Die Linke: eine Partei auf der Suche nach ihren Wählern
Öffentlicher Streit und krampfhafte Versuche, sich im Wahlkampf regierungsfähig zu zeigen, waren der falsche Weg. Was Die Linke von Grazer Kommunisten lernen kann
Die Linke ist bei der Bundestagswahl knapp unter der Fünf-Prozent-Hürde geblieben und kann nur wegen dreier Direktmandate in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen. Das schien noch vor wenigen Monaten undenkbar. Schließlich bewegte sich die linkssozialdemokratische Partei in Umfragen konstant um die sieben Prozent. Es war also klar, dass die Partei gegenüber der letzten Wahl Stimmen verlieren würde, wie bereits in fast allen Landtags- und Kommunalwahlkämpfen.
Doch erst vor wenigen Wochen kam als Worst-Case-Szenario das Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde auf. Verstärkt wurden die Wählerinnen und Wähler in den "Hochburgen" der Partei motiviert, damit wenigsten die nötigen drei Direktmandate zusammenkommen. Das klappte nur ganz knapp, wie das Scheitern von Petra Pau im eigentlich sicheren Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf zeigt. Sie verlor ihn ganz gegen den bundesweiten Trend an einen CDU-Newcomer.
Dabei gehörte Pau den Bundestag nicht nur seit Jahrzehnten an. Sie hatte den Wahlkreis sogar im Jahr 2002 gewonnen, als die damalige PDS an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte und blieb mit Gesine Lötsch eine von nur zwei Abgeordneten der Linke-Vorgängerpartei.
Zudem ist Pau als ehemalige Bundestagsvizepräsidentin und engagierte Streiterin gegen Antisemitismus bis ins liberale Bürgertum hinein anerkannt. Zudem war sie parteiintern unumstritten. Ihr Scheitern zeigt das ganze Ausmaß der Niederlage der LINKEN. Das ist kein Ausrutscher. Hier stellt sich die Frage, nach der Existenzgrundlage der Partei.
Das konservative Boulevardblatt BZ wartete mit einer eigenwilligen Erklärung für Paus Niederlage auf: "Aber Linksaußen ist im Umbruch: Die Pragmatiker gehen in Ruhestand, jetzt kommen die Revoluzzer, Klassenkämpfer, Enteigner." Da wird fälschlich suggeriert, Pau und die Linke seien daran gescheitert ist, dass Die Linke das Berliner Volksbegehren für die Vergesellschaftung von Wohnkonzernen unterstützt hat.
Diese Einschätzung würde nur Sinn machen, wenn das Volksbegehren krachend gescheitert wäre und Die Linke mit nach unten gezogen hätte. Doch wie bekannt sein dürfte, ist das Gegenteil der Fall. Die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen gewann am "Superwahlsonntag" in Berlin mit einem Ergebnis, von dem keine Partei auch nur zu träumen wagt.
Vorbild KPÖ Graz?
Wenn Die Linke nur ansatzweise von diesem Erfolg profitiert hätte, wäre sie zumindest aus der Berliner Abgeordnetenhauswahl als Siegerin hervorgegangen und nun in der Position der Kommunistischen Partei in Österreichs zweitstärkster Stadt Graz. Dort nämlich wurde am Sonntag die KPÖ stärkste Partei, was sogar internationale Kapitalkreise aufschreckt. Die KPÖ Graz hat sich seit Jahren auf den Kampf für bezahlbare Mieten konzentriert und damit Ansehen erworben. In der Zeit, als Graz europäische Kulturhauptstadt war, punkteten die dortigen Kommunisten mit der Aussage, dass auch bezahlbare, menschenwürdige Wohnungen zur Kultur gehören.
Sie initiierte auch immer wieder Kampagnen für bezahlbare Wohnungen und half den Mietern bei deren Selbstorganisation. Der Kampf um bezahlbare Mieten wurde so zum Markenkern der KPÖ. Das machte sie wählbar, auch bei Menschen, die vielleicht mit anderen Teilen ihrer Programmatik beispielsweise in der Außenpolitik nicht einverstanden waren. Aber für sie war der Kampf für bezahlbares Wohnen wichtiger. Das war die Grundlage ihrer Wahlentscheidung.
