Jahrbuch Sucht: Deutschland, deine Drogen

Alkoholkonsum gehört in vielen Teilen Deutschlands zur Folklore, gilt aber nicht erst als ungesund, wenn man täglich sternhagelvoll ist. Foto: Stefan Schweihofer auf Pixabay (Public Domain)

Laut Suchtbericht sinkt der Konsum von Alkohol und Tabak. Auf relativ hohem Niveau ist er noch immer. Was ein kritischer Jugendrichter zur Gefährlichkeit von Alkohol verglichen mit Cannabis sagt.

Manche Medien entschieden sich für die "Good News"-Variante als Überschrift: "Deutsche konsumieren weniger Alkohol und Tabak" vermeldete an diesem Mittwochmorgen zum Beispiel die Zeit Online. Mehrfach hieß es aber auch "Konsum von Tabak und Alkohol weiter auf hohem Niveau". Beides entspricht laut dem Jahrbuch Sucht 2023 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen e. V. (DHS) den Fakten. Auf der Internetseite des ZDF heißt es gar: "Deutschland, Land der Trinker".

"Obwohl der Alkoholkonsum im Vergleich zu den Vorjahren weiter gesunken ist, wird in Deutschland immer noch deutlich mehr Alkohol getrunken als im weltweiten Durchschnitt", stellte der DHS-Vorstandsvorsitzende Norbert Scherbaum klar.

Präventionsmediziner hält Schädlichkeit geringer Mengen für unterschätzt

Rund 7,9 Millionen Deutsche konsumieren laut dem Jahrbuch Alkohol "in gesundheitlich riskanter Weise". Das bedeutet allerdings nicht, dass fast zehn Prozent der Bevölkerung ständig betrunken sind. Es entspricht laut Suchbericht etwa zwölf Gramm reinem Alkohol pro Tag bei Frauen und 24 Gramm bei Männern, also etwa einem bis zwei kleinen Gläsern Bier – was viele nicht als "gesundheitlich riskant" bezeichnen würden.

Der Jahrbuch-Mitautor Prof. Ulrich John vom Uniklinikum Greifswald betont aber: "Selbst geringe Mengen Alkohol können krank machen." Alkoholverzicht könne Frauen ein Plus an Lebenszeit von mindestens 16 Jahren einbringen, bei Männern seien es mindestens zehn Jahre, meint er – allerdings dürfte das nur im Vergleich zu häufigem Konsum gelten. Dass manifeste Alkoholabhängigkeit die Lebenserwartung um rund 20 Jahre verkürzt, ergaben Langzeitstudien schon vor Jahren.

Auch der Tabakkonsum ist laut dem Suchtbericht in Deutschland rückläufig, aber weiter auf hohem Niveau: Die Ausgaben für Tabakwaren sanken demnach 2022 auf 27,1 Milliarden Euro – ein Minus von 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Verbrauch von Fertigzigaretten sank um 8,3 Prozent auf 65,8 Milliarden Stück, während der Verbrauch von Feinschnitt für selbstgedrehte Zigaretten um leicht anstieg – um 0,9 Prozent auf rund 25.000 Tonnen.

Ein Teil der bisherigen Raucher lebte also nicht unbedingt gesünder, sondern konnte oder wollte nur weniger Geld ausgeben. Bei Zigarren und Zigarillos sei der Verbrauch um 8,9 Prozent auf 2,5 Milliarden Stück zurückgegangen, heißt es in dem Bericht.

Cannabis gilt nach wie vor als am weitesten verbreitete illegale Droge – sowohl unter Jugendlichen als auch unter Erwachsenen. Nach aktuellen Schätzungen haben rund 4,7 Millionen Erwachsene im Alter von 18 bis 64 Jahren und etwa 374.000 Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren in den letzten 12 Monaten eine illegale Droge konsumiert.

Cannabis könnte im "Jahrbuch Sucht 2024" allerdings schon nicht mehr als solche aufgeführt werden: Pläne der Bundesregierung zur bedingten Legalisierung liegen auf dem Tisch. Allerdings soll der Konsum nur Volljährigen erlaubt werden. Minderjährige, die mit Cannabis erwischt werden, müssen voraussichtlich an Interventions- und Präventionsprogrammen teilnehmen.

Gewaltbereitschaft eher durch Alkohol erhöht

Der kritische Jugendrichter Andreas Müller engagiert sich seit Jahren für die Entkriminalisierung und hält Alkohol für gefährlicher als Cannabis: "Jährlich sterben 70.000 Menschen an den Folgen von Alkohol", sagte er in einem Interview mit dem Portal Web.de.

Es gibt weltweit keinen einzigen Toten wegen Cannabis. Hunderttausende oder Millionen haben ein enormes Suchtproblem wegen Alkohol, begehen dabei Körperverletzungen. Auf der anderen Seite habe ich als Richter in 30 Jahren nicht einen Fall von Körperverletzung gehabt, der auf Cannabis zurückzuführen war.


Andreas Müller, Jugendrichter

Allerdings würde er das Alkoholproblem auch nicht durch Prohibition lösen. An den Regierungsplänen in Sachen Cannabis äußert er im Detail Kritik: "Man muss aber auch nicht gleich jeden Jugendlichen wegen eines Joints sofort in die Drogenberatung schicken. Da hätte man sonst früher meine halbe Klasse dorthin schicken müssen."

Er selbst sei zwar bisher wegen "schlechter Gesetze" strafrechtlich gegen Kiffer vorgehen müssen, aber "in 30 Jahren nicht einen einzigen Menschen wegen Cannabisdelikten eingesperrt".

Seine Einschätzung zur Gefährlichkeit der legalen Droge Alkohol im Vergleich zu bisher illegalisiertem "Stoff" steht im Gegensatz zur Haltung des bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chefs Markus Söder, der die Pläne der Bundesregierung heftig kritisiert und regelmäßig in Bierzelten auf dem Oktoberfest feiert.

Auf dem Gelände stellt die Münchner Polizei tatsächlich regelmäßig ein hohes Maß an Gewaltkriminalität fest. Die Schattenseite der Folklore sind Maßkrugschlägereien: Zuletzt kam es innerhalb von 17 Festtagen zu 244 registrierten Körperverletzungsdelikten; in 35 Fällen dienten dabei Maßkrüge als Tatmittel. Außerdem wurden 55 Sexualdelikte erfasst.