Ist Angst vor einem Weltkrieg schon Putin-Propaganda?
Auch die außerparlamentarische Kampagnenplattform Campact unterstützt Kriegskurs. Warnung vor "Aufstand für Frieden". Doch die linken Lobbyisten übersehen wichtige Punkte.
Zum 1. Jahrestag des russischen Einmarschs in die Ukraine läuft die bellizistische Fraktion hierzulande wieder zur Hochform auf. Trotz tausender Toter auf beiden Seiten gibt es noch immer Kreise, die schon Forderungen nach Waffenstillstand und Verhandlungen fast als Landesverrat betrachten, auch wenn sie selbst bestreiten würden, dass Deutschland Kriegspartei ist. Die Bewegungsplattform Campact ist an vorderster Front dabei.
Das muss auf den ersten Blick verwundern. Schließlich wurde Campact einmal zur Koordinierung außerparlamentarischer Proteste gegründet. Doch eine Aktion gegen Aufrüstung, gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft und der Außenpolitik wird man aktuell bei Campact vergeblich suchen.
Stattdessen wurde am Dienstag in einer Massenmail von Campact vor der Großkundgebung "Aufstand für Frieden" gewarnt, die am 25. Februar in Berlin stattfinden soll. Dort sei unter anderem "Putin-Versteherei" zu erwarten, heißt es in der Mail.
Im allerersten Satz und noch vor den Initiatorinnen Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer werden hier aber die AfD, das ultrarechte Compact-Magazin und "Querdenker:innen" erwähnt, die nicht zum Kreis der Erstunterzeichner des "Manifests für Frieden" gehören, sondern ungefragt zu der Kundgebung mobilisieren.
Wagenknecht und Schwarzer kann vorgeworfen werden, sich nicht konsequent dagegen abzugrenzen. Die Hervorhebung und Überhöhung der Rechten im Zusammenhang mit dem Thema Frieden könnte hier aber ganz andere Gründe haben. Vielleicht ist einfach gewollt, dass Stichworte wie "Frieden" und "Verhandlungen" in erster Linie mit Rechtsradikalen in Verbindung gebracht werden.
"Zum Jahrestag von Putins Angriffskrieg fordern die beiden Initiatorinnen nebulös "Friedensverhandlungen". Aber zwischen den Zeilen kündigen sie die Solidarität mit der Ukraine auf", heißt es in der Mail, die Christoph Bautz vom Campact-Vorstand unterschrieben hat. Er wirbt stattdessen für eine Demonstration der ukrainischen Organisation Vitsche am Vortag. Was "zwischen den Zeilen" gelesen wird, ist in letzter Zeit zur wichtigsten Grundlage der Argumentation von Bellizisten geworden.
In einer anonym verfassten Campact-Petition wird zugleich unter dem Motto "Manifest gegen das Manifest von Wagenknecht und Schwarzer" gefordert, sich gegen deren Aufruf zu stellen.
Nun gibt es bestimmt aus linker Sicht genügend Gründe, das in der Tradition der deutschen Friedensbewegung und des Krefelder Appells stehende Friedensmanifest wegen einer deutsch-zentrierten Stoßrichtung ebenso zu kritisieren, wie es schon linke Gruppen in den 1980ern-Jahren in vergleichbaren Fällen getan haben. Doch der Gegenaufruf ist keine Auseinandersetzung. Vermisst wird auch nicht die mangelnde Trennschärfe zu den Rechten.
Das fängt schon mit diesen Sätzen an:
Hiermit möchten wir alle aufrufen, sich gegen das sogenannte "Manifest für Frieden" von Wagenknecht und Schwarzer zu stellen! Wagenknecht und Schwarzer geben 1:1 die Propagandalügen von Putin wieder. Sie schüren, genau wie der Kreml, Ängste vor einem Atomkrieg/Weltkrieg. Beides ist absoluter Unsinn!"
Manifest gegen das Manifest, Campact-Petition
Nimmt man den Text ernst, dann wird tatsächlich behauptet, wer die Angst vor einem Atomkrieg formuliert, betreibe Putin-Propaganda. Ist dann auch der UN-Generalsekretär ein Putin-Propagandist, wenn er davor warnt, dass wir "sehenden Auges in eine Ausweitung des Krieges zusteuern"?
Es gäbe berechtigte Kritik an der inflationären Verwendung von Begriffen wie "Weltkrieg", weil viele, die sie verwenden, die Katastrophe erst dann sehen, wenn die Welt, also auch Deutschland von einem Krieg betroffen ist. Dabei sterben auf beiden Seiten im Ukraine-Konflikt Tausende Menschen. Von den Folgen sind die Menschen im Globalen Süden schon heute negativ betroffen. Wir brauchen also gar nicht die Warnung vor dem Weltkrieg, die Katastrophe ist längst eingetreten. Doch darum geht es im "Gegenmanifest" nicht:
Stattdessen erweisen sich auch die Verfasser als Anhänger maximalistischer Kriegsziele, wenn es da heißt: "Die Ukraine ist seit 1991 ein unabhängiger, souveräner Staat. Ihre Grenzen von 1991 wurden garantiert, auch von Russland! Der Donbass und die Krim sind daher seit 1991 garantiertes ukrainisches Territorium."
Kriegsziele in deutschnationaler Tradition
Bereits im Ersten Weltkrieg spielte die Ukraine eine große Rolle bei Vertretern des deutschen Imperialismus. Ihre Bündnispartner waren ukrainische Nationalisten. Diese Form der deutsch-ukrainischen Freundschaft kam während des Naziregimes zu neuer Blüte, wo sich die ukrainischen Nationalisten als Partners in Crime anboten – bei der Jagd auf Juden, Polen und Bolschewisten.
