Ist die Linkspartei noch zu retten?

Nicht mehr zeitgemäß: Linken-Wahlplakat, 2017. Bild: die-linke.de

Der Austritt einer Ko-Vorsitzenden verschärft die Krise der krisengeplagten Partei. Und die nächsten Niederlagen stehen bevor

Die Inflation steigt auf Werte, die einem, hätte man sie vor wenigen Monaten prognostiziert, Vorwürfe der Panikmache oder gar Fakenews eingebracht hätten. Engpässe bei bestimmten Waren lassen auch in einem der Kernländer des Globalen Nordens erahnen, dass die Zeiten vorbei sein könnten, zu denen fast alle Waren immer verfügbar sind, wenn man nur das nötige Geld hat.

Dazu kommt ein interimperialistischer Krieg mit dem Schlachtfeld Ukraine, bei dem sich manche Grünen-Politiker, die sich noch vor drei Jahrzehnten die Nato auflösen wollten, als besondere Scharfmacher erweisen.

Es müssten also gute Zeiten sein für eine Partei, die sich programmatisch als kapitalismuskritisch versteht und den Kampf gegen jeden Militarismus betont. Doch gerade bei der Linkspartei scheint es um ihre Existenz zu gehen. Die Serie ihrer Niederlagen ist groß. Zu nennen sind die Ergebnisse bei der Europawahl 2019, bei der sie nur noch knapp über fünf Prozent kam, die Bundestagswahl, wo sie mit Glück durch drei Direktmandate mit Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen konnte bis zur krachenden Niederlage der Partei bei der Landtagswahl in Saarland.

Natürlich gab es für jede dieser Niederlagen spezifische Gründe, im Saarland etwa war es der termingerecht vollzogene Parteiaustritt von Oskar Lafontaine.

Nach jeder Niederlage wurden vom Führungspersonal die immergleichen Floskeln wiederholt, dass sich die Partei "neu erfinden" müsse und dass man jetzt aber endgültig die Warnung der Wähler verstanden habe. Alle diese Sprechblasen machten um Grunde deutlich: Dem Personal in den Führungsetagen der Linkspartei fällt nicht mehr viel ein, um die Partei zu retten.

Erst in ihrer Rücktrittserklärung machte sich eine der Ko-Parteivorsitzenden, Susanne Hennig-Wellsow, Gedanken um einen Text, der in weiten Strecken ohne Floskeln auskam.

Ich habe damals DIE LINKE als die Partei definiert, welche die von anderen Parteien vergessenen Menschen eine Stimme gibt. Den alleinerziehenden Müttern in den Plattenbausiedlungen, die nicht genug Geld haben, ihren Kindern ein Frühstück zu machen. Den Rentner:innen, die Flaschen sammeln, um über die Runden zu kommen. Den Familien, die Angst vor der Heizkostenabrechnung haben, weil sie diese nicht bezahlen können. Den vielen, deren Sorgen und Wünsche viel zu oft keine Rolle spielen. Und ich habe damals gesagt, dass ich nicht mehr warten will auf Veränderung, weil diese Menschen nicht mehr warten können, auch nicht auf uns.

Susanne Hennig-Wellsow

Tatsächlich sind in diesen Sätzen die Ansprüche und Zielgruppen für eine linke Politik benannt. Dann hätte Hennig-Wellsow die so zerstrittenen Flügel in der Partei direkt ansprechen können und sie fragen können, was sie dazu beitragen, um diesen Anspruch auch nur in Ansätzen umzusetzen. Schließlich ist es ja gerade die oft geschmähte Sahra Wagenknecht, die ebenfalls behauptet, für diese Gruppen der im Kapitalismus besonders Abgehängten Politik machen zu wollen. Aber liegt nicht in diesem Ansatz schon ein Problem?

Proletariat hat sich von der Linken verabschiedet

Müsste linke Politik nicht vielmehr darauf abzielen, dass sich die betroffenen Menschen selbst organisieren, statt dass für sie Politik gemacht wird? Nur finden solche Organisierungsprozesse von flaschensammelnden Rentnerinnen und Müttern mit Geldproblemen in den Plattenbausiedlungen kaum statt.

Hier kommen wir schnell zu einem objektiven Problem linker Politik in vielen kapitalistischen Staaten. Auch in Frankreich, Italien und vielen anderen Ländern haben große Teile des Proletariats der Linke im Allgemeinen und auch linken Parteien den Rücken gekehrt. Dafür werden die meisten Parteien – auch die Linkspartei – heute vom progressiven Kleinbürgertum dominiert und folgerichtig dominieren auch deren Formen der Politik und Welterklärung die Partei.

