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Jenseits der Angst: Desinformation als Demokratiegefahr?

Bild: Unsplash

Medienvertrauen, Fake News und Desinfo: Deutsche zweifeln laut einer Studie an der Berichterstattung. Warum Verunsicherung nichts Schlechtes sein muss. Eine Analyse.

Eine deutliche Mehrheit der Deutschen sieht in "Desinformation" laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie [1] Gefahren für Demokratie und Zusammenhalt hierzulande.

Aus Sicht zumindest mancher Medienforschender geht der veröffentlichte leitmediale Diskurs allerdings an wichtigen Erkenntnissen vorbei. Die Publika sollten nicht unterschätzt werden und warum "Verunsicherung" nichts Schlechtes sein muss, das soll eine medien- und gesellschaftskritische Analyse im Folgenden erklären.

81 Prozent sehen "Desinformation" als Gefahr für Demokratie

"Verunsicherte Öffentlichkeit", so lautet der Titel jener jüngsten Studie der Bertelsmann-Stiftung, deren Fokus auf hochumstrittenen Phänomen wie "Fake News" und "Desinformation" liegt.

Immerhin 84 Prozent der Studienteilnehmer in Deutschland sind demnach der Meinung, vorsätzlich verbreitete Falschinformationen im Internet stellten zumindest ein großes oder sogar sehr großes Problem dar.

Fast ebenso viele, 81 Prozent, schätzten "Desinformation" als Gefahr für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. Mehr als die Hälfte antwortete, das Thema "Desinformation" bekomme zu wenig Aufmerksamkeit.

Was heißt Medienvertrauen?

Eine Minderheit von 13 Prozent gab laut Studie an (im Text dort heißt es abwertend "glaubt"), beim Thema "Desinformation" gehe es "nur darum, alternative Meinungen schlecht zu machen und als unglaubwürdig darzustellen."

Verzeihung: Was soll das unscheinbar erscheinende Adverb-Wörtchen "nur" hier in der Fragestellung? Es sagt in seiner bemerkenswerten Undifferenziertheit mehr über die Studie aus als über die Befragten.

Als eine Art Kontrastfolie zu "Desinformation" wurde in der Studie "Medienvertrauen" (als Vertrauen der Menschen gegenüber "den Medien" ganz allgemein) bestimmt. Was genau als "die Medien" verstanden werden sollte, wird leider kaum klar.

Jedenfalls lauteten die drei konkreten Aussagen-Vorgaben, die bewertet werden sollten:

1. "Alles in allem kann man der Berichterstattung über politische Themen in den Medien vertrauen"

2. "Die Bevölkerung in Deutschland wird von den Medien systematisch belogen"

und

3. "Die Medien und die Politik arbeiten Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren".

Wenig überraschend, dass im Ergebnis dann in jener Gruppe "niedriges Medienvertrauen" die AfD-Klientel (58 Prozent) vorne liegt und die der Bündnisgrünen (drei Prozent) hinten, während es in der Gruppe "hohes Medienvertrauen" genau andersherum ist – hier führen die Bündnisgrünen (30 Prozent), und die AfD (drei Prozent) bildet das Schlusslicht (dazwischen wurde im Ergebnis der Studie eine Gruppe "mittleres Medienvertrauen" gebildet, in die Anhängerschaft von Union und SPD führt).

Desinformation: Mehr als falsche Informationen

Noch problematischer als diese Bestimmung von Vertrauen gegenüber "den Medien" in dieser Allgemeinheit bleibt allerdings die Definition von "Desinformation", die seit ca. 2015/2016 im herrschenden, westlich-(neo-)liberalen Selbstverständnis relativ konstant ist. Sie lautet hier:

Der Begriff (der "Desinformationen", d. A.) bezeichnet falsche Informationen, die absichtlich verbreitet werden, um Schaden anzurichten oder für Verunsicherung zu sorgen.

