste. Oder wie die Nachkriegsordnung von Bretton Woods die überhitzte Kriegsmaschinerie in eine zivile Wirtschaft zurücksteuerte durch die Ankurbelung des Massenkonsums. Aber diese Regulierung wurde durch die Aufblähung des Militär-Industriellen Komplexes Anfang der Fünfziger Jahre außer Kraft gesetzt. Und so wie beim Militär-Industriellen Komplex der politische Wille zur Beschränkung durch staatliche Regulierung fehlte, der Staat selber gar zum willigen Helfer verkam, so schwillt auch der Zwillingsbruder des Militär-Industriellen Komplexes dank vieler williger Helfer im Staatsapparat unreguliert immer weiter an. Die Rede ist von der sog. Sicherheitsindustrie.

Die Sicherheitsindustrie fing an mit privatem Objekt- und Personenschutz, übernimmt Geldtransporte sowie Überwachung öffentlicher Räume. Mittlerweile durchdringt die Sicherheitsindustrie das Gemeinwesen mit einer eigenen „Gesellschaftsphilosophie“. Sicherheitsfirmen übernehmen nicht nur Planung und Bau von Gefängnissen, sondern sie weiten ihre erworbenen Kenntnisse in der Führung von Betrieben auf genuin zivile Bereiche wie Schul-, Universitäts- und Behördenmanagement aus. In ihren Diensten stehen Heerscharen von PR-Experten, Soziologen, Psychologen, Mediziner und Sozialarbeiter.

In den USA befindet sich ein großer Teil der Gefängnisse bereits vollständig in der Hand privater Security-Konzerne. Die Corrections Corporation of America konnte im Jahre 2004 einen satten Gewinn von 1.15 Milliarden US-Dollar einfahren. Der Wert der CCA-Aktie verdoppelte sich im Lauf des Jahres 2006. Gerne schiebt der Staat besonders delikate Aufträge an Private ab. So unterhält die CCA in Florida ein Gefängnis für abgeschobene Einwanderer, die keine Delikte begangen haben, aber trotzdem wie Verbrecher eingesperrt werden.

Die Wackenhut Corrections Corporation gibt es schon seit 1954. Ihr Begründer George Wackenhut kaufte von dem McCarthy-Ausschuss jede Menge Personendateien über „verdächtige Elemente“ – also US-Bürger, die sich irgendwie kritisch zur Tagespolitik geäußert haben. Wackenhut, der seinen Busenfreund George Bush den Älteren mit „Hey Pinco!“ anreden durfte, besaß die persönlichen Daten von 4 Millionen US-Bürgern. Wackenhut verkaufte seinen Security-Konzern nebst Personendateien an die Group 4 Securicor. Dieser Sicherheitskonzern beschäftigt weltweit 500.000 Beschäftigte, davon allein in Deutschland 4.776 Mitarbeiter. Zu deren Aufgaben zählen u.a. „Nuclear Security“ und „Energy Consulting Services“.

Wackenhut und CCA betreiben in den US-Gefängnissen Werkstätten und Fabriken, in denen die Insassen für einen Dollar pro Tag schuften. Die anstelligeren Gefangenen übernehmen zum Billigstlohn Außendienstarbeiten in der Landwirtschaft oder auf Baustellen. Damit wird ortsansässiges mittelständisches Gewerbe kaputtkonkurriert.

Es verdient sich ausgezeichnet im Sicherheitsgewerbe. Etwa 180 Milliarden Dollar weltweit werden schätzungsweise pro Jahr durch Security verdient – Tendenz steil ansteigend, nämlich mit einem jährlichen Wachstum von 8.5%. Rezession? Marktsättigung? Kreditkrise? Das sind absolute Fremdwörter in diesem Gewerbe.

Das lockt zunehmend jene alttestamentarischen Insekten an, die Münte dereinst verfluchte: „Private Equity-Firmen haben angefangen, Erwerbungen in der Sicherheitsindustrie anzustreben. Sie fühlen sich angezogen von der starken cash flow-Charakteristik, durch den enormen Umfang des Marktes, durch zusätzliche Fusionierungsmöglichkeiten und den Wachstumsaussichten, die mit dieser Industrie verbunden sind.“, freut sich Michael Pohlen, Vizepräsident der M&A Group.

In Deutschland hat im expandierenden privaten Gefängnisgeschäft die britische Sicherheitsfirma Serco die Nase vorn. Im hessischen Hünfeld steht bereits ein privat von Serco betriebenes Gefängnis. Die deutsche Verfassung erweist sich noch als Investitionshemmnis. Das Grundgesetz legt nämlich fest, dass nur der Staat als Gewaltmonopolist Menschen ihrer Freiheit berauben darf. Das hat man schlau umgangen. Um die tägliche Hege und Pflege der Gefangenen kümmern sich private Dienstleister. Disziplinieren dürfen die Gefangenen jedoch nur staatliche Beamte.

Mit ähnlicher Rechtskonstruktion werden Privatknäste in Burg (Sachsen-Anhalt), Offenburg und im niedersächsischen Bremervörde gebaut. In Waldeck bei Rostock hat ein privates Konsortium bereits 1996 ein komplettes Gefängnis gebaut, das vom Land Mecklenburg-Vorpommern geleast wird, und dem Land in dreißig Jahren ganz gehören soll. Zu Löhnen, wie sie sonst nur noch in China gezahlt werden, produzieren die Insassen nützliche Waren des täglichen Lebens, und machen damit der deutschen Möbelindustrie Konkurrenz.

Bleibt die Frage: Warum soll es denn nicht genauso profitabel sein, in soziale Prävention von Kriminalität und in die Nachsorge von Straftaten zu investieren? Das Geld dafür kommt doch sowohl bei der Security-Konzeption wie beim Sozialvorsorgemodell aus den Taschen der Steuerzahler? Und beide Verwendungsmöglichkeiten sind in etwa gleichermaßen kostspielig? Als Antwort fällt Befürwortern des strengen Strafvollzugs nur ein: das Volk will hartes Durchgreifen. Das Volk will Blut sehen.

Das entspricht jedoch nicht den Tatsachen. Vielmehr haben Umfragen ergeben, dass die Mehrheiten sich eindeutig zugunsten des sozialen Konzepts aussprechen. Da sich der Strudel der Gefängnisindustrie immer tiefer in die Mitte der US-Gesellschaft frisst, wird es auch dem weißen Bürgertum zunehmend mulmig zumute. Eine Umfrage vom Februar 2002 im Auftrag des Open Society Institute, einer von George Soros unterstützten Stiftung, ergab, dass selbst evangelikale Fundamentalisten und Stammwähler der Republikaner mehrheitlich dafür sind, die Ursachen von Kriminalität durch soziale Maßnahmen anzupacken und nicht durch harte Strafen. 1994 sprachen sich 48% aller Befragten für die soziale Linie aus und 42% für harte Strafen. Im Jahre 2002 waren 65% für soziale Maßnahmen, jedoch nur noch 32% für hartes Durchgreifen. 63% der befragten US-Bürger sehen in Drogenabhängigkeit ein medizinisches Problem, für dessen Behebung Strafe vollkommen ungeeignet ist. Auch jene satte Mehrheit von 55%, die 1995 die Mindeststrafen-Regelung für eine „gute Idee“ hielt, ist mittlerweile auf eine Minderheit von 38% geschrumpft.

Wenn die Zivilgesellschaft noch gerettet werden soll vor dem Tumorwachstum der Sicherheitsindustrie, dann müssen die Bürger allerdings mehr unternehmen, als bei einer Telefonbefragung „ja“ oder „nein“ sagen.