Ist die Corona-Verordnung verfassungswidrig?
Mittlerweile nickt die Justiz die Pandemie-Verordnungen nicht mehr einfach ab. Das könnte für die Politik ein Problem werden, wenn sie einen erneuten Lockdown plant
Wenn man auf die Homepage des Amtsgerichts Ludwigsburg klickt, findet man eine Bienen- und Blumenwiese. Nicht erwähnt wird das Urteil einer Richterin von Ende Januar, das erst jetzt bekannt wurde. Die Richterin hatte über einen ganz unspektakulären Fall zu entschieden, wie er aktuell Tausende Male vor Gerichten in Deutschland verhandelt wird.
Ende Januar war ein Mann angeklagt, weil er im vergangenen Mai gegen die Corona-Verordnung des Landes verstoßen haben soll. Anstatt nur mit einer Person, die nicht aus dem eigenen Haushalt stammt - was damals erlaubt war -, soll er mit zwei in der Ludwigsburger Innenstadt unterwegs gewesen sein. Außerdem soll er dabei nicht auf die Sicherheitsabstände geachtet haben.
Die Richterin hat den Mann nicht nur freigesprochen, sondern die Urteilsbegründung auch für eine Art Generalabrechnung mit der Corona-Verordnung des Landes genutzt. Diese sei verfassungswidrig. Die Richterin zählt gleich eine ganze Palette an Problemen auf, die sie in der Verordnung, die mehrfach verändert wurde, sieht.
Zum einen habe kein Parlament darüber entschieden, zum anderen seien die Verbote viel zu weit gefasst worden ohne konkrete Orte zu nennen, an denen sie gelten. Außerdem seien die Corona-Verordnungen so schnell abgeändert worden, dass man von niemandem erwarten könne zu wissen, welche Regeln an einem bestimmten Tag gegolten haben. "Mit den Grundsätzen der Gefahrenabwehr hat dies nichts mehr gemein", zitiert die Ludwigsburger Kreiszeitung das Fazit der Richterin.
Sie sieht in dem Regelwerk außerdem einen viel zu starken Eingriff in die Grundrechte. Es ist nicht das erste Urteil, das die Pandemie-Maßnahmen in Frage stellt. Doch selten war die Kritik so grundsätzlich. So entschied der Staatsgerichtshof Niedersachen kürzlich, dass die niedersächsische Landesregierung die Landesverfassung verletzt hat, weil sie das Parlament nicht frühzeitig über die Corona-Schutzmaßnahmen informierte.
Vor einigen Tagen hat auch das Verwaltungsgericht Berlin die dortigen Regularien für den Schulunterricht unter Pandemie-Bedingungen als rechtswidrig eingestuft. Das Gericht entschied, dass künftig auch die Jahrgänge der 7. und 9. Klassen Präsenzunterricht bekommen müssen.
Das Besondere an dem eingangs erwähnten Urteil des Amtsgerichts Ludwigsburg ist, dass hier nicht nur das Prozedere der Corona-Maßnahmen oder einige Details, sondern die Verordnungen selber zerpflückt wurden.
Kommentar: "Sie berufen sich pausenlos auf das Grundgesetz. Sagen Sie sind sie eigentlich Querdenker?"
Die Richterin hat hier also Argumente aufgegriffen, wie sie von Kritikern der Corona-Maßnahmen schon seit einem Jahr geäußert wurden. Doch diese Menschen sind sehr schnell in die Ecke des Irrationalismus gestellt worden. Dann dauerte es nicht lange und Rechte, die für Staatsautorität und Unterdrückung von Opposition steht, gerierte sich als Verteidiger der Grundrechte.
Umgekehrt handelten manche Linke nach der Devise "Maske auf und Maul halten". Menschen, die auf die Grundrechte rekurrieren wie der Publizist Rolf Gössner, gerieten schnell in einen Rechtfertigungszwang. Der Chansonnier Franz Josef Degenhardt textete in den 1970er Jahren in dem Song: Befragung eines Kriegsdienstverweigerers: "Sie berufen sich pausenlos auf das Grundgesetz. Sagen Sie mal, sind sie eigentlich Kommunist?"
Diese Worte legte er Beamten der Kommission in den Mund, die das Gewissen von jungen Männern überprüfen sollten, die den Kriegsdienst verweigern wollten. Aktualisiert könnte man den Satz heute so variieren: "Sie berufen sich pausenlos auf das Grundgesetz. Sagen Sie sind sie eigentlich Querdenker?"
Es ist daher erfreulich, wenn nun auch die Justiz stärker das Augenmerk darauf richtet, ob die Corona-Maßnahmen mit Grundrechten kollidieren könnten. Das ist besonders jetzt wichtig, wo schon wieder von einem neuen Lockdown gesprochen wird. Bisher war die Justiz keine große Bremse. Das könnte sich jetzt ändern.