Islamist Kadyrow macht Jagd auf Frauen – mit Hilfe Moskaus
In Tschetschenien etabliert sich ein islamistisches Regime. Dessen Sicherheitskräfte haben nicht nur dort Zugriff. Was das für misshandelte Frauen bedeutet.
Opfern familiärer Gewalt wird die Melange aus Korruption und konservativem Islam in Tschetschenien zum Verhängnis. Der erschütternde Fall der 19-jährigen Tschetschenin Selima Ismailowa erregte in dieser Woche im russischsprachigen Netz großes Aufsehen. Wie zuerst das südrussische Menschenrechtsprojekt Marem berichtete, tauchte sie unvermittelt am Moskauer Flughafen Wnukowo auf, mit dem Ziel, nach Deutschland auszureisen.
Selima Ismailowa: Gewaltopfer in Deutschland und Tschetschenien
Sie erzählt von einem jahrelangen Martyrium in ihrer Familie. Ihr Vater habe sie regelmäßig geschlagen und nun mit dem Tod bedroht. Nach Auskunft des Projekts sind Sprachnachrichten dokumentiert, in denen der Vater droht, seiner Tochter die Beine zu brechen.
Ismailowa hatte mit der Familie bis 2021 in Deutschland gelebt. Bereits dort sei es zu Gewalttätigkeiten und einer entsprechenden Anzeige beim Jugendamt im Jahr 2015 gekommen, die das Mädchen auf Druck der Mutter zurückgezogen habe.
Selima floh im März dieses Jahres von Tschetschenien nach Moskau und wurde am 12. Juni am Flughafen Wnukowo festgesetzt. Die offizielle Begründung war, dass sie Verwandten ihres Vaters Geld gestohlen hätte. Von dieser Anschuldigung habe Selima nach Auskunft der Menschenrechtler erst am Flughafen erfahren. Schon einen Tag später wurde das Mädchen von tschetschenischen Sicherheitskräften zurück in die Kaukasusrepublik gebracht, wo sie sich jetzt wieder befindet.
Diebstahlvorwürfe als allgemeines Mittel zum Zweck
Erhebliche Zweifel an der gesamten Diebstahlgeschichte gibt es vor allem deswegen, weil sie einem Muster folgt, das bereits mehrere Male aufgetreten ist, wenn Mädchen wegen Familiengewalt aus den konservativ-islamischen Republiken im russischen Nordkaukasus flüchten.
So berichtet die Online-Zeitung Kavkaz Uzel aus dem November 2022 von der 18-jährigen Leyla Gireewa aus der tschetschenischen Nachbarrepublik Inguschetien. Sie war ebenfalls aufgrund von Morddrohungen und Misshandlungen ihrer Familie aus dem Kaukasus geflohen, nach Sankt Petersburg.
Nach der Flucht erfolgte, sobald die Verwandten das Mädchen aufgespürt hatten, ebenfalls eine Diebstahlanzeige - das Mädchen kehrte dann aufgrund des Drucks nach Inguschetien zurück. Schon 2021 war ein Frauenhaus im benachbarten Dagestan von tschetschenischen Polizisten gestürmt und die nach dort geflohene Khalimat Taramowa gewaltsam zurückgebracht worden.
Die kaukasische Politologin und Frauenrechtlerin Saida Sirazhudinowa erklärt gegenüber Kavkaz Uzel, dass im Nordkaukasus ein System entstanden sei, Opfern häuslicher Gewalt Straftaten vorzuwerfen, um ihre Flucht zu vereiteln. Sie rechnet mit einer Ausweitung des Problems, nachdem mehrere solcher Fälle publik wurden und für die mutmaßlichen Gewalttäter von Erfolg gekrönt waren.
Die gleiche Meinung, dass hier eine neue Methode zur Rückführung von Gewaltopfern geschaffen wurde, teilt der russische Jurist Oleg Chabibrachmanow. Tschetschenische Sicherheitsbeamte könnten von ihrem Schreibtisch aus von überall in Russland Geflohene per Fahndungsliste zurück in den Kaukasus bringen.
"Familienehre" in einer Melange aus Korruption und Islamismus
Hierzu muss man wissen, dass das Ausmaß der Korruption, die in Tschetschenien herrscht, alles übertrifft, was aus dem übrigen Russland bekannt ist.
Die OSZE bestätigte 2018 in einer Erklärung nach einer offiziellen Untersuchung unter anderem illegale Verhaftungen und Korruption bei der Polizei, die ihre Stellung "monetarisiert", also ihre offiziellen Befugnisse für illegale Einnahmen missbraucht.
Zudem setzt Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow zunehmend auf einen konservativen Islam, den er zum Machterhalt mit seiner Treue zu Moskau kombiniert.
Daraus ergibt sich eine Situation, in der eine Familie, in der es zu Misshandlungen kam, das geflüchtete Opfer einfach zurückholen kann – zur "Rettung der Familienehre" versteht sich.
Dabei ist es auch den deutschen Sicherheitsbehörden bekannt, dass in der hier lebenden tschetschenischen Diaspora, zu der Selima Ismailowa und ihr Vater gehörten, der Anteil aktiver Salafisten sehr hoch ist.
Der Tschetschenien- und Islamexperte Christian Osthold schrieb 2018 im Nachrichtenmagazin Focus, dass die salafistische Szene in Deutschland sogar seit geraumer Zeit von Tschetschenen dominiert werde, obwohl damals nur etwa 40.000 Tschetschenen in Deutschland lebten, darunter Ismailowas Familie.
Die Behandlung von jungen Frauen, die aus diesem salafistischen Umfeld ausbrechen wollen, ist hinreichend bekannt, Gewalt ein verbreitetes Mittel zum Zweck.
Auch bei Selima Ismailowa führte der Weg am Ende wieder zurück zu den mutmaßlichen Gewalttätern, obwohl Anwälte noch versuchten, ihre Verschleppung aus Moskau zu verhindern. Aus einem Opfer von Gewalt wurde erneut eine angebliche Kriminelle.
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