"In Deutschland gibt es mittlerweile kaum noch eine Debattenkultur"

Seite 2: Illusionen: Medien als "vierte Staatsgewalt"

Was hat Sie motiviert, sich in Ihrem Buch Scheinheilige Supermacht erstmals (?) näher mit Medien und Propaganda zu befassen?

Michael Lüders: Medien prägen die öffentliche Wahrnehmung. Doch selten denken ihre Nutzer darüber nach, welche Perspektiven Medien einnehmen, welchen Interessen sie folgen.

Die Annahme, Medien seien eine "vierte Staatsgewalt", die den Mächtigen und Regierungen dieser Welt kritisch auf die Finger schaut, erweist sich zunehmend als Illusion - ungeachtet der Redlichkeit einer kleiner werdenden Zahl von Journalisten, die sich weiterhin der Aufklärung verpflichtet wissen.

Welche Fragen brachten Sie auf eine Beschäftigung mit den Propaganda-Theoretikern Lippmann & Bernays sowie mit den Propaganda-Kritikern Chomsky & Herman?

Michael Lüders: Wie funktionieren Medien unter den Bedingungen der Marktwirtschaft? Welche Mechanismen wirken im Kontext von Framing oder auch "betreutem Denken"? Wie gelingt es den Leitmedien, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung in ihren Haltungen und Einstellungen nicht allzu sehr von dem entfernt, was Regierende für richtig oder geboten halten?

Wie funktioniert das Wechselspiel von "Öffentlichkeitsarbeit" und Propaganda? Wer diese Fragen ernsthaft zu beantworten sucht, kommt um die Wiederentdeckung etwa von Edward Bernays oder Walter Lippmann nicht herum.

Sie haben schon vor rund 100 Jahren die entsprechenden Mechanismen umschrieben, die sich bis heute im Grundsatz nicht verändert, wenngleich "verfeinert" haben.

Upton Sinclair sagt in "The Brass Check: A Study of American Journalism", was Kritikern des US-Establishments in der US-Presse geschah (siehe: Sinclairs Kritik an der miesen Qualität vieler US-Medien) : Sie wurden "blacklisted, boycotted and put out of business". Sehen Sie ähnliche Reaktionen auf Ihre kritischen Analysen auch heute noch?

Michael Lüders: Wer sich nicht lenken lassen mag, zahlt seinen Preis. Nonkonformisten haben gegenwärtig einen schweren Stand. Aber das muss nicht so bleiben. In jedem Land gibt es genügend kritische Menschen, die sich zu engagieren beginnen. Angefangen damit, offiziellen Verlautbarungen mit Vorsicht zu begegnen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Vorträge von Michael Lüders finden sich hier. Als Bücher sind u.a. erschienen:

Die scheinheilige Supermacht: Warum wir aus dem Schatten der USA heraustreten müssen, C.H. Beck, 2021.

Hybris am Hindukusch: Wie der Westen in Afghanistan scheiterte, C.H. Beck, 2022.

Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet, C.H. Beck, 2021.

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