Je weniger Diplomatie, desto mehr Atomkriegsgefahr
Seite 2: Verhandlungen stehen nicht auf dem US-Programm
- Je weniger Diplomatie, desto mehr Atomkriegsgefahr
- Verhandlungen stehen nicht auf dem US-Programm
- Echte Verhandlungen über Nato-Erweiterung und gemeinsame Sicherheit erforderlich
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Aber es gibt noch ein Problem, das tiefer liegt. Die gesamte US-Außenpolitik basiert derzeit darauf, dass versucht wird, bloß die Motive der Gesprächspartner herauszufinden, anstatt tatsächlich mit ihnen zu verhandeln. Vonseiten der USA wird dazu immer wieder gesagt, dass man der anderen Seite nicht trauen könne, sodass es sich nicht lohne, mit Verhandlungen zu beginnen.
Verhandlungen werden heute als sinnlos, nicht mehr zeitgemäß und als Zeichen der Schwäche angesehen. Uns wird immer wieder erzählt, dass der Brite Neville Chamberlain 1938 versucht habe, mit Hitler zu verhandeln. Hitler habe ihn aber ausgetrickst, und genau das Gleiche würde bei den Verhandlungen heute passieren.
Stattdessen werden immer neue "Hitler" geschaffen
Um das zu verdeutlichen, wird jeder Gegner der USA vorab in den Medien als ein neuer Hitler dargestellt, wie das bei Saddam Hussein, Baschar al-Assad, Wladimir Putin, Xi Jinping und vielen anderen geschehen ist, und deshalb sei jede Verhandlung mit ihnen von vornherein vergebliche Liebesmüh.
Das Problem ist, dass das eine Verharmlosung der Geschichte ist und uns angesichts der heutigen Konflikte an den Rand eines Atomkriegs bringt. Die Welt ist dem nuklearen Armageddon näher als je zuvor – 90 Sekunden vor Mitternacht nach der Weltuntergangsuhr –, weil die nuklearen Supermächte nicht miteinander verhandeln. Und die USA sind tatsächlich der am wenigsten diplomatische aller UN-Mitgliedsstaaten geworden, wenn man die Staaten hinsichtlich der Einhaltung der UN-Charta miteinander vergleicht.
Konflikte sind strategische Dilemmata
Aber Diplomatie ist von entscheidender Bedeutung, denn die meisten Konflikte sind das, was Spieltheoretiker als "strategische Dilemmata" bezeichnen.
Ein strategisches Dilemma ist eine Situation, in der Frieden (oder, allgemeiner, Kooperation) für beide Kontrahenten die bessere Lösung wäre, aber auf beiden Seiten besteht auch ein Anreiz, in einem Friedensabkommen den Gegner zu betrügen und zu übervorteilen.
Während der Kubakrise zum Beispiel war Frieden sowohl für die USA als auch für die Sowjetunion die bessere Wahl als ein Atomkrieg, aber beide Seiten befürchteten, dass die andere Seite täuschen würde, wenn sie einer friedlichen Lösung zustimmte – zum Beispiel mit einem nuklearen Erstschlag.
In solchen Fällen sind Mechanismen zur Einhaltung der getroffenen Abmachungen der Schlüssel zum Frieden. Oder, wie Präsident Ronald Reagan über die Verhandlungen mit dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow gesagt hat und dabei eine alte russische Maxime wiederholte: "Vertraue, aber überprüfe".
Wie Vertrauen aufgebaut werden kann
Es gibt viele Mechanismen, um ein derartiges Vertrauen aufzubauen.
Grundsätzlich können sich die beiden Seiten gegenseitig daran erinnern, dass sie sich in einem "Spiel, das sich wiederholt", befinden, was bedeutet, dass es regelmäßig zu strategischen Dilemmata zwischen ihnen kommen wird.
Wenn eine Seite heute betrügt, tötet das die Chancen für eine zukünftige Zusammenarbeit. Aber es gibt auch viele weitere Mechanismen zur Durchsetzung der getroffenen Abkommen: formelle Verträge, Garantien Dritter, systematische Überwachung, Stufenvereinbarungen und dergleichen.
JFK war zuversichtlich, dass das Abkommen zur Beendigung der Kubakrise, das er im Oktober 1962 mit dem sowjetischen Staatschef Nikita Chruschtschow geschlossen hatte, Bestand haben würde – und das war dann auch so. Später war er zuversichtlich, dass auch der Vertrag über das teilweise Verbot von Atomversuchen, den er im Juli 1963 mit Chruschtschow ausgehandelt hatte, Bestand haben würde – und das war ebenfalls der Fall.
Erfolg eines Abkommens abhängig vom beiderseitigen Interesse
Wie JFK über solche Abkommen gesagt hat, hängt der Erfolg eines Abkommens davon ab, dass dieses in Interesse beider Parteien liegt:
Vereinbarungen dieser Art sind sowohl im Interesse der Sowjetunion als auch in unserem Interesse – und selbst bei den feindlichsten Nationen kann man sich darauf verlassen, dass sie die unter diesen Bedingungen eingegangenen Verpflichtungen akzeptieren und einhalten, aber nur die vertraglichen Verpflichtungen, die in ihrem eigenen Interesse liegen.
Spieltheoretiker beschäftigen sich seit mehr als 70 Jahren mit strategischen Dilemmata. Am bekanntesten ist das Gefangenendilemma. Sie haben wiederholt festgestellt, dass ein wichtiger Weg zur Zusammenarbeit in einem strategischen Dilemma der Dialog ist, auch der unverbindliche Dialog. Die menschliche Interaktion erhöht die Wahrscheinlichkeit einer für beide Seiten vorteilhaften Zusammenarbeit dramatisch.
Hatte Chamberlain Unrecht, als er 1938 in München mit Hitler verhandelte? Nein. Er irrte sich in den Einzelheiten, indem er eine unkluge Vereinbarung traf, die Hitler nicht einhalten wollte, und dann naiv den "Frieden für unsere Zeit" verkündete.
Trotzdem trugen Chamberlains Verhandlungen mit Hitler letztlich zu Hitlers Niederlage bei. Indem das gescheiterte Münchner Abkommen Hitlers Perfidie der Welt deutlich vor Augen führte, ebnete es den Weg für den entschlossenen Winston Churchill, der in Großbritannien an die Macht kam.
Dessen Machtübernahme konnte dann mit einer überzeugenden Begründung und großer öffentlicher Unterstützung in Großbritannien und auch weltweit durchgesetzt werden und führte schließlich zu der britisch-US-sowjetische Allianz, die Hitler besiegt hat.