Israels Beziehung zu seinen Nachbarn: Es ist kompliziert

Fahnen von Zypern, Griechenland und Israel. Bild:

Der Nahostkonflikt befeuert in Deutschland und Österreich die Debatte um Antisemitismus. Am Mittelmeer ist man pragmatischer. Hier geht es um Energiepolitik

Vor dem Hintergrund der Krise im Nahen Osten herrscht in Deutschland und Österreich ein politischer Konsens: Wer sich mit den palästinensischen Opfern solidarisiert, gerät leicht in den Verdacht des Antisemitismus. Dabei wird oft mit der als Terrororganisation eingestuften Hamas und deren rassistischer Ideologie argumentiert. Dass die Hamas das Existenzrecht Israels ablehnt, scheint Mitleid mit zivilen Opfern unter den Palästinensern verdächtig erscheinen zu lassen.

Nun befinden sich Deutschland und Österreich in einer besonderen Situation: Hier nahm die Shoah ihren Anfang. Wie aber wird in anderen Staaten mit der Thematik umgegangen? Dieser Frage müssen sich auch Korrespondenten aus Deutschland und Österreich im Ausland immer wieder stellen. In der östlichen Mittelmeerregion etwa bestimmt die geopolitische Interessenlage die Haltung der Regierungen zu Israel und dem aktuellen Konflikt.

Ehrliche Ablehnung des Antisemitismus?

Zunächst fällt ein Unterschied zwischen den Solidaritätsbekundungen des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz gegenüber Israel auf und der Solidarisierung mit den Opfern des Holocaust. So fehlte Kurz unlängst beim Gedenken für die Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen. Statt Kurz oder weiterer Minister seiner Österreichischen Volkspartei waren drei Minister des grünen Koalitionspartners anwesend.

Fabian Schmid führte diesen Widerspruch im Standard darauf zurück, dass die ÖVP eine Befreiungsfeier nur dann akzeptiert, wenn ihr dort keine Kritik am eigenen Handeln droht. Er spielt damit direkt auf den unverhohlenen Antisemitismus von Teilen des früheren Regierungspartners von Kurz, der FPÖ an.

Wie in Österreich ist Antisemitismus auch in Griechenland im rechten politischen Lager weit verbreitet. Von den aktuellen Ministern im Kabinett Mitsotakis werden zumindest zwei mit einer antisemitischen Vergangenheit in Verbindung gebracht. Innenminister Makis Voridis und Wirtschaftsminister sowie Parteivize der regierenden Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis, sind 2012 von der rechtspopulistischen Parei Laos übernommen worden. Bereits damals, 2012, wurde der Antisemitismus der beiden unter anderen vom World Jewish Congress thematisiert und nachgewiesen.

Heute versuchen sich beide von ihrer antisemitischen Vergangenheit loszusagen. Ihre Berufung ins Kabinett von Premierminister Kyriakos Mitsotakis im Sommer 2019 wurde in Israel kritisiert, wenngleich Mitsotakis Haltung zu Israel und den Juden dabei nicht in Frage gestellt wurde.

Von israelischer Seite freilich wurde beanstandet, dass Mitsotakis sich Antisemiten in Partei und Regierung geholt habe. In einer Analyse des damaligen Wahlsiegs von Mitsotakis zeigte sich die Jerusalem Post davon überzeugt, dass sich die Nea Dimokratia von einer liberalen Partei entfernt und mit "neuen ideologischen Profil, Stimmen der extremen Rechten habe" Das Blatt berichtete, die israelische Regierung werde nicht mit Minister Voridis zusammenarbeiten.

Georgiadis dagegen hat sich in seinem öffentlichen Auftreten hin zu einem Verteidiger Israels und des Judentums gewandelt, was sich auch in zahlreichen Stellungnahmen von ihm in sozialen Netzwerken, zum Beispiel auch in Retweets von Yair Netanjahu manifestiert. Bereits 2017 bedauerte er öffentlich seine politische Vergangenheit.

Voridis zog später, wenige Tage nach dem Verriss in der Jerusalem Post, nach. Auch er äußerte öffentlich sein Bedauern über seine politische Vergangenheit. Mit entsprechenden Aktionen in sozialen Netzwerken hält er sich zurück. Weder auf Twitter noch auf Facebook äußerte er sich zum aktuellen Konflikt.

Griechenland und Israel

Hinsichtlich der Zusammenarbeit mit Israel klappt es mittlerweile. Voridis, inzwischen nicht mehr Agrar-, sondern Innenminister feierte am 26. März dieses Jahres eine 2,5-Milliarden-Euro-Kooperation israelischer Unternehmen mit griechischen Kommunen. Vonseiten Israels nahm der Botschafter in Athen, Yossi Amrani, an einer vorangehenden Videokonferenz zum Thema mit Voridis teil.

