Jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut bedroht
Bundesregierung verspricht 20 Euro mehr im Monat
Kinderarmut bleibt in Deutschland nach wie vor ein gravierendes Problem. Jedes fünfte Kind ist hierzulande von Armut bedroht, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken hervorgeht.
"Kinderarmut ist ein trauriger Skandal in unserem reichen Land", erklärte am Montag der Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch. Die fehlende Chancengleichheit sei eine inakzeptable Hypothek für nächste Generationen. Und da Familien besonders unter den aktuell sehr hohen Preisen für Lebensmittel und Energie litten, brauche es dringend Maßnahmen gegen Kinderarmut.
In ihrer Antwort hatte die Bundesregierung die jüngsten statistischen Daten aus dem Jahr 2020 wiedergegeben. Demnach galten bundesweit 20,2 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren als armutsgefährdet. Im Vorjahr lag die Quote mit 20,5 Prozent nur wenig darüber.
Wie viele Kinder in Familien aufwachsen, deren Haushaltseinkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens ausmacht, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. Den mit Abstand höchsten Wert weist der Stadtstaat Bremen auf; dort ist fast jedes zweite Kind von Armut betroffen (42 Prozent). Mit deutlichem Abstand folgt Sachsen-Anhalt mit einer Quote von 26,1 Prozent. In Bayern sind es dagegen lediglich 12,2 Prozent, in Baden-Württemberg 15,8 Prozent und in Brandenburg 16,8 Prozent.
"Wir brauchen angesichts der Preissteigerungen einen konsequenten Kein-Kind-in-Armut-Plan und die Einführung einer Kindergrundsicherung, die die Ampel den Familien versprochen hat", erklärte Bartsch. Das Kindergeld solle auf 328 Euro angehoben werden. Für die ärmsten Kinder brauche es zudem eine armutsfeste Kindergrundsicherung bis zu 630 Euro im Monat.
Langsam und zu wenig
Schnelle Abhilfe wird es aber wohl nicht geben. In der Antwort auf die Anfrage erklärte das Bundessozialministerium, dass eine Arbeitsgruppe "in Kürze" ihre Arbeit aufnehmen werde. Diese Arbeitsgruppe zu schaffen, hatten die drei Regierungsparteien im Koalitionsvertrag vereinbart. "Dass die Bundesregierung erst einmal einen Arbeitskreis gründen will, ist eine bittere Nachricht", kommentierte Bartsch diesen Teil der Antwort.
Im Januar hatte der Paritätische Wohlfahrtsverband die Absicht der Regierungskoalition begrüßt, eine Kindergrundsicherung auf den Weg bringen zu wollen. Das sei ein echter Meilenstein, hieß es damals in einer Erklärung. Auf dem Weg zur Umsetzung werde sich zeigen, "wie ernst es den unterschiedlichen Koalitionären mit der Abschaffung der Kinderarmut wirklich ist", hatte Ulrich Schneider gesagt, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes ist.
Schneider betonte, dass die Regelsätze für Kinder und auch für Erwachsene grundsätzlich auf den Prüfstand gehörten; sie seien von Beginn an künstlich kleingerechnet worden. Er forderte die Regierung auch auf, den angekündigten Zuschlag für Kinder nicht auf die lange Bank zu schieben.
Am Freitag hatte nun das Bundesozialministerium erklärt, dass der Sofortzuschlag voraussichtlich am Mittwoch auf den Weg gebracht werde. Der entsprechende Gesetzentwurf werde nun innerhalb der Regierung abgestimmt. Etwa 2,7 Millionen Kinder und Jugendliche sollen nach Angaben von Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) 20 Euro mehr im Monat bekommen.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hatte zuvor zehn Euro pro Kind vorgeschlagen, was beim Paritätischen Gesamtverband nicht gut ankam. Dieser Vorschlag sei armutspolitisch ignorant und ein Affront, hatte Schneider gesagt. "Wer weiß, wie es armen Familien wirklich geht, weiß auch, dass es schnell eine spürbare Entlastung braucht", so Schneider. Es führe kein Weg daran vorbei: "Gegen Armut hilft Geld." Ob 20 Euro einen wesentlichen Unterschied machen, sei einmal dahingestellt.
Ideen, wie Kindern schnell geholfen werden könnte, sind auch an anderer Stelle vorhanden. Das neoliberale Münchner ifo-Institut hatte erst vor wenigen Tagen vorgeschlagen, ein "Teilhabegeld" einzuführen. Damit könnte das Armutsrisiko von Millionen von Kindern verringert werden, heißt es in einer Erklärung.
Das Institut versteht unter dem "Teilhabegeld" eine Variante der Kindergrundsicherung, dass vor allem Alleinerziehenden, ärmeren und kinderreichen Familien helfen solle. Dafür sollen bestehende Leistungen gebündelt und ersetzt werden, zum Beispiel Kindergeld und Kinderzuschlag.
Auf diese Weise würden Kinder von der Grundsicherung abgekoppelt werden. Und mit steigendem Einkommen der Eltern solle auch das "Teilhabegeld" geringer ausfallen. "Der Anteil von armutsgefährdeten Kindern könnte um bis zu 11 Prozentpunkte sinken", verspricht sich der ifo-Experte Maximilian Blömer von dem Vorschlag.