Inhaftierter Protasewitsch: Held, Nazikämpfer - oder nichts davon?
Nach medialer Verdachtsberichterstattung in Belarus und Russland sagen Fürsprecher des Bloggers, er habe nur mit Worten auf Seiten des ultrarechten Asow-Bataillons "gekämpft"
War der inhaftierte belorussische Blogger Roman Protasewitsch im Donbass als Kämpfer der neofaschistischen Einheit Asow oder nur als Berichterstatter - und was sagt die Art seines Aufenthalts dort über ihn aus?
Ganze Heerscharen regierungsnaher russischer und weißrussischer Journalisten konzentrieren sich aktuell darauf, den Ruf des in Minsk inhaftierten oppositionellen Bloggers zu beschädigen. Die Berichterstattung von RT Deutsch und Sputnik News ist hier nur ein verkleinerter Spiegel des Medien-Mainstreams in Russland selbst. Die Beweggründe für das emsige Treiben sind leicht nachvollziehbar: Vom Coup des belorussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko, ein Zivilflugzeug mutmaßlich zum Zweck der Inhaftierung eines mitreisenden Oppositionellen umzuleiten, sind auch Durchschnittsrussen nicht begeistert - nun sollte er es zumindest verdient haben.
Die Bemühungen konzentrieren sich dabei auf das dunkelste Kapitel von Protasewitschs Vita, seinem Aufenthalt im ostukrainischen Donbass zu kriegerischen Zeiten. Fest steht: Protasewitsch war dort nicht nur als unbeteiligter Beobachter, sondern begleitete das berüchtigte ukrainische Bataillon Asow. Dieses gilt als rechtsradikal. Schon mit seinem Bataillonsabzeichen bedient es sich absichtlich einer Nazisymbolik: Die sogenannte Wolfsangel wurde auch von der SS-Verfügungsdivision als Erkennungszeichen genutzt. Asow-Kommandeur Bilezky sieht seine Einheit auf einer historischen Mission, einem "Kreuzzug der weißen Rasse gegen die von Semiten angeführte Untermenschen". Die Mitglieder der Einheit sind häufig offene Nationalsozialisten oder Rassisten.
Kampf mit der Waffe oder mit dem Wort?
Strittig ist, ob Protasewitsch nicht nur über Asow berichtet, sondern sogar im Rahmen der Einheit gegen die prorussischen Rebellen in der Ostukraine gekämpft hat. Wer ihm das gerne nachweisen würde, verweist zur Zeit auf mehrere Fotos, die Protasewitsch in der Ukraine mit Waffe in der Hand oder in den Reihen von Soldaten zeigen. Daraus wird abgeleitet, Protasewitsch sei identisch mit einem Asow-Söldner mit dem Rufnamen "Kim", der Mitglied einer belorussischen Untereinheit war und vom US-Regierungssender Radio Liberty 2015 anonymisiert interviewt wurde. Allerdings passten biographische Details aus dem Interview mit "Kim" nicht zu dem damals erst 20-jährigen Protasewitsch - etwa die Altersangabe.
Ausgerechnet Protasewitschs Vater soll in einem Interview unbewusst seinen Sohn belastet haben, indem er sagte, dieser habe im Donbass "gekämpft". Allerdings gab Protasewitsch selbst lange vor seiner Verhaftung dem bekannten russischen YouTuber Juri Dud ein Interview, in dem er sagte, er sei als Journalist im Donbass gewesen. Sein Vater hat inzwischen ausgesagt, seine frühere Aussage sei fehlinterpretiert worden. Die weißrussische Onlinezeitung Nascha Niwa interviewte vergangene Woche einen Asow-Kämpfer, der angab, Protawitschs Posing-Fotos mit Waffe in der Hand seien auf einem Trainingsplatz der Einheit entstanden, Protasewitsch sei aber danach nicht in Asow eingetreten.
Protasewitschs Verteidiger führen auch gerne eine Bestätigung seiner rein journalistischen Tätigkeit durch den rechtsextremen Asow-Kommandeur Bilezkij an. Dieser schrieb nach der Verhaftung des Weißrussen auf seinem Telegram-Kanal:
Roman kämpfte wirklich zusammen mit Asow und anderen Militäreinheiten gegen die Besetzung der Ukraine. Aber seine Waffe als Journalist war kein Maschinengewehr, sondern das Wort.
