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Insekten in Nahrungsmitteln, Nachfrage nach veganen Fleischalternativen und Sicherheitsrisiken alter Atomkraftwerke

Drei Fragen aus dem Forum. Eine Telepolis-Kolumne.

Muss die Beimischung von Insektenmehl in Lebensmitteln gekennzeichnet werden?

In einem Kommentar zum Artikel "Lieber länger haltbar oder gesünder? [1]" von Christoph Jehle wird angemerkt:

"Insekten in Lebensmitteln sind jetzt lt. EU-Zulassung erlaubt. Das nenne ich mal echtes Billigfleisch im Essen. Bis zu 5 Prozent können davon in Keksen und Müsli ohne weitere Deklaration beigemengt sein", schreibt ein User, und: "(…) der Zug mit gesundem Essen ist abgefahren…" behauptet ein User [2].

Als Quelle wird eine Durchführungsverordnung der EU-Kommission [3] angegeben.

Bereits seit 2018 dürfen in der EU mehrere Mehlwurm- und Heuschreckenarten als Novel Food vertrieben werden. Am 24. Januar 2023 sind nun Hausgrillen und Larven von Getreideschimmelkäfern neu als Lebensmittelzusatz zugelassen worden. Die Zulassungen gelten zunächst für bestimmte Unternehmen, die entsprechende Anträge bei der Kommission gestellt hatten.

Demnach darf die Firma Cricket One jetzt teilweise entfettetes Pulver aus Acheta domesticus (Hausgrille) als neuartiges Lebensmittel in den Verkehr bringen. Die Firma Ynsect NL B. V. erhielt eine ähnliche Genehmigung für Larven des Getreideschimmelkäfers in gefrorener, pastenartiger, getrockneter und pulverisierter Form.

Dass der Zusatz von Insekten nicht gekennzeichnet werden müsse, ist falsch. Die pulverisierten oder sonst wie verarbeiteten Insekten müssen auf der Zutatenliste erscheinen. Zudem ist für verschiedene Lebensmittel ein jeweiliger Höchstgehalt an Insektenbestandteilen festgeschrieben, bei der Hausgrille etwa nicht mehr als zwei Gramm pro 100 Gramm Brot oder Brötchen.

Die Ausweisung der Zutat ist für Allergiker:innen wichtig, da zum Beispiel die Hausgrille "eine Reihe potenziell allergener Proteine enthält", wie in der Durchführungsverordnung zu lesen ist. Sensibel auf die neue Zutat könnten Menschen reagieren, die allergisch gegen Krebstiere oder Hausstaubmilben sind.

Abgesehen von Allergien, die ja auch durch eine Vielzahl anderer Lebensmittel ausgelöst werden können, spricht aus gesundheitlichen Gründen nichts gegen den Verzehr dieser Insektenarten. Als Alternative zu Fleisch sind Insekten ein Proteinlieferant und ihre Zucht ist effizienter als die von Säugetieren für die Ernährung.

So brauchen sie weit weniger Futter, um dieselbe Proteinmenge aufzubauen. Die Energiebilanz von proteinreichen Pflanzen wie etwa Hülsenfrüchten sieht aber noch günstiger aus.

Wie groß ist die Nachfrage nach pflanzlichen Fleischalternativen?

Das Thema Ernährung bewegt zurzeit die Leser:innen. So fragt ein User im Kommentar auf den Artikel "Kulturkampf um 'vegane Fleischerei' – oder: (Anti-)Woke-Warriors in Aktion [4]" von Claudia Wangerin nach einschlägigen Zahlen zur Nachfrage nach veganen Versionen bekannter Fleischgerichte.

Da Claudia Wangerin hier über ein konkretes Beispiel berichtet, die "vegane Fleischerei" in Dresden, dürfte das mit den einschlägigen Zahlen schwierig werden. Hier geht es um die Erfahrungen eines einzelnen Ladens, bei dem die Geschäftsführer berichten, jeden Tag ausverkauft zu sein.

Repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist das natürlich nicht. Das Geschäft befindet sich in der Dresdener Neustadt, die als "Szeneviertel" gilt, wo der Anteil von Veganer:innen weit höher sein dürfte als im Bundesdurchschnitt.

Statistische Zahlen zu Ernährungsweisen und deren Wandel gibt es aber durchaus. Laut Statista [5] bezeichneten sich im Jahr 2022 in Deutschland 1,58 Millionen Menschen als Veganer:innen. Die Zahlen beruhen auf einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach.

Wenn die Zahl bezogen auf die Gesamtbevölkerung auch gering ist, so war dennoch in den letzten Jahren eine starke Zunahme bei der veganen Ernährung zu verzeichnen. 2016 hatte die Zahl der Veganer:innen noch bei 0,8 Millionen gelegen, damit hat sie sich innerhalb von sechs Jahren also fast verdoppelt.

Weit größer ist die Zahl der sich vegetarisch ernährenden Menschen, die in der Regel auch Milchprodukte und Eier zu sich nehmen. Auch diese sind eine wichtige Zielgruppe für pflanzlichen Fleischersatz.

Im Jahr 2022 bezeichneten sich 7,9 Millionen Menschen in Deutschland Vegetarier:innen. 42 Millionen Menschen bezeichneten sich selbst als "Flexitarier:innen", das heißt Personen, die sich überwiegend vegetarisch ernähren, aber nicht komplett auf Fleisch und Fisch verzichten [6]. Überwiegend vegetarisch ist zwar Auslegungssache, auch diese Menschen dürften aber teilweise aufgeschlossen gegenüber pflanzlichem Fleischersatz sein.

Am weitesten verbreitet ist vegane und vegetarische Ernährung in der Altersgruppe unter 30 Jahren, was vermuten lässt, dass der Anteil dieser Gruppen an der Bevölkerung in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird und alte Ernährungsmuster nach und nach abgelöst werden.

Laut einem Bericht der veganen Lebensmittelkette Veganz [7] führt in Europa Großbritannien mit 3,2 Prozent Veganer:innen, gefolgt von 2,3 Prozent in Italien und 2,2 Prozent in Deutschland und Dänemark. Der Anteil der Flexitarier:innen in Deutschland ist nach den Daten von Veganz allerdings geringer als oben genannt.

Außerhalb Europas ist eine überwiegend vegetarische Ernährung zum Beispiel in Indien weit verbreitet, der Markt für nach europäischem Geschmack geprägte Fleischersatzprodukte dürfte dort trotzdem eher klein sein.

Wie riskant ist der Weiterbetrieb alter Atomkraftwerke?

Im Artikel "Frankreich programmiert den Super-GAU [8]" berichtet Autor Ralf Streck über Erwägungen, die Laufzeit der dortigen Atomkraftwerke auf 80 Jahre zu verlängern. Im Forum finden sich unterschiedliche Einschätzungen darüber, ob dies die Risiken für Störfälle bis hin zu einer Kernschmelze erhöht. Hierzu befindet ein User [9]:

(…) So lange der Reaktordruckbehälter nicht kaputt geht, kann ein KKW auch 100 Jahre laufen. Und vielleicht werden das auch die KKWs in Frankreich so machen. (...)

Ein anderer meint [10]:

Wenn Frankreich seinen Reaktorschrott noch 80 Jahre weiterbetreibt, führt das in diesem Zeitraum mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu mehreren Kernschmelzen (…)

Daraufhin möchte ein weiterer User wissen, wie sich diese Zahl berechnet.

2012 haben sich Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Chemie in Mainz mit der Wahrscheinlichkeit von Kernschmelzen [11] beschäftigt. Nach dieser Untersuchung könnte es einmal in 10 bis 20 Jahren zu einer Kernschmelze in einem der derzeit aktiven Reaktoren kommen. Zu dem Zeitpunkt waren weltweit 440 Kernreaktoren in Betrieb.

