Ist Russland für Damm-Sprengung in Ukraine verantwortlich zu machen?

Seite 2: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste

Nachdem der Journalist Sy Hersh im Februar ausführlich berichtet hatte, dass die Sabotage von einem geheimen Team von Spezialtauchern der US-Marine auf Anweisung der Biden-Regierung geplant und durchgeführt wurde, beschimpfte man ihn auch als Spinner und Putin-Versteher. Eine offizielle Erklärung wurde jedoch nicht abgegeben.

Dann erklärten anonyme Regierungsbeamte gegenüber der New York Times, dass eine abtrünnige Gruppe antirussischer Ukrainer ein Boot gemietet und den Anschlag selbst ausgeführt habe – eine Theorie, von der sich die europäischen Staats- und Regierungschefs distanziert haben und die insgesamt wenig Anklang fand.

Kommen wir zur Gegenwart. Die Tatsache, dass die CIA von einem tatsächlichen Plan der Ukrainer zur Sprengung der Pipelines gewusst haben sollen, der dem von Sy Hersh berichteten Plan sehr ähnlich sieht (nur mit ukrainischen Tauchern und einem gemieteten Boot), ist schockierend. Wenn die US-Regierung von dem Plan wusste, warum hat Washington die Hunde auf die Fährte der Russen gesetzt, nachdem die Pipeline tatsächlich zerstört worden war?

Wenn es das ukrainische Militär war, hätten die USA es dann verhindern können? War an den Behauptungen von Hersh und/oder den ukrainischen Schurkengeschichten etwas dran?

Wir werden es vielleicht nie erfahren, aber das ist der Grund, warum wir bei der Entwicklung der Staudamm-Explosionsgeschichte vorsichtiger sein sollten. Die ukrainischen Behörden beschuldigen die Russen, den Damm gesprengt zu haben, und verweisen auf die Tatsache, dass die Russen den Damm zu diesem Zeitpunkt besetzt hielten.

Das Institute for the Study of War, das während des einjährigen Krieges von allen großen US-Zeitungen immer wieder zu dieser und anderen Geschichten zitiert wurde, räumt ein, dass es nicht genügend Beweise hat, um zu sagen, wer den Damm gesprengt hat, verweist aber auf seine eigenen früheren Einschätzungen:

Die Russen haben ein größeres und klareres Interesse daran, den unteren Dnipro zu fluten, trotz der Schäden an ihren eigenen Verteidigungsstellungen und Streitkräften, als die Ukrainer.

Viele Medien zitierten diese Analyse am Donnerstag ausführlich.

Am Mittwoch hatte NBC News mit den Anschuldigungen der Ukraine gegen Russland gestartet und eine Reihe von "Militäranalysten" zitiert, die sagten, dass Russland von dem Dammbruch mehr profitieren würde, weil er die militärischen Fortschritte der Ukraine stark behindern würde.

Erst gegen Ende des Berichts räumte NBC ein, dass "die Analysten zwar einige sind darin, dass die seit Monaten aufgebauten Verteidigungsanlagen Russlands getroffen würden, aber kein klares Motiv für die Ukraine sahen."

Der Mangel an Informationen, der sich durch den gesamten Krieg zieht, sollte davon abhalten, uns von emotionalen oder politischen Erwägungen zu Schlussfolgerungen leiten zu lassen. Aber genau das scheint jetzt wieder zu geschehen, obwohl wir aus dem Beispiel der Nord-Stream-Sabotage wissen, dass vielleicht nicht alles so ist, wie es scheint, und dass es für die Situation am besten ist, sich nicht zu Schnellschüssen verleiten zu lassen. Das ist keine "Putin-Apologetik", sondern gesunder Menschenverstand.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Responsible Statecraft. Hier geht es zum englischen Original. Übersetzung: David Goeßmann.