Jenseits der Angst: Desinformation als Demokratiegefahr?

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Medienvertrauen, Fake News und Desinfo: Deutsche zweifeln laut einer Studie an der Berichterstattung. Warum Verunsicherung nichts Schlechtes sein muss. Eine Analyse.

Eine deutliche Mehrheit der Deutschen sieht in "Desinformation" laut einer aktuellen Bertelsmann-Studie Gefahren für Demokratie und Zusammenhalt hierzulande.

Aus Sicht zumindest mancher Medienforschender geht der veröffentlichte leitmediale Diskurs allerdings an wichtigen Erkenntnissen vorbei. Die Publika sollten nicht unterschätzt werden und warum "Verunsicherung" nichts Schlechtes sein muss, das soll eine medien- und gesellschaftskritische Analyse im Folgenden erklären.

81 Prozent sehen "Desinformation" als Gefahr für Demokratie

"Verunsicherte Öffentlichkeit", so lautet der Titel jener jüngsten Studie der Bertelsmann-Stiftung, deren Fokus auf hochumstrittenen Phänomen wie "Fake News" und "Desinformation" liegt.

Immerhin 84 Prozent der Studienteilnehmer in Deutschland sind demnach der Meinung, vorsätzlich verbreitete Falschinformationen im Internet stellten zumindest ein großes oder sogar sehr großes Problem dar.

Fast ebenso viele, 81 Prozent, schätzten "Desinformation" als Gefahr für Demokratie und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein. Mehr als die Hälfte antwortete, das Thema "Desinformation" bekomme zu wenig Aufmerksamkeit.

Was heißt Medienvertrauen?

Eine Minderheit von 13 Prozent gab laut Studie an (im Text dort heißt es abwertend "glaubt"), beim Thema "Desinformation" gehe es "nur darum, alternative Meinungen schlecht zu machen und als unglaubwürdig darzustellen."

Verzeihung: Was soll das unscheinbar erscheinende Adverb-Wörtchen "nur" hier in der Fragestellung? Es sagt in seiner bemerkenswerten Undifferenziertheit mehr über die Studie aus als über die Befragten.

Als eine Art Kontrastfolie zu "Desinformation" wurde in der Studie "Medienvertrauen" (als Vertrauen der Menschen gegenüber "den Medien" ganz allgemein) bestimmt. Was genau als "die Medien" verstanden werden sollte, wird leider kaum klar.

Jedenfalls lauteten die drei konkreten Aussagen-Vorgaben, die bewertet werden sollten:

1. "Alles in allem kann man der Berichterstattung über politische Themen in den Medien vertrauen"

2. "Die Bevölkerung in Deutschland wird von den Medien systematisch belogen"

und

3. "Die Medien und die Politik arbeiten Hand in Hand, um die Meinung der Bevölkerung zu manipulieren".

Wenig überraschend, dass im Ergebnis dann in jener Gruppe "niedriges Medienvertrauen" die AfD-Klientel (58 Prozent) vorne liegt und die der Bündnisgrünen (drei Prozent) hinten, während es in der Gruppe "hohes Medienvertrauen" genau andersherum ist – hier führen die Bündnisgrünen (30 Prozent), und die AfD (drei Prozent) bildet das Schlusslicht (dazwischen wurde im Ergebnis der Studie eine Gruppe "mittleres Medienvertrauen" gebildet, in die Anhängerschaft von Union und SPD führt).

Desinformation: Mehr als falsche Informationen

Noch problematischer als diese Bestimmung von Vertrauen gegenüber "den Medien" in dieser Allgemeinheit bleibt allerdings die Definition von "Desinformation", die seit ca. 2015/2016 im herrschenden, westlich-(neo-)liberalen Selbstverständnis relativ konstant ist. Sie lautet hier:

Der Begriff (der "Desinformationen", d. A.) bezeichnet falsche Informationen, die absichtlich verbreitet werden, um Schaden anzurichten oder für Verunsicherung zu sorgen.

Schauen wir uns die drei Aspekte näher an:

1. "Falsche Informationen" könnte wohl noch am ehesten verifiziert werden, je nachdem, welcher(-art) Wahrheitstheorie man anhängt. Dann allerdings würde man das "Taurus-Leak" kaum als klassische "Desinformation" labeln können – denn die publizierten Tatsachen, das in den 38 Minuten von den vier deutschen Luftwaffen-Offizieren Gesagte, scheinen ja exakt zu stimmen.

Sehr viele Medien und politisch/militärisch/wirtschaftlich Verantwortliche hierzulande reden allerdings in diesem Kontext fast pausenlos von "Desinformation".

Wie dem auch sei – nehmen wir im Sinne der Bertelsmann-Definition an, es handele sich tatsächlich um "falsche Informationen":

2. Wie aber wollte man dann eindeutig die jeweilige Absicht der Medienschaffenden bestimmen, ohne aktuell in deren Köpfe zu schauen? Man müsste diese Intentionen der Akteure also wohl schon vorab erkennen – oder treffender: zu kennen glauben. Es ginge also eher um bestehende, um nicht zu sagen: herrschende Vor-Urteile als um konkret zu bestimmende Urteile.

Und schließlich:

3. Was hieße "Schaden anzurichten oder für Verunsicherung zu sorgen"? Inwiefern war/ist es für wen ein Schaden, wenn z.B. durch Wikileaks und Julian Assange geheim gehaltene US-Kriegsverbrechen bekannt (gemacht) wurden? Und wenn es solche Kriegsverbrechen gab/gibt: Ist dann "Verunsicherung" nicht das Mindeste, was sich gesellschaftlich daraus ergeben sollte? Ähnliches ließe sich mit Blick auf die gegenwärtige Militarisierung in Deutschland sagen.

Wissenschaftlich erscheint all das jedenfalls spannend, im Sinne von: als ein Spannungsverhältnis zwischen Medienrealität und sonstiger Realität. Denn es gibt Anzeichen dafür, dass dieses Thema "Desinformation" unverhältnismäßig viel leitmediale Aufmerksamkeit bekommt – auch, weil "Negativismus" wenigstens in der westlichen Welt ein wichtiger, wenn nicht der zentrale Nachrichtenfaktor ist.

Menschen surfen ständig unbedarft im Netz herum?

Spätestens seit 2016, so auch die Ansicht des Leipziger Medienexperten Christian Pieter Hoffmann, an der dortigen Uni Professor für Kommunikationsmanagement, wird in herrschenden Diskursen sehr viel über solche Erscheinungen wie "Fake News" debattiert, nicht zuletzt in reichweitenstarken, etablierten Medien.

Auslösende Anlässe sind oft (Debatten über) verschärfte krisenhafte Entwicklungen (Menschen auf der Flucht nach Deutschland 2015/2016, Corona, Krieg in der Ukraine, Nahost-Krieg, Klimakrise, wachsender Rechtsextremismus im Globalen Norden etc.).

Forscher wie Hoffmann weisen darauf hin, dass die Vorstellung bestenfalls naiv sei, viele Menschen surften ständig unbedarft im Netz herum, stolperten dann über "Fake News", würden von diesen "Desinformationen" in die Irre geführt und dächten dann plötzlich, aber anhaltend Unsinn.