Israel-Gaza-Krieg: Warum die USA dringend mit dem Iran reden müssen

Der Flugzeugträger USS Gerald R. Ford (CVN-78) der U.S. Navy, der in den Persischen Golf verlegt wurde. Bild: U.S. Navy / Public Domain
Das Schreckensszenario ist eine regionale Eskalation. Iran ist ein zentraler Schlüssel, das zu verhindern. Warum Washington aber auf Abschreckung setzt. Gastbeitrag.
Während der Krieg zwischen Israel und der Hamas weiter tobt und für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen einen schrecklichen humanitären Tribut fordert, setzen die Vereinigten Staaten ihre unerschütterliche Unterstützung für Israel fort: Sie liefern nicht nur Waffen an Israel [1] und schützen es vor der Kritik der Vereinten Nationen [2], sondern verstärken auch die Abschreckung [3] gegen die sogenannte "Achse des Widerstands", zu der auch der Iran und seine Verbündeten im Libanon, Syrien, Irak und Jemen gehören.

Die Bemühungen der USA, sich mit Israel zu solidarisieren, sind verständlich. Wenn sie jedoch nicht durch eine glaubwürdige diplomatische Strategie zur umfassenden Stabilisierung des Nahen Ostens ergänzt werden, werden sie den USA nicht nur keinen Nutzen bringen, sondern im Gegenteil die Gefahr mit sich bringen, dass sie in einen größeren regionalen Krieg verwickelt werden.
Um ein solches Schreckensszenario zu verhindern, sollte Washington zusätzlich zu seinen bestehenden Kontakten in der Region einen direkten Kanal nach Teheran einrichten und ernsthafte Gespräche über die Zukunft nicht nur von Gaza und Palästina, sondern des gesamten Nahen Ostens suchen.
Seit Beginn des Krieges am 7. Oktober nach dem Terroranschlag der Hamas auf Israel hat Washington Berichten zufolge Teheran über Dritte davor gewarnt [4], die Front gegen Israel entweder direkt oder über Verbündete auszuweiten. Um den Iran abzuschrecken, schickte Biden ein Angriffs-U-Boot [5] in den Persischen Golf, zusätzlich zu zwei Flugzeugträgern [6] mit Kampfflugzeugen und anderen militärischen Gütern, die bereits unmittelbar nach dem Angriff der Hamas in die Region entsandt wurden.
Die üblichen Verdächtigen in Washington sprangen schnell auf den Zug des Krieges auf, um ihre Lieblingsbeschäftigung voranzutreiben: alles auf den Iran zu schieben. Senator Lindsay Graham drohte [7] wie üblich mit Militäraktionen, um die iranische Ölinfrastruktur zu zerstören.
Die Hardlinergruppe United Against Nuclear Iran malte Weltuntergangsszenarien [8] über eine bevorstehende "iranische Mehrfronten-Eskalation" gegen Israel aus. Und andere, wie Matthew Kroenig vom Atlantic Council, griffen auf das abgedroschene Klischee [9] zurück, dass der Iran und seine Verbündeten die Hauptquelle aller Instabilität im Nahen Osten seien.
Wenn man den Krieg zwischen Israel und Hamas ausschließlich auf den Iran zurückführt, verleugnet man nicht nur, dass die Palästinenser selbstständig agieren können, und die Bedingungen unter der Besatzung. Damit wird auch die tatsächliche iranische Politik im Gegensatz zu ihrer Rhetorik verkannt.
Wie zuvor präsentiert Teheran eine Mischung aus Ideologie und pragmatischem Streben nach nationalen Interessen. Regierungsvertreter, allen voran der Oberste Führer Ayatollah Ali Khamenei, bekundeten zwar ihre volle Unterstützung für die Hamas, betonten aber deutlich, dass der Iran keine operative Rolle [10] bei dem Anschlag vom 7. Oktober gespielt habe.
