"Impfpflicht wird genauso wie in Österreich scheitern"
Seite 2: Warum ein starres Pandemiemanagement scheitert
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Sie haben schon früh einen Schutz vulnerabler Gruppen vorgeschlagen, statt allgemeine Schutzmaßnahmen einzuführen. Inwieweit hat diese ja nicht nur von Ihnen erhobene Forderung gefruchtet?
Matthias Schrappe: Kaum. Weil etwa die Physikerin und ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Protokoll gegeben hat, es ginge nicht. Experten, die mit der Kontrolle von epidemischen Lagen praktische und wissenschaftliche Erfahrung haben – und nicht nur im Labor beziehungsweise am Computer sitzen –, wurden nicht gefragt.
Die wissen aber, dass ein differenziertes Vorgehen hinsichtlich der Empfänglichkeit den Kern jeder erfolgreichen Kontrolle von Epidemien darstellt. Stattdessen haben wir mit dem undifferenzierten Holzhammer der alleinigen Kontaktbeschränkung gearbeitet, meist einsetzend, wenn die betreffende Welle schon vorbei war.
Inzidenzzahlen, R-Wert, ITS-Auslastung, Testzahlen … Woran sollen wir uns im dritten Corona-Frühjahr und dem schon von Weitem drohenden dritten Corona-Herbst orientieren?
Matthias Schrappe: Vor allem muss man auf zuverlässig zu erhebende Zahlen Bezug nehmen. Wenn wir pro Woche zwei Millionen. Personen testen, wenn wir in 40 Prozent dieser Fälle einen positiven Befund erhalten und den dann auf die Gesamtbevölkerung umrechnen, dann fragt sich doch, welche Zahlen wir erhalten hätten, wenn wir z.B. noch zusätzliche zwei Millionen getestet hätten.
Das heißt?
Matthias Schrappe: Dass die verwendeten Zahlen Makulatur sind. Und zweitens ist es für Experten glasklar, dass man komplexe Prozesse wie Epidemien nur durch Scores, also durch mehrere Kennzahlen gleichzeitig steuern kann. Hierzu haben wir immer wieder Vorschläge gemacht.
Herr Schrappe, was sind Ihre drei Erkenntnisse nach zwei Pandemiejahren?
Matthias Schrappe: Erstens: Der biologische Krankheitsbegriff und die patientenferne Grundlagenforschung triumphieren, soziale Aspekte der Epidemie, der Präventionsmöglichkeiten werden nicht berücksichtigt. Die Epidemie wird zu einem reinen "Virus-Geschehen" gemacht, ohne auf die gesellschaftlichen Aspekte und Folgen zu schauen.
Zweitens verhärtet sich eine lineare Top-down-Sichtweise politischer Steuerung, bedauerlicherweise gerade vonseiten des linken politischen Spektrums. Man vertraut nicht auf die dezentralen gesellschaftlichen Kräfte und übersieht die Komplexität einer epidemischen Situation.
Drittens ist es zu einer erschreckenden Einengung der Diskursfähigkeit der Gesellschaft gekommen, die bis in "die" Wissenschaft reicht und unsere Kompetenz zur Lösung problematischer Krisensituationen enorm gefährdet.
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