Jan Böhmermann und der BSI-Skandal: Halt mal Distanz zum Staat, Digga!

Harald Neuber

Böhmermann am 7. Oktober 2022. Bild: ZDF

Nach dem Sturz des BSI-Chefs gibt es keine belastbaren Vorwürfe, aber viele Fragen. Vor allem zum Magazin Royal des ZDF. Und zur Rolle von Satire. Ein Telepolis-Leitartikel.

Inmitten des Skandals um die umstrittene Abberufung des ehemaligen Chefs des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, hat sich nun der ZDF-Journalist Jan Böhmermann zu Wort gemeldet und Vorwürfe gegen ihn und seine Sendung Magazin Royale zurückgewiesen.

Böhmermann reagierte zwar auf die gewohnte Weise schnoddrig wie aggressiv, wird aber offenbar selbst etwas nervös. Und das zu Recht: Denn der Verdacht steht im Raum, dass der 42-jährige Moderator mit hochgezogener Augenbraue sich und seine Sendung vom Innenministerium hat instrumentalisieren lassen.

Schönbohm war im Oktober 2022 von Innenministerin Nancy Faeser als BSI-Chef gefeuert worden. Kurz zuvor, am 7. Oktober 2022, hatte Böhmermanns Magazin Royale im ZDF einen Beitrag mit dem Titel "Wie eine russische Firma ungestört Deutschland hackt" ausgestrahlt. Untertitel: "Die Spur in den Kreml."

Der zentrale Vorwurf darin: Schönbohm habe über eine Lobbygruppe Kontakt zu einem Unternehmen gehabt, das seinerseits mit dem russischen Geheimdienst verbunden gewesen sein soll. In der Sendung versah Böhmermann das Bild des damaligen BSI-Chefs wenig subtil mit einer Clownsnase und verspottete ihn als "Cyber-Clown".

Brisant sind an der Sache zwei Dinge: Erstens begründete das SPD-geleitete Innenministerium die Abberufung in einem Schreiben an den geschassten Behördenchef vom 18. Oktober 2022, also elf Tage nach dem gebührenfinanzierten Böhmermann-Auftritt, just mit der Böhmermann-Sendung.

Mehr noch: Das Ministerium verweist in seinem Schreiben "auf Vorwürfe hinsichtlich zu enger Kontakte zu russischen Kreisen und Firmen", die in der Fernsehsendung des ZDF und im Nachgang in diversen Medienberichten laut wurden. Doch die hatten freilich meist nur Böhmermann wiedergegeben.

"Unabhängig davon, wie stichhaltig diese sind und ob diese sich im Ergebnis als zutreffend erweisen werden, ist in der öffentlichen Meinung ein Vertrauensverlust eingetreten, der eine weitere Amtsführung unmöglich macht und die Aufgabenerfüllung des BSI in den Augen der Öffentlichkeit erheblich beeinträchtigt", heißt es in dem Schreiben laut dpa weiter.

Hinzu kommt zweitens: Böhmermann hatte laut Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag vor der Sendung mehrfach Kontakt zum Innenministerium.

Wie Böhmermann den Vorwürfen ausweicht

Böhmermann nahm nun – für ihn ungewöhnlich – schriftlich zu Schadensersatzforderungen Schönbohms Stellung. Das ZDF hatte unlängst den Eingang eines Anwaltsschreibens im Auftrag von Schönbohm bestätigt. Dessen Anwalt fordert demnach die Abgabe einer Unterlassungsverpflichtungserklärung sowie eine Entschädigung in Höhe von 100.000 Euro.

Es seien "KEINE 'falschen Vorwürfe' erhoben oder gar 'Unwahrheiten' oder 'Falschbehauptungen' verbreitet" worden, schrieb Böhmermann nun. Die gesamte Sendung und die komplette Recherche inklusive aller Quellen stünden weiterhin online, sie seien "weder inhaltlich widerlegt worden noch juristisch angefochten noch presserechtlich zu beanstanden".

Damit drückt sich der 42-jährige Moderator wortgewaltig, aber inhaltlich schwach um das eigentliche Thema. Es mag nicht falsch gewesen sein, was er behauptete: Es war in der Sache aber nicht belastbar. Eine Meinungsäußerung, presserechtlich beurteilt, ein Werturteil womöglich.