Schauen wir uns die drei Aspekte näher an:

1. "Falsche Informationen" könnte wohl noch am ehesten verifiziert werden, je nachdem, welcher(-art) Wahrheitstheorie man anhängt. Dann allerdings würde man das "Taurus-Leak [2]" kaum als klassische "Desinformation" labeln können – denn die publizierten Tatsachen, das in den 38 Minuten von den vier deutschen Luftwaffen-Offizieren Gesagte, scheinen ja exakt zu stimmen.

Sehr viele Medien und politisch/militärisch/wirtschaftlich Verantwortliche hierzulande reden allerdings in diesem Kontext fast pausenlos von "Desinformation" [3].

Wie dem auch sei – nehmen wir im Sinne der Bertelsmann-Definition an, es handele sich tatsächlich um "falsche Informationen":

2. Wie aber wollte man dann eindeutig die jeweilige Absicht der Medienschaffenden bestimmen, ohne aktuell in deren Köpfe zu schauen? Man müsste diese Intentionen der Akteure also wohl schon vorab erkennen – oder treffender: zu kennen glauben. Es ginge also eher um bestehende, um nicht zu sagen: herrschende Vor-Urteile als um konkret zu bestimmende Urteile.

Und schließlich:

3. Was hieße "Schaden anzurichten oder für Verunsicherung zu sorgen"? Inwiefern war/ist es für wen ein Schaden, wenn z.B. durch Wikileaks und Julian Assange geheim gehaltene US-Kriegsverbrechen bekannt (gemacht) wurden? Und wenn es solche Kriegsverbrechen gab/gibt: Ist dann "Verunsicherung" nicht das Mindeste, was sich gesellschaftlich daraus ergeben sollte? Ähnliches ließe sich mit Blick auf die gegenwärtige Militarisierung in Deutschland sagen.

Wissenschaftlich erscheint all das jedenfalls spannend, im Sinne von: als ein Spannungsverhältnis zwischen Medienrealität und sonstiger Realität. Denn es gibt Anzeichen dafür, dass dieses Thema "Desinformation" unverhältnismäßig viel leitmediale Aufmerksamkeit bekommt – auch, weil "Negativismus" wenigstens in der westlichen Welt ein wichtiger, wenn nicht der zentrale Nachrichtenfaktor ist.

Menschen surfen ständig unbedarft im Netz herum?

Spätestens seit 2016, so auch die Ansicht des Leipziger Medienexperten Christian Pieter Hoffmann, an der dortigen Uni Professor für Kommunikationsmanagement [4], wird in herrschenden Diskursen sehr viel über solche Erscheinungen wie "Fake News" debattiert, nicht zuletzt in reichweitenstarken, etablierten Medien.

Auslösende Anlässe sind oft (Debatten über) verschärfte krisenhafte Entwicklungen (Menschen auf der Flucht nach Deutschland 2015/2016, Corona, Krieg in der Ukraine, Nahost-Krieg, Klimakrise, wachsender Rechtsextremismus im Globalen Norden etc.).

Forscher wie Hoffmann weisen darauf hin, dass die Vorstellung bestenfalls naiv [5] sei, viele Menschen surften ständig unbedarft im Netz herum, stolperten dann über "Fake News", würden von diesen "Desinformationen" in die Irre geführt und dächten dann plötzlich, aber anhaltend Unsinn.

Statt Infantilisierung: Ein reiferer Umgang mit Medienkritik

Medienschaffende sollten die Klugheit der Publika nicht unterschätzen oder diese sogar, gleichsam wie im Kindergarten, schützend an die Hand nehmen wollen.

Das ist Teil von und bewirkt zugleich weitere "Infantilisierung" der politischen/medialen Diskurse [6] – als ob man es mit wehrlosen Opfern von Manipulationen zu tun hätte. Die als handgreifliche Eingriffe wiederum per Definition, natürlich, (fast) immer von Anderen, von Außen, tendenziell "vom Bösen" kommen (sollen).

Im Gegenteil – Hoffmann weist darauf hin, dass laut relevanten Studien etliche Mediennutzerinnen und -nutzer eher skeptisch denn leichtgläubig unterwegs sind, mit Blick auf alle möglichen medialen, insbesondere journalistischen Angebote.