Der Iran ist nicht gewillt, Israel oder die USA direkt zu konfrontieren, da ein solcher Konflikt für das Land und seine wichtigsten und engsten Verbündeten in der Region, wie die libanesische Hisbollah, zu zerstörerisch wäre. Daher verweist Teheran darauf, dass die palästinensische "Widerstandsfront" in ihrem Vorgehen gegen Israel und die USA autonom handelt.
Ein weiterer Faktor, den die Machthaber in Teheran berücksichtigen müssen [11], ist die Tatsache, dass sich die iranische Bevölkerung im Großen und Ganzen viel mehr um die schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen im eigenen Land als um Gaza sorgt. Da die Hardliner des Regimes ihre spaltende Politik, wie z. B. die Hidschab-Pflicht für Frauen, weiter ausbauen, wächst die Kluft zwischen dem Establishment und einem großen Teil der iranischen Bevölkerung.
Die fatalen Fehler Washingtons in der Region
Da das Engagement für Palästina eines der weiter wirkenden Identitätsmerkmale der Islamischen Republik ist, überrascht es nicht, dass die wachsende Unzufriedenheit mit dem politischen System sich in einer schwächeren Unterstützung der Bevölkerung für die Beteiligung des Irans an einem Konflikt niederschlägt, den viele Iraner als einen fremden Konflikt betrachten.
Die Tatsache, dass der Iran gezwungen ist, bisher zurückhaltend zu agieren [12], öffnet ein Gelegenheitsfenster für eine mutige, kreative Diplomatie auf US-amerikanischer Seite. Echte diplomatische Bemühungen sollten weit über das Aussenden von Warnungen an Teheran durch Dritte wie Katar, Oman oder den Irak hinausgehen. Sie sollte direkte Gespräche nicht nur über die Beendigung des Krieges in Gaza, sondern auch über die Umrisse einer umfassenderen Ordnung im Nahen Osten beinhalten.
In Anbetracht der tief verwurzelten Feindschaft zwischen den USA und dem Iran mag das als schwer machbar erscheinen. Doch wie der Experte für internationale Beziehungen Stephen Walt uns erinnert [13], lassen sich einige der Wurzeln der derzeitigen Situation bis zur Madrider Friedenskonferenz über den Nahen Osten im Jahr 1991 und den anschließenden Osloer Vereinbarungen über Palästina zurückverfolgen.
Walt schreibt zwar dem damaligen Präsidenten George H.W. Bush und seinem Außenminister James Baker zu, dass sie sich ernsthaft um den Frieden im Nahen Osten bemühten, weist aber auch auf einen fatalen Fehler des Madrid-Oslo-Prozesses hin: den Ausschluss des Irans und vieler weiterer Akteure von den Diskussionen, was den Iran nur dazu ermutigte, als Spielverderber gegen eine regionale Ordnung aufzutreten, die ausdrücklich gegen seine Interessen gestaltet wurde.
Bemerkenswerterweise geschah das zu einem Zeitpunkt, als der Iran, erschöpft vom langen, brutalen Krieg mit dem Irak und unter der pragmatischen Präsidentschaft von Ali Akbar Hāschemi Rafsandschāni, Anzeichen von Mäßigung und der Bereitschaft zeigte, wieder mit den USA zusammenzuarbeiten.
Während die USA und ihre Verbündeten nun über ihre nächsten Schritte nachdenken, sollten sie es vermeiden, denselben fatalen Fehler zu wiederholen. Die Kosten der fehlenden Beziehungen zwischen Washington und Teheran werden bereits durch die fast täglichen Angriffe der schiitischen Milizen in Syrien und im Irak auf US-Militäreinrichtungen in diesen Ländern deutlich.
Die USA führen dagegen Vergeltungsmaßnahmen [14] durch, die sie als "Selbstverteidigungsschläge" gegen die Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) des Iran bezeichnen. In Ermangelung eines sinnvollen diplomatischen Wegs und von Deeskalationsmechanismen könnten diese Auseinandersetzungen leicht außer Kontrolle geraten und zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen den USA und dem Iran führen.