Fakt ist und bleibt aber, dass das Innenministerium diese Art der Berichterstattung, die der Geschädigte nun ebenso mit Fug und Recht als Diffamierung bezeichnen darf, zum konkreten Vorwurf gewandelt hat.

Damit bekam das faktenfreie Werturteil – Schönbohm habe Kontakt zu jemandem gehabt, der Kontakt zu jemandem gehabt habe, und sei daher ein Cyberclown – eine neue Qualität. Und damit muss sich Jan Böhmermann auseinandersetzen. Tut er aber nicht.

Stattdessen weicht er diesem Thema aus und lässt auch seine Kontakte zum Innenministerium ungeklärt: "Uns schäumend-schwurbelnd einen geheimen 'Komplott' mit dem WTF? Bundesinnenministerium zu unterstellen, ist ziemlich bösartiger Bullshit und natürlich komplett frei erfunden".

Das kann man nun glauben oder nicht. Und genau darauf wird es hinauslaufen. Kritiker des öffentlich-rechtlichen Fernsehens von Jan Fleischhauer bis zur AfD – und einigen Distanzen dazwischen – werden an die Verschwörung des Faeser-Böhmermann-Komplexes glauben, und weder Faeser noch Böhmermann werden sie umstimmen können. Böhmermann-Anhänger werden Böhmermann glauben.

Jan Böhmermann: Null Selbstkritik is nich cool, Digga?!

Es ist bezeichnend, dass eine Satire-Sendung, deren Genre die Mächtigen aufs Korn zu nehmen angelegt sein sollte, den Mächtigen in ihrer Magazin-Royal-Form als Instrument dient. Ob aus Naivität, Vorsatz, Unprofessionalität oder Zufall – das ist erst einmal zu vernachlässigen.

Das Verheerende ist, dass Böhmermanns Magazin Royal inzwischen integraler Bestandteil, fast ein Katalysator einer politischen Affäre ist, in der sich das Regierungslager im Streit mit der Opposition behauptet – und in der selbst der Inlandsgeheimdienst eine Rolle spielt.

Nach Auskunft der SPD nämlich hat es auch Abfragen beim Verfassungsschutz gegeben. "Es ist absolut deutlich erklärt worden, dass es natürlich eine Erkenntnisabfrage gab, und das ist direkt im Oktober gemacht worden, nachdem die Bitte um das Disziplinarverfahren eingeleitet worden ist", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Sebastian Hartmann, am Montag im Deutschlandfunk. Das sei durchaus üblich, fügte er an.

Nur: Weder die ZDF-Sendung noch der Inlandsgeheimdienst konnten substanzielle Vorwürfe gegen Schönbohm vorbringen. Am Ende war der BSI-Chef dennoch weg vom Fenster.

Dieses – wie auch immer geartete – Zusammenspiel zwischen Staat, Geheimdiensten und Medien ist der demokratischen und aufklärerischen Rolle der Presse nicht dienlich und hat andernorts eine verhängnisvollere Vorgeschichte, die in diesem Zusammenhang viel zu wenig diskutiert wird.

Bevor die USA unter George W. Bush am 20. März 2003 einen Angriffskrieg gegen den Irak starteten, war es nämlich die New York Times, die unter Berufung auf anonyme Geheimdienstquellen über angebliche Massenvernichtungswaffen der Führung von Saddam Hussein berichtete. Dann bezog sich die Bush-Regierung auf diese Falschinformationen – und der Krieg begann.

Die New York Times hat ihre Rolle später selbstkritisch aufgearbeitet. In der BSI-Affäre, die im Vergleich zu diesem US-Beispiel wie eine Provinzposse wirkt, zugleich aber der Auftakt für schwerwiegendere Fälle auch bei uns sein kann, ist das ZDF so weit bisher nicht. Das Innenministerium auch nicht. Und Jan Böhmermann ohnehin nicht.

Der Magazin-Royal-Moderator wies die Schadensersatzansprüche Schönbohms etwas schwurbelig formuliert zurück: "Was diese schräge Prinz-von-Hohenzollern-Litigation-PR bringen soll … weiß ich nich, Digga!?"