Damit befindet sich die KPÖ in guter Tradition von großen sozialistischen und kommunistischen Parteien, die in ihren Hochzeiten wegen ihrer sozialen Programmatik gewählt wurden und nicht wegen ihrer prosowjetischen Haltung oder ihrer Haltung zu verschiedenen Minderheiten. Das soziale Thema war hegemonial. Der Partei Die Linke aber gelingt es selbst dort nicht, hegemoniefähig zu werden, wo sie sich, wie beim Berliner Volksbegehren eindeutig für soziale Belange einsetzt.
Diese mangelnde Hegemoniefähigkeit zeigte sich auch darin, dass es verschiedene Listen und Kleinstgruppen wie beispielsweise die Klimaliste, die Mieterpartei oder Die Urbane, ihre Anliegen bei der Partei Die Linke hätten unterbringen können.
Doch dann hätte man vielleicht nicht so viel Sichtbarkeit gehabt und darum ging es den Organisatoren solcher Parteiformationen für Partikularinteressen. Sie hatten selber keine Chancen auf Mandate, aber darum ging es nicht, sondern um die Performance des Kandidaten für die Zeit, in der man eben für die Öffentlichkeit sichtbar ist. Das hat auch mit einer Änderung der Subjektivität im digitalen Zeitalter zu tun und wird linken Parteien, die auf hegemoniefähige Bündnisse angewiesen sind, noch schwer zu schaffen machen.
Fehlende Hegemoniefähigkeit
Schließlich ist ja der parteiförmige linke Reformismus in fast allen größeren europäischen Ländern in der Krise. Besonders stark ist das Fiasko in Italien und Frankreich, zwei Ländern, die über Jahrzehnte hegemoniefähige Kommunistische Parteien hatten. In Deutschland bestand die Ausnahmesituation darin, dass der bürokratisierte Teil der Arbeiterbewegung in der DDR versucht hatte, einen Staat zu führen, während er in der BRD immer marginal war. Nach den Umbruch von 1989 bestand für die PDS die Herausforderung, den Glutkern sozialistischer Überzeugungen, der unter den bürokratisierten Überbau noch glimmte, in eine gesamtdeutsche linke Partei einzubringen.
Dieses Vorhaben schien immer nahe am Scheitern, überlebte aber. Mit den Hartz-IV-Gesetzen und dem Anwachsen einer sozialpolitischen Bewegung kam für die PDS die Chance, zur Linkspartei zu werden. Erst dann wurde sie in größeren Teilen der westdeutschen Gesellschaft überhaupt wahrgenommen. Es gab die kurze Zeit der politischen Konjunktur der Linken, als ein Oskar Lafontaine zum umjubelten Wahlredner wurde. Das ist heute kaum vorstellbar, wo in Teilen der Linken - sowohl der Partei als auch der Bewegung - Lafontaine und Sarah Wagenknecht fast schon wie Feinde behandelt werden.
Nun geht es gar nicht darum, deren Positionen zu verteidigen. Es stellt sich nur die Frage: Wie kann eine Partei in der Gesellschaft eine Hegemoniefähigkeit beanspruchen, wenn ihr das innerparteilich nicht gelingt? Alle Parteien haben unterschiedliche Flügel und kämpfen um Macht, Posten und Einfluss in der Partei. Aber in Wahlzeiten haben diese Kämpfe in der Regel Pause und die Personen, die viele Menschen anziehen, werden flächendeckend eingeladen, auch wenn alle wissen, dass einen politisch viel trennt.
Nur Die Linke hat es in diesen Wahlkampf fertiggebracht, ihre erfolgreichste Politikerin im Sinne des Wahlkampfs fast zu verstecken. Die wenigen Auftritte von Sarah Wagenknecht sorgen für viel Medienwirbel. In der linken Tageszeitung Neues Deutschland begründete die Kolumnistin Sibel Schick, warum sie und andere, Die Linke wegen Wagenknecht nicht wählen können. Nun hätte man erwartet, dass die Kritisierte darauf antwortet. Doch es kam von ihr keine Replik, Ob sie es ablehnte oder ob sie nicht gefragt wurde, bleibt offen.