In einem solchen Szenario hätten die USA wenig regionale Unterstützung, da sich die arabische und islamische Welt darauf konzentriert [15], Israels Krieg in Palästina zu beenden und nicht gewillt ist, in einen neuen Krieg gegen den Iran einzutreten.
Es ist sehr bezeichnend, dass der Krieg in Gaza Anlass war für den ersten Besuch des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi in Saudi-Arabien nach Jahren der Feindseligkeit. Er reiste [16] zu einem gemeinsamen Treffen der Arabischen Liga und der Organisation Islamische Konferenz. Ein Händedruck zwischen Raisi und dem saudischen Kronprinzen Mohammad Bin Salman in Riad wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.
Die USA sollten diese regionalen Kontakte fördern und ihren eigenen direkten Dialog mit dem Iran aufnehmen. Die Alternative – die Region fein säuberlich in Gemäßigte (wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Jordanien) und Parias (Iran und seine Verbündeten wie Stellvertreter) aufzuteilen – wurde bereits ausprobiert und ist kolossal gescheitert. Die Folgen dieses Scheiterns sind in Gaza auf tragische Weise zu sehen.
Die Aufnahme direkter Gespräche mit dem Iran wird nicht alle Probleme in der Region lösen. Es könnte auch innenpolitische Risiken für Biden im Jahr vor den Wahlen mit sich bringen. Aber wenn man die Strategie des Ausschlusses des Irans von jeder Lösung für den Gazastreifen und die künftige Sicherheitsarchitektur im Nahen Osten weiterverfolgt, wird sich der Kreislauf der Gewalt in der Region garantiert fortsetzen.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Das englische Original finden Sie hier [17]. Übersetzung: David Goeßmann [18].
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Links in diesem Artikel:
[1] https://theintercept.com/2023/11/07/israel-us-weapons-secret/#:~:text=President%20Joe%20Biden%20has%20requested,by%20Congress%20reported%20on%20Monday.
[2] https://twitter.com/carlbildt/status/1723380659748479094
[3] https://www.nytimes.com/2023/10/15/us/politics/us-israel.html
[4] https://www.axios.com/2023/10/11/israel-hamas-war-gaza-biden-iran-hezbollah-warning
[5] https://www.bloomberg.com/news/articles/2023-11-06/us-attack-submarine-enters-persian-gulf-in-message-to-iran
[6] https://www.nytimes.com/2023/10/15/us/politics/us-israel.html
[7] https://www.nbcnews.com/politics/congress/lindsey-graham-iran-escalate-war-re-coming-rcna120500
[8] https://foreignpolicy.com/2023/11/10/iran-proxy-militias-syria-israel-hamas-war-irgc-escalation/
[9] https://foreignpolicy.com/2023/11/10/biden-blinken-israel-hamas-gaza-influence-leverage/
[10] https://amwaj.media/media-monitor/inside-story-iran-s-supreme-leader-strongly-rejects-role-in-hamas-attack
[11] https://foreignpolicy.com/2023/11/02/how-iran-really-sees-the-israel-hamas-war/
[12] https://twitter.com/Divsallar/status/1721574174286569824?t=3Hx0TiB6QU-hLXNTaeS0kw&s=08
[13] https://foreignpolicy.com/2023/10/18/america-root-cause-war-israel-gaza-palestine/
[14] https://www.nbcnews.com/news/military/us-strikes-eastern-syria-response-attacks-defense-secretary-says-rcna124302
[15] https://twitter.com/tparsi/status/1723400029056983547
[16] https://twitter.com/tparsi/status/1723364967133368348
[17] https://responsiblestatecraft.org/biden-israel-gaza-criticism/
[18] https://www.telepolis.de/autoren/David-Goessmann-7143590.html
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