Eingebettet unter Nazis
Bilezkijs Verteidigung belegt zumindest, dass Protasewitsch, wenn nicht als Kämpfer, zumindest als in Asow eingebetteter Berichterstatter ("embedded Journalist") mit besten Kontakten hautnah an der Neonazi-Einheit dran war - und nicht etwa neutral und unabhängig über den Donbasskonflikt berichtet hat.
Ethisch gilt die Tätigkeit als embedded Journalist allgemein als heikel. Die Journalismus-Legende Friedrich Nowottny brachte diese Art der Berichterstattung auf den Punkt, als er sie als "Blick des Journalisten durch den Sehschlitz des Panzers" bezeichnete. Diese Art der Kriegsberichte produziert nicht nur automatisch eine Einseitigkeit, sondern nimmt im Krieg direkt die Perspektive eines kriegerisch Handelnden ein. Und im Falle des Weißrussen waren die Handelnden dermaßen offene Neonazis, dass sogar die ebenso einseitige Ukraineberichterstattung der großen deutschen Medien den wahren Charakter von Asow nach harter Kritik nicht mehr zu verschleiern versucht.
So macht es für Roman Protaswitschs mutmaßliche Einstellung keinen so großen Unterschied, ob er als Kämpfer oder als angedockter Journalist die Rechten von Asow durch den Donbass begleitet hat. Wäre er zu diesem Zeitpunkt kein zumindest rechtsoffener Nationalist gewesen, wäre weder das eine noch das andere möglich.
Diese Beurteilung soll jedoch nicht davon ablenken, dass der junge Mann jetzt nicht etwa wegen seiner rechten Einstellung, sondern wegen seiner zeitlich späteren Unterstützung der belorussischen Opposition in einer Minsker Zelle sitzt - einer Handlung, deren Strafbarkeit als sehr zweifelhaft angesehen werden muss. Die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Donbass wurden erst später von den Kritikern des Bloggers ins Spiel gebracht, als die mediale Schlacht um die Deutungshoheit bezüglich des umgeleiteten RyanAir-Flugs schon im vollen Gange war.
Der juristische Unterschied
Strafbar ist es übrigens in Belarus, sich als Söldner für andere Staaten mit der Waffe in der Hand zu verdingen. Der Chef des dortigen Geheimdienstes KGB, Walery Wakultschik, gab bereits 2014 an, dass alle weißrussischen Söldner im Donbass mit einem entsprechenden Strafverfahren zu rechnen hätten. So macht es für Protasewitsch einen juristischen Unterschied, ob die belorussischen Gerichte diesen Vorwurf am Ende als bewiesen ansehen.
Auch die Behörden der nicht anerkannten Seperatistenrepublik Lugansk im Donbass möchten wegen Protasewitschs mutmaßlicher Kampfaktivitäten den Blogger ausgeliefert sehen. Das berichtet der Sender RT Deutsch aktuell nicht ohne Genugtuung, hat man sich doch umfangreich an dem rechtsoffenen Blogger abgearbeitet. Zu einer solchen Auslieferung wird es aber schon deswegen nicht kommen, da auch Minsk die Donezker oder Lugansker Rebellen nicht als unabhängig anerkannt hat. Das weitere Schicksal von Protasewitsch wird in jedem Fall in Minsk entschieden werden.
Während der Blogger nicht zuletzt von westlichen Medien zum inhaftierten Märtyrer der belorussischen Opposition stilisiert wurde, bieten nicht nur die Gerüchte, sondern auch die gesicherten Kenntnisse über seine Vergangenheit und seine Einstellung den Gegnern der weißrussischen Protestbewegung eine weitere Möglichkeit, diese in Misskredit zu bringen. Wie so oft in kriegerischen Konflikten ist es mit der Schwarz-Weiß-Zeichnung der Beteiligten nicht so einfach, wie Anhänger der einen oder anderen Seite glauben machen wollen.
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