Um die Wahrscheinlichkeit einer Kernschmelze zu ermitteln, stellten die Mainzer Forscher eine einfache Rechnung an: Sie teilten die Laufzeit aller Kernreaktoren weltweit von der Inbetriebnahme des ersten zivilen Reaktors bis heute durch die Zahl der bisherigen Kernschmelzen. Die Laufzeit der Reaktoren summiert sich auf 14.500 Jahre; die Zahl der Kernschmelzen beträgt vier – eine in Tschernobyl und drei in Fukushima. Daraus ergibt sich, dass es in 3.625 Reaktorjahren zu einem GAU kommt. (…)

Max-Planck-Gesellschaft [12]

Besonders hoch sei das Risiko in Westeuropa aufgrund der hohen Reaktordichte.

Neben der statistischen Wahrscheinlichkeit eines Super-GAUs stellt sich aber noch die Frage, ob das Risiko mit dem Alter der Reaktoren steigt. Auch hierzu ist in der Forendiskussion ein Stichwort gefallen, nämlich "Materialermüdung".

Materialermüdung findet auch außerhalb von Atomkraftwerken statt, man denke nur an marode Brücken. Die Druckbehälter von Kernreaktoren sind mit der radioaktiven Strahlung nochmal einer zusätzlichen Belastung ausgesetzt. "Die Bestrahlung verändert Materialien, weil sie Defekte in ihrer Struktur verursacht", zitiert das Wissenschaftsmagazin Scinexx [13] den Materialforscher Charles Hirst vom Massachusetts Institute of Technology (MIT).

Hirst und Kolleg:innen hatten zu einer Methode geforscht, Veränderungen an Reaktoren frühzeitig erkennen zu können. "Der neue Ansatz zeigte, dass ein Großteil der Schäden in Reaktoren auf atomarer Ebene stattfindet und daher mit den bisherigen Methoden nur schwer zu erkennen ist", hieß es in der Pressemitteilung des MIT [14].

Beispielsweise an den belgischen Reaktoren Doel 3 und Tihange 2 waren mehrfach Tausende von Haarrissen in den Wänden der Druckbehälter entdeckt worden. Doel 3 ist im September 2022 endgültig vom Netz gegangen, Tihange 2 beendet seine Laufzeit zum 1. Februar 2023 [15].


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-7483657

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.telepolis.de/features/Lieber-laenger-haltbar-oder-gesuender-7465897.html
[2] https://www.telepolis.de/forum/Telepolis/Kommentare/Lieber-laenger-haltbar-oder-gesuender/Ist-doch-komplett-egal/posting-42182251/show/
[3] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32023R0005
[4] https://www.telepolis.de/features/Kulturkampf-um-vegane-Fleischerei-oder-Anti-Woke-Warriors-in-Aktion-7469793.html
[5] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/445155/umfrage/umfrage-in-deutschland-zur-anzahl-der-veganer/
[6] https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/schweinebestand-energiekrise-ernahrungstrends-101.html
[7] https://veganz.de/blog/veganz-ernaehrungsstudie-2020/
[8] https://www.telepolis.de/features/Frankreich-programmiert-den-Supergau-7472606.html
[9] https://www.telepolis.de/forum/Telepolis/Kommentare/Frankreich-programmiert-den-Supergau/EDF-macht-es-richtig-in-den-USA-wird-es-genau-so-gemacht/posting-42202217/show/
[10] https://www.telepolis.de/forum/Telepolis/Kommentare/Frankreich-programmiert-den-Supergau/80/posting-42202212/show/
[11] https://www.mpg.de/forschung/kernenergie-nuklearer-gau
[12] https://www.mpg.de/forschung/kernenergie-nuklearer-gau
[13] https://www.scinexx.de/news/energie/atomkraft-messmethode-zeigt-verborgene-material-schaeden/
[14] https://news.mit.edu/2022/radiation-damage-materials-reactors-0803
[15] https://www.heise.de/news/Atomkraft-Belgischer-Reaktor-Tihange-2-geht-vom-Netz-7475936.html