Das ist symptomatisch für die Diskussionsunfähigkeit über unterschiedliche Standpunkte in einer Partei. Man redet übereinander, tauscht Vorwürfe statt Argumente aus. Gab es nicht mal den Vorsatz, eine verbindende Klassenpolitik zu entwickeln? Würde die nicht voraussetzen, dass die Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Standpunkte miteinander diskutieren?
Stattdessen hat auch ein Kommunalpolitiker der Linken wie der einst von der Partei gefeierte Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, René Wilke, anderen Parteien davon abgeraten, nach der Bundestagswahl mit seiner Partei zu koalieren, da sie kaum zu Kompromissen bereit sei, und schon mal in Richtung SPD geblinkt. Da sucht ein aufstrebender Politiker nach Karrieremöglichkeiten. Wie viele andere hält Wilke seine Partei in Sachen Außenpolitik nicht für regierungsfähig. Es geht um die üblichen Vorwürfe, Die Linke sei noch nicht fest im EU-Konsens verankert.
Die Schimäre einer Regierungsbeteiligung
Nun wurde es Wilke und anderen Kritikern leicht gemacht, weil die Parteivorsitzenden der Linken auf die schlechter werdenden Umfrageergebnisse reagierten, in dem sie sich als Partner in einer Regierung mit SPD und Grünen anboten - eine auch aus taktischer Sicht fatale Entscheidung. Denn nun wurde Die Linke von der Öffentlichkeit nicht daran gemessen, ob sie womöglich als Interessenvertreterin für Mieter oder sozial Benachteiligte im Parlament taugt, sondern ob sie in der Lage ist, einen Nato-Staat zu regieren.
Damit wurden die Widersprüche der Linken in außenpolitischen Fragen erst wie in einen Brennglas an die Öffentlichkeit gezerrt. Erst da bekam die dreigeteilte Stimmabgabe der Linksfraktion zum Evakuierungseinsatz in Afghanistan eine solche Bedeutung. Ex-Parteichefin Katja Kipping sagte in einem Interview mit der taz, damit sei die Niederlage erst perfekt gewesen.
Tatsächlich wurde Die Linke auch in dieser Frage an ihren selbstgestellten Anspruch gemessen, Teil einer Mitte-Links-Reformkoaltion zu sein. Genau da konnte Die Linke nur verlieren. Hätte sie mit einen Wahlkampf, in dem sie sich nach dem Modell der Grazer Kommunisten als Interessenvertreterin der Mieterinnen und Lohnabhängigen präsentiert hätte, besser abgeschnitten?
Es ist durchaus möglich, muss aber letztlich offen bleiben. Eine Erklärung des Bundessprecherrats der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke sieht einen Zusammenhang zwischen der Niederlage und den Diskussionen über eine Regierungsbeteiligung. Das dürfte die Reformlinke Kipping ganz anders sehen, die im taz-Interview Positionsänderungen in der außenpolitischen Programmatik anmahnte.
Gleichzeitig hofft sie nebulös auf eine kollektive Weisheit, um einen neuen Aufbruch zu schaffen. Andere verwendeten dafür schon den Nonsensbegriff der Werbeindustrie, dass sich die Partei "neu erfinden" müsse. Bei so vielen Floskeln muss die Ratlosigkeit groß sein. Hoffnungen für die Partei kann es nur geben, wenn eine soziale Bewegung sie für nützlich erachtet. Das war 2005 bei den sozialen Protesten gegen Hartz IV der Fall.
Vor der diesjährigen Bundestagswahl gab es zumindest zaghafte Anzeichen, dass dies wieder so sein könnte. So rief die bekannte Antirassistin und Klimaaktivistin Carola Rakete zur Wahl der Partei Die Linke auf. Der junge Klimaaktivist und Erstwähler Samuel Bosch erklärte in der Kontext-Wochenzeitung, bereits per Briefwahl seine Zweitstimme der Linken gegeben zu haben. Wenn es überhaupt noch Hoffnungen für Die Linke gibt, dann liegen sie hier.
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