Griechenland hat mit Israel erst 1990 vollständige diplomatische Beziehungen aufgenommen. Der Premierminister damals hieß Konstantinos Mitsotakis, er war der Vater des amtierenden Premiers. In den Jahren zuvor hatte sich Griechenland vor allem unter der Regierung des Sozialdemokraten Andreas Papandreou auf die Seite der Palästinenser, insbesondere der Fatah gestellt.

Israel war von Griechenland de facto seit 1949 anerkannt, ohne dass vollständige diplomatische Beziehungen aufgenommen wurden. Bis 1990 gab es keine Botschaft, sondern nur eine diplomatische Vertretung. Nach Andreas Papandreous Wahlsieg 1981, wertete er das Informationsbüro der PLO in Athen zur diplomatischen Vertretung, also auf eine Stufe mit Israel auf. Die damaligen Zusammenhänge sind in detaillierter Form online nachzulesen.

Diese enge Beziehung spiegelte sich auch in der Einstellung eines großen Teils der Bevölkerung wider. Auch heute, im aktuellen Konflikt, gingen in Athen und anderen Städten viele Griechen auf die Straße, um ihre Solidarität zu den Palästinensern zu bekunden. Die dabei gerufenen Parolen richteten sich primär gegen die Politik der israelischen Regierung und gegen die Tötung von Zivilisten. Angriffe auf Synagogen oder jüdische Mitbürger blieben aus.

Fragt man im Bekanntenkreis nach dem Grund dafür, dass die Menschen wie auch in Zypern - auf die Straße gehen, kommt als Antwort, dass die Palästinenser als Schwächere im Konflikt Beistand benötigten. Die Angesprochenen lehnen vehement ab, dass sie Antisemiten seien. Diskussionen und Kritik über die Rolle der Hamas führt in Gesprächen dazu, dass deren Aktionen als Selbstverteidigung interpretiert werden. Jede weitere Diskussion wird von den Menschen mit Hinweis auf die relativ hohe Opferzahl unter den Palästinensern abgeblockt.

Auch im Sport kam es in Griechenland zu Solidaritätsbekundungen für die Palästinenser. Der ägyptische Fußball-Nationalspieler in Diensten von PAOK Thessaloniki, Amr Warda, nutzte den Pokalsieg seines Team über den Serien-Meister Olympiakos Piräus, um sich während der Feier demonstrativ mit einem T-Shirt mit dem Aufdruck "Free Palestine" und der palästinensischen Flagge zu zeigen.

Ein Grund für die Allianz zwischen Griechen, Palästinenser und auch der Kurden liegt zunächst in der Abneigung gegen die Türkei. Im August 1982 flüchtete Arafat beim Abzug der PLO aus Beirut auf einem griechischen Handelsschiff mit der ersten Station Griechenland. Aus einer Allianz mit arabischen Staaten erhoffte sich Griechenland damals Unterstützung für die Konflikte mit dem Nachbarn, aber auch eine aktive Hilfe bei der Lösung der Zypernfrage.

Andreas Papandreous Sohn, Georgios Andrea Papandreou, reiste im August 2009, damals noch als Oppositionsführer und Vorsitzender der Sozialistischen Internationalen nach Bethlehem, um beim 6. Kongress der Fatah als Redner aufzutreten. Er betonte damals auch die Aktionen seines Vaters und die historisch guten Beziehungen der Griechen und Palästinenser.

Er verabschiedete sich damals mit den Worten:

Trotzdem hoffe ich. Ich hoffe, es wird bald, nicht weit in der Zukunft sein, dass wir uns, wenn wir diese Region wieder besuchen, in einem unabhängigen, freien, friedlichen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat treffen.

Ein Jahr später, im August 2010, begründete Georgios Andrea Papandreou als Premier die auch heute noch bestehende Allianz mit Israel.

Einer seiner Nachfolger, der Vorsitzende von linksgerichteten Syriza, Alexis Tsipras, fiel damals bei antiisraelischen Demonstrationen mit einer demonstrativ um den Hals gewickelten Kufiya auf. Später, als er 2015 Premier wurde, setzte er die von Papandreou begründete Freundschaft und Kooperation mit Israel fort.

