Inflation, Krieg, Spekulation

Warum Geschäftemacher in Kriegszeiten Hochkonjunktur haben. Ein Kommentar

Inflation ist allenthalben Thema – umso erstaunlicher, mit welchen Weisheiten die Medien hierzulande immer wieder aufwarten. Das Publikum wird ja laufend informiert: Mal steigen die Preise, mal verteuern sich die Waren, dann schießen die Preise in die Höhe oder explodieren geradezu, sie folgen einem Trend, sie laufen aus dem Ruder, es gibt einen vorübergehenden oder nachhaltigen Preisauftrieb usw. usf. Fragt sich nur, wer da wen treibt. Sind denn Preise Naturphänomene mit eigenen Eigenschaften oder eigenständige Subjekte?

Irgendwie sollen die verehrten Bürger und Verbraucher es wohl so verstehen. Jedenfalls geht es bei derartigen Meldungen nicht um die Erklärung der Sache – warum Preise auf breiter Front erhöht werden –, sondern darum, dass sich die Masse der Kundschaft, die für ihren Lebensunterhalt mehr zu zahlen hat, auf dieses Phänomen einstellt und damit ihr Geld neu einzuteilen lernt.

Streng genommen ist das ein Fall von Desinformation – jetzt nicht an der Kriegs-, sondern an der Heimatfront, wo "wir alle" uns laut offizieller Ansage auf schwere Zeiten einzustellen haben. Denn was hier als Erklärung geboten wird, ist im Grunde nicht mehr als eine Tautologie: Die Preise steigen an der einen Stelle, so erfährt man, weil sie auch an anderer Stelle (Energie!) steigen.

Die Welt auf den Kopf gestellt

Dabei könnte noch jeder Bürger im Supermarkt oder an der Tankstelle herausfinden, dass die Preise nicht von allein steigen, da sie eben keine Subjekte sind. Sie werden vielmehr von Akteuren, die damit einen lohnenden Verkaufserlös einfahren wollen, zielstrebig festgesetzt und bei Bedarf laufend verändert.

Von den wirklichen Subjekten ist in den Medien auch die Rede, allerdings mit einer interessanten Verschiebung. Sie erscheinen als diejenigen, die in erster Linie von den Preissteigerungen betroffen sind: "Immer mehr Unternehmen heben die Preise an, um die gestiegenen Energiekosten auf ihre Kunden abzuwälzen." (SZ, 31.3.2022)

Dass Unternehmen und Handel ihre Kosten wie selbstverständlich auf ihre Kunden abwälzen, wird als eine Art Sachzwang angeführt. Ebenso gilt es als größte Selbstverständlichkeit, dass diese Wirtschaftssubjekte nicht mit den neuen Kosten leben können.

Unter den veränderten Konditionen müssen sie es vielmehr hinbekommen, mit Kauf und Verkauf einen ordentlichen Gewinn zu erzielen, schließlich ist das der Sinn und Zweck der ganzen Veranstaltung.

Mit den besagten (Des-)Informationen sollen aber nicht sie als Quelle der Preissteigerung ausgemacht werden. Sie gelten als die Betroffenen, die mit diesem Phänomen als Erste fertig werden müssen und deshalb Verständnis verdienen.

Dass mit den Kosten für die Unternehmen so etwas wie eine Sachnotwendigkeit in puncto Preisgestaltung vorgegeben ist, gehört allerdings ins Reich der Legenden. Auch das könnte man noch an jeder Tankstelle lernen.

Denn dort schwanken die Preise im Laufe des Tages in erheblichem Umfang, ohne dass sich die Kostenlage der Unternehmen stündlich geändert hätte. Die beziehen sich nämlich auf ihre Kosten nur als ein Datum unter anderen, wenn sie ihre Preiskalkulation vornehmen. Der Preis ist für sie das Mittel, sich Marktanteile und Gewinne zu sichern. Deshalb ist er immer auch durch die Spekulation auf Markterfolge bestimmt.

Bei der Kostenkalkulation kommt dann noch ein besonderer Faktor ins Blickfeld:

Je mehr der Preisauftrieb an Breite gewinnt, umso wahrscheinlicher wird es auch, dass Gewerkschaften bei Tarifverhandlungen einen Ausgleich für die Inflation fordern. ‚Damit steigt das Risiko einer Lohn-Preis-Spirale‘, sagte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm.

SZ, 31.3.2022

Zwar will kaum noch jemand in dieser Gesellschaft von Lohnarbeit reden – es werden ja nur noch Entgelte und Gehälter gezahlt, womit der Begriff des Lohns und der Lohnabhängigkeit obsolet werden soll.

Beim Thema Inflation aber taucht die Lohnarbeit nun wieder auf: Mit der Rolle des Lohns erinnert man sich an eine Klasse, die vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben muss und die daher in einer besonderen Abhängigkeit steht.

Der besondere Kostenfaktor Lohn

Der Lebensunterhalt von Lohnabhängigen erscheint als eine besondere Kost. Denn dass Lohnabhängige ihre Lebenshaltungskosten einfach auf die Käufer ihrer Ware abwälzen, die gestiegenen Kosten eben zum Argument für höhere Löhne machen, ist in den Augen (nicht nur) der Wirtschaftsweisen ein Unding.

Während es für produktive und Handels-Unternehmen geradezu als Sachzwang gilt, die eigenen Kosten an die Kundschaft weiterzugeben, kommt dies für Lohnabhängigen nicht in Frage, gefährden sie doch damit ihre eigene Grundlage.

Die angeführte Lohn-Preis-Spirale unterstellt ja, dass Unternehmen angesichts von höheren Lohnforderungen dann gar nicht anders können, als die Preise wiederum zu erhöhen und damit den Lohn weiter zu entwerten.

Damit wird denen, die vom Lohn leben müssen, vor Augen geführt, dass sie als abhängige Größe vom Geschäftsgang keine Chance haben, ihre Lebenssituation zu verbessern. Und Unternehmen wie Wirtschaftsweise können in der Regel darauf vertrauen, dass Gewerkschaftsvertreter in den Tarifrunden alles andere tun, als einen wirklichen Ausgleich für die gestiegenen Preise durchzusetzen.

Haben sie sich doch längst in der Abhängigkeit der Einkommen vom Gang der Geschäfte eingerichtet und richten ihre Forderungen so aus, dass der unternehmerische Erfolg nicht in Frage gestellt wird.

Selbst wenn sie sich einmal aufschwingen und Lohnforderungen in Höhe der Inflationsrate stellen, weiß jeder, dass solche Forderungen nicht eins zu eins in einen entsprechenden Abschluss münden.

Dieser hat als Kompromiss zu erfolgen und liegt dann am Ende meist weit unter dem notwendigen Ausgleich. Als Dementi der Vorstellung, dass eine erfolgreiche Wirtschaft gleichfalls zum Nutzen der dort Beschäftigten sei, will die Tatsache niemand verstehen, auch dann nicht, wenn im Boom oder Aufschwung die Beschäftigten über die Inflation verarmt werden.