Vernünftige Skepsis

Michael Haller, emeritierter Journalismus-Professor ebenfalls von der Uni Leipzig, hatte das vor einiger Zeit in einer öffentlichen Hochschul-Debatte sinngemäß so auf seinen Punkt gebracht: Etwas Besseres als eine "gesunde", also vernünftige Skepsis könne doch Medien und Medienschaffenden kaum passieren.

Oder wie es Hoffmann formuliert:

Medienbildung ist immer gut – und dazu gehört auch, kritisch mit Medien umzugehen.

Wichtig scheint, auch hier nicht Angst oder gar Panik zu verbreiten. Sondern sowohl als Medienschaffende als auch als Mediennutzende aufklärend und aufgeklärt zu handeln:

Was sind die jeweiligen Stärken und Schwächen praktisch aller Medien? Wo haben sie mehr oder weniger zwangsläufig ihre "blinden Flecken"?

Welche Strukturen wirken in den Medien? Wem gehören diese Medien? Welchen Interessen sind sie verpflichtet? Inwiefern also sind Medien möglichst unabhängig von Interessen Dritter - auch hierzulande von politischen, wirtschaftlichen oder sonstigen Einflüssen?

Erfüllen gerade journalistische Medien ihre öffentlichen Aufgaben, die unter anderem in den 16 Landespresse-Gesetzen bestimmt werden: relevant informieren, zur gesellschaftlichen und individuellen Meinungsbildung beitragen, Mächtige kontrollieren sowie kritisieren und last but not least die Gesellschaft in ihrer Vielfalt und Widersprüchlichkeit artikulieren?

Jenseits der Angst: Eine differenzierte Sicht auf Desinformation

In politisch und medial dominanten Diskursen werden Worte wie "Demokratie" oder "Medienvertrauen" oder "Menschenrechte" in der Tendenz der eigenen Seite gutgeschrieben, gleichsam als "Heilsbringer".

Das ziemlich platte Spiegelbild dazu wären dann oft dem jeweiligen Gegner zugeordnete "Kampfbegriffe" wie "Desinformation", "Fake News" oder "Manipulation".

In Bereichen der Forschung wird, wie nicht nur Christian Hoffmann äußert, an vielen Stellen entspannter mit dem Thema "Desinformation" umgegangen als im herrschenden medial-veröffentlichten Diskurs.

Tatsächlich sollte Aufklärung ja auch mit Selbstkritik und Selbst-Beschränkung verbunden sein: Medienwissenschaftler Hoffmann sieht Aufklärungskampagnen, die beispielsweise alarmistisch vor etwaigen "Fake News"-Gefahren durch KI/AI-Anwendungen warnten, durchaus kritisch.

Es bestehe die Gefahr, dass Leute zu ängstlich oder skeptisch würden und davon ausgingen, "dass überall Fake News" lauerten. Dann würden Inhalte vielleicht pauschal abgelehnt oder als unplausibel wahrgenommen, die doch wahr wären oder es zumindest sein könnten. Dabei dann "Wahres" immer wieder konkret herauszufinden in Begriffen, Urteilen und Schlüssen, ist und bleibt - wie anderes auch - das Einfache, das schwer zu machen ist.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9649458

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2024/februar/grosse-mehrheit-erkennt-in-desinformation-eine-gefahr-fuer-demokratie-und-zusammenhalt
[2] https://www.telepolis.de/features/Taurus-Leak-Der-Irrsinn-der-38-Minuten-9646904.html
[3] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/taurus-abhoeraffaere-100.html
[4] https://www.uni-leipzig.de/personenprofil/mitarbeiter/prof-dr-christian-pieter-hoffmann
[5] https://www.deutschlandfunk.de/desinformation-gefahr-oder-ueberschaetzt-100.html
[6] https://www.deutschlandfunk.de/klartext-reden-die-gesellschaft-im-sog-der-infantilisierung-100.html