Man versteht sich nicht als Gegenmacht zur bürgerlichen Politik in all seinen Facetten, sondern möchte höchstens gemäßigte Reformen. Materialistische Analysen werden teilweise durch moralisierende Kampagnen ersetzt.

Das zeigt sich bei der Reaktion führender Politiker der Linkspartei auf den Konflikt zwischen Nato und Russland in der Ukraine. Eine linke Position könnte – anknüpfend an Rosa Luxemburg – in diesen Krieg ein weites Argument sehen, die Opposition gegen den Kapitalismus zu verschärfen und unter der Parole "Das ist nicht unser Krieg" alle Seiten dazu aufrufen, sich nicht für Profit- und Nationalinteressen auf die Schlachtfelder treiben zu lassen.

Doch auch bei der Linkspartei gibt es längst Politiker, die den Ukraine-Konflikt als einen willkommenen Anlass sehen, nun ebenfalls ganz unbefangen über Nato und Aufrüstung zu diskutieren. In ihren Augen muss sich die Linke neu erfinden – als SPD. Dagegen gibt es noch vereinzelt Widerstand, wie die Ostermarsch-Rede des linken Bundestagsabgeordneten Sören Pellmann in Bremen zeigte. Er endete mit den Sätzen:

Jean Jaures sagte einmal: "Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden. Der Kapitalismus trägt den Krieg in sich, wie die Wolke den Regen. Nein zum Krieg. Die Waffen nieder!

Sören Pellmann

Das war den Regierungslinken, die in Bremen die Partei dominieren, zu viel Bezug zur antimilitaristischen Tradition der Arbeiterbewegung. Daher wurde Pellmanns Rede auf der Homepage der Linkspartei wieder entfernt, weil sie angeblich zu polarisierend war.

Dass damit einer der Politiker brüskiert wurde, der mit seinem Direktmandat in Leipzig mit dafür gesorgt hat, dass die Linkspartei überhaupt noch in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten ist, wird in Kauf genommen.

Aber auch das linkssozialdemokratische Lager ist nicht zimperlich, wie der Parteiaustritt Lafontaines wenige Tage vor der Saarland-Wahl zeigt.

Auch bekannte Politikerinnen und Politiker der unterschiedlichen Flügel machen es ihm nach. Während die ehemalige Linken-Bundestagsabgeordnete Simone Barrientos die Partei verließ, weil sie eine noch schärfere Verurteilung Russlands im Ukraine-Krieg einforderte, ist die ehemalige Thüringer Landtagsabgeordnete Johanna-Scheringer Wright ausgetreten, weil ihrer Meinung nach Bodo Ramelow in Thüringen CDU-Politik macht.

Der einzigen Ministerpräsidenten der Linkspartei dürfte spätestens nach der nächsten Landtagswahl der Vergangenheit angehören. Die tiefe Krise der Linkspartei zeigt sich eben gerade darin, dass nicht eine Strömung die Partei verlässt, wie um 1990 die meisten Ökosozialisten die Grünen, sondern dass es an allen Fronten bröckelt.

Eigentlich ist klar, dass mindestens eine Art linkssozialdemokratische Formation und eine grünalternative Liste die Linkspartei beerben müssten. Für erstere Strömung steht Sören Pellman, für die andere Politikerinnen wie Sabine Leidig. Was eine solche Aufspaltung bisher verhindert, ist das Wissen, dass die Partei aktuell dann ihren Fraktionsstatus verlöre und es keine Garantie gibt, dass eine oder gar beide Formationen die Fünfprozenthürde überwinden könnten.

Das Wählerbündnis Bunte Liste Saar, das ein Pilotprojekt für eine ökosoziale Formation hätte werden können, blieb mit 1,4 Prozent noch unter dem Ergebnis der Linkspartei. Und Klimalisten kommen nach der Anfangseuphorie auch nicht vom Fleck.

So spiegelt die Agonie der Linkspartei auch die Probleme linker Politik in einem kapitalistischen Kernland in nichtrevolutionären Zeiten wider. Nicht nur Parteien sind davon betroffen. Damit muss sich auch die Interventionistische Linke, das größte postautonome Bündnis der außerparlamentarischen Linken aktuell auseinandersetzen.

Diese objektiven Bedingungen als Hindernis für eine erfolgreiche linke Politik, werden oft zu wenig berücksichtigt, was wiederum den parteiinternen Streit verschärft, weil dann für die ständigen Niederlagen immer wieder die Konkurrenten in der eigenen Partei oder Organisation verantwortlich gemacht werden.