Diese Partnerschaft hielt auch, obwohl die Nazis ihren ukrainischen Hilfswilligen immer wieder deutlich machten, dass sie sie nicht als gleichberechtigte Partner anerkannten. Einige der führenden Nationalisten landeten sogar für kurze Zeit im KZ.
Vor der Roten Armee, darunter große Teile der ukrainischen Antifaschisten, die eine wichtige Rolle bei der Befreiung von Auschwitz spielten, flohen Teile der ukrainischen Nationalisten ins Nazi-Reich. Im Kalten Krieg wurden sie wieder gebraucht beim Kampf des Abendlandes gegen den Bolschewismus.
Ein großer Teil der ukrainischen Nationalisten flohen nach Kanada, in Deutschland war München ein wichtiger Rückzugsort. Dort ist auch das Grab des ukrainischen Nationalistenführers Bandera, der 1959 wahrscheinlich bei einem KGB-Anschlag ums Leben kam. Das Grab ist seitdem zur Pilgerstätte vieler ukrainischer Nationalisten geworden, einschließlich des ehemaligen Botschafters in Deutschland und jetzigen stellvertretenden Außenministers Andrej Melnyk.
Da müsste es doch zumindest nationalismus- und militarismuskritische Geister nachdenklich stimmen, wenn auf einer Pro-Ukraine-Demonstration angesichts der Münchner Sicherheitskonferenz die Parole "Ukrainische Armee und Deutsche Waffen ist Sieg für die Ukraine" gezeigt wird. Angesichts der blutigen Geschichte der deutsch-ukrainischen Waffenbruderschaft wäre da auf jeden Fall Kritik nötig. Doch in der teilweise sicher berechtigten Kritik standen in den Medien fast nur die Proteste gegen die Waffenlieferungen an die Ukraine, während die deutsch-ukrainische Waffenbrüderschaft beschworen wurde.
Wenn kritische Ukrainer zu russischen Kollaborateuren werden
Bei den Kriegszielen der Manifest-Gegner orientiert man sich am rechten Flügel des ukrainischen Nationalismus und unterstützt den Mythos einer einheitlichen ukrainischen Nation. Welche Folgen das hat, zeigt eine taz-Reportage aus dem Doneszk-Gebiet der Ukraine.
Dort wird unkritisch eine Ärztin namens Natalja aus der Region Charkiw vorgestellt – sie habe erzählt, dass sie der ukrainischen Polizei alles über ihre Kollegen erzählt, die sie für russische Kollaborateure hält. "Wahrscheinlich hat die Polizei jetzt einfach nicht genug Zeit, um diese Fälle zu untersuchen. Sie hat jetzt viele andere Aufgaben. Ich hoffe nur, dass das nach dem Krieg nicht vergessen wird", sagt Natalja.
Vorher wird die Frau schon mit den Worten zitiert: "Hier wimmelt es nur so von Kollaborateuren. Ich kann nicht weitermachen! Sie können sich nicht vorstellen, wie es ist, jeden Tag mit ihnen zusammen zu sein!", sagt sie und wird dabei laut taz "fast hysterisch". Da fragt bei der taz aber niemand, warum sich dort ein erheblicher Teil der Bevölkerung nicht für den außenpolitischen Kurs der durch den Maidan-Umsturz an die Macht gekommenen prodeutschen ukrainischen Nationalisten begeistern wollte.
Und es gibt auch bei einer Zeitung, die sich mit Recht gegen die Stasi-Methoden der DDR stellt, keine Frage, was mit denjenigen passiert, die als tatsächliche oder vermeintliche russische Kollaborateure denunziert wurden. Dabei zeigt doch das Beispiel die verheerende Wirkung des Nationalismus, der immer mit Ausschlüssen arbeitet und die Verräter braucht, die dann sanktioniert werden. Gerade hier könnte eine Organisation wie Campact kritisch nachfragen, statt den ukrainischen Nationalismus und die deutsch-ukrainische Waffenbrüderschaft unkritisch zu reproduzieren.
Bidens Tatortbesichtigung
Ebenso unkritisch wird jetzt der Kiew-Besuch des US-Präsidenten bejubelt, ohne auch nur einmal zu fragen, ob er dort vielleicht auch wegen bestimmter Dokumente nachgefragt hat. Schließlich geriet er in den USA wieder verstärkt unter Druck wegen der Ukraine-Geschäfte seines Sohnes.
Biden hat sich als Vizepräsident unter Obama persönlich für seinen Sohn eingesetzt, was eben nicht nur Trump-Propaganda war, wie liberale Medien sagten. Die Zeitungen schrieben damals von Bidens "Albtraum" Ukraine. Bei seiner anvisierten erneuten Kandidatur zur US- Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr könnte ihm diese Affäre noch gefährlich werden.
Daher ist es völlig berechtigt zu fragen, ob Biden in der Ukraine nicht auch als Tatortreiniger war. Zudem fällt auf, dass in den deutschen Leitmedien niemand forderte, dass die Justiz gegen Biden Ermittlungen wegen des Anschlags auf die Nord-Stream-Pipelines vom 26. September aufnimmt. Natürlich ist der Bericht von Seymour Hersh noch kein Beweis, aber zur Einleitung eines Ermittlungsverfahren müsste er reichen.
Diesbezüglich gibt es nur ein dröhnendes Schweigen. Wäre es nicht eigentlich eine gute Bestätigung für eine Bewegungsstiftung wie Campact, hier die Forderungen nach Ermittlungen zu erheben, statt eine Plattform für nationalistische Kriegszielforderungen zu bieten? Dafür ist doch Campact nicht gegründet worden.
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