Tsipras erster Finanzminister Yanis Varoufakis fiel als Regierungsmitglied nicht mit Stellungnahmen zur Nahostpolitik auf. Vor und nach seiner Regierungszeit zeigt sich Varoufakis als scharfer Kritiker Israels. Er unterstützt die BDS-Kampagne und behauptet, die "Mitsotakis AG" stehe "an der Seite der israelischen Apartheid".

Parteiübergreifend stimmten am 22. Dezember 2015, als Varoufakis aufgrund Tsipras Schwenk zum Sparkurs und den vorgezogenen Neuwahlen nicht mehr im Parlament war, alle Parteien einstimmig für die Anerkennung eines palästinensischen Staats in den Grenzen von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Mahmoud Abbas wurde als palästinensischer Präsident im Parlament empfangen und ihm wurde die Anerkennungsurkunde überreicht. Die griechische Regierung folgte damit einem entsprechenden Beschluss des Europäischen Parlaments vom Dezember 2014. Zu einer diplomatischen Aufwertung der Vertretung Palästinas in Athen kam es nicht.

Die Position, dass die Lösung des Konflikts in der Anerkennung eines palästinensischen Staats in den Grenzen von 1967 und mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt liegt, vertrat der amtierende Außenminister Nikos Dendias auch in der vergangenen Woche bei seiner Vermittlungsreise in den Nahen Osten, wo er mit seinem israelischen Amtskollegen Gabi Ashkenazi und dem palästinensischen Premier Mohammad Shtayyeh zusammentraf.

Dendias gehört zu den Politikern der Nea Dimokratia, die sich seit jeher aktiv gegen Antisemitismus einsetzen.

Griechenland und Israel sind wirtschaftlich, touristisch und militärisch Partner. In Griechenland trainieren Kampfflieger der Israelischen Verteidigungskräfte. Der einst staatliche griechische Rüstungskonzern Elvo wird von Israelis kontrolliert. Israelische Touristen bekamen in der aktuellen Saison als erste die Einladung, Griechenland zu besuchen. Die Wasserwerfer der griechischen Polizei stammen ebenso aus israelischer Produktion wie Drohnen.

Ein Grund für diese Allianz, die sich auch in zahlreichen Kooperationen in der Energiebranche niederschlägt sowie in der Absicht der Griechen, Zyprer, Israelis und Ägypter zur gemeinsamen Nutzung der fossilen Energiequellen in der Ägäi, ist erneut mit der Türkei verbunden. 2010, als Griechenland mit Israel die Allianz schloss, hatten sich der israelische Premier Benjamin Netanjahu und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gerade zerstritten.

Türkei und Palästina

Die Türkei stand lange an der Seite Israels. Sie war der erste überwiegend moslemische Staat, der Israel bereits 1948 anerkannte. Zuvor, im griechisch-türkischen Krieg (1919-22), genossen gefangen genommene griechische Soldaten jüdischen Glaubensbekenntnisses wie der Offizier Mordechai Frizis eine bessere Behandlung durch die Türken als ihrer christlich orthodoxen Mitstreiter.

Das Osmanische Reich hatte den durch das Alhambra-Edikt 1492 vertriebenen Sepharden von der iberischen Halbinsel Asyl und Religionsfreiheit geboten. Später, während der Nazi-Besatzung Griechenlands flüchteten auch jüdische Bootsflüchtlinge von der Insel Euböa aus in Richtung Türkei. Das sieht alles andere als nach einem tief verwurzelten Antisemitismus aus.

Heute stellt sich die Situation anders dar. Erdogan ruft öffentlich die Moslems aller Länder zum Kampf gegen Israel auf. Hinter der aktuellen lautstarken Unterstützung für Palästina scheinen auch handfeste, geopolitische Interessen zu stehen. Konteradmiral a.D. Cihat Yayci, einer der Architekten des türkisch-libyschen Memorandums für eine gemeinsame ausschließliche Wirtschaftszone der beiden Staaten im Mittelmeer, plant einen weiteren Coup. Er schlägt eine maritime Vereinbarung der Türkei mit Palästina vor.

Das türkisch-libysche Memorandum hatte die Vereinbarungen von Griechenland, Zypern, Ägypten und Israel bereits vor Probleme gestellt. Die Türkei hatte in deren Vereinbarung einen Versuch gesehen, die Türken von der Nutzung der Energiequellen in der Ägäis auszuschließen.

Die Türkei sieht sich mit allen Staaten, mit denen sie Seegrenzen ziehen kann, in Nachbarschaft. Aus ihrer Sicht wäre ein souveräner Staat Palästina mit dem Gaza-Streifen ein Game-Changer im Erdgasstreit im Mittelmeer.

Sofern die Palästinenser sich auf einen Deal einlassen.

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