"Jetzt ist der Druck, der auf Consortium News ausgeübt wird, noch viel schlimmer"

Seite 2: Wir befinden uns in einer sehr gefährlichen Krise des Journalismus in den USA

Joe Lauria, im Mai hat PayPal das Konto Ihres unabhängigen Nachrichtenportals Consortium gekündigt und die Gelder eingefroren. Was ist geschehen? Und welche Auswirkungen hat das auf Consortium News?

Joe Lauria: Wir danken PayPal für diese Maßnahme, weil das Geld in unsere Kassen gespült hat. Wir hatten unsere beste Frühjahrs-Spendenaktion seit Gründung. Viele haben sich angesichts dessen, was PayPal getan hat, solidarisch gezeigt und uns unterstützt.

Wir wissen nicht, warum PayPal das getan hat, denn sie weigern sich, uns den Grund zu nennen. Sie haben schließlich unsere Gelder wieder freigegeben, nachdem der Journalist Matt Taibbi in einen Artikel darüber geschrieben hat. Die New York Post hat es sogar aufgegriffen. Wir haben also unser Geld zurückbekommen, aber das Problem ist, dass wir komplett von PayPal gesperrt sind, und wir wissen nicht, warum.

Der einzige Grund, den wir vermuten können, ist, dass wir mit Informationen handeln. Wir dealen ja nicht mit verbotenen Drogen oder Waffen, was bei PayPal verboten ist. In der Nutzungsvereinbarung steht aber auch, dass die Verbreitung von Fehlinformationen nicht erlaubt ist. Ich denke also, dass die Konto-Sperrung mit unserer Berichterstattung über den Ukraine-Krieg zu tun hat.

In unserer Berichterstattung über den Ukraine-Krieg geht es nun vor allem um die Ursachen des Krieges und den historischen Kontext, der in der Mainstream-Berichterstattung völlig fehlt. Historiker sprechen zum Beispiel auch über die Ursachen des Zweiten Weltkriegs und den Aufstieg des Nationalsozialismus. Sie verweisen oft auf den Versailler Vertrag und die Bedingungen, die er Deutschland auferlegte. Niemand wirft diesen Historikern vor, Hitler-Apologeten zu sein. Aber wenn wir jetzt in Echtzeit über die Ursachen dieses tragischen und vermeidbaren Konflikts sprechen, werden wir als Kreml-Agenten und Putin-Marionetten beschimpft. All das ist völliger Blödsinn.

Wir haben in den durchgesickerten E-Mails von The Grayzone gesehen, dass uns ein Regierungsbeamter, jemand vom Außenministerium, unter die Lupe genommen hat. Nina Jankowicz, die Leiterin des Governance Board, tatsächlich ein Disinformation Governance Board, ein abschreckendes, Orwellsches Gremium, das die Biden-Administration eingerichtet hat, sagte, wir seien "nützliche Idioten", auch wenn wir nicht durch feindliche Kräfte finanziert würden.

Wir sollten uns daran erinnern, dass während des Vietnamkriegs Amerikaner, die zu Recht gegen die mörderische Politik ihrer Regierung protestierten, als Marionetten von Hanoi, Peking oder Moskau verleumdet wurden. Es ist der älteste Trick, den Regierungen anwenden, um legitime Kritiker ihrer Politik als ausländische Handlanger zu diffamieren. Und wir fühlen uns dadurch beleidigt, weil es uns unsere Handlungsfähigkeit nimmt, und uns darstellt, als ob wir nicht selbständig denken könnten.

Sie versuchen also, jeden Funken von Dissens auszutreten. Consortium News hat etwa 10.000 Leser pro Tag. Zu Beginn des Krieges waren es kurzzeitig bis zu 40.000. Und warum? Weil wir den historischen Kontext, die Ursachen des Krieges – die Nato-Erweiterung, die Ablehnung der russischen Verträge im Dezember, die Schaffung einer neuen Sicherheitsarchitektur in Europa durch die Nato und die USA, das Scheitern der Umsetzung des Minsker Abkommens im Donbass – dargestellt haben.

Wenn man all diese Gründe ausklammert, sieht es natürlich so aus, als sei Russland durchgedreht und imperialistisch. Es stimmt zwar, dass Putin im Laufe der Jahre von Noworossija ("Neurussland"), das von Katharina der Großen im 18. Jahrhundert gegründet wurde und im Grunde ein integraler Bestandteil Russlands war (es bezeichnet das Gebiet im Osten und Südosten der heutigen Ukraine). Wenn man all die anderen Gründe weglässt, sieht Putin wie ein imperialer Verrückter aus.

Der Einmarsch in die Ukraine verblasst natürlich im Vergleich zur Invasion des Irak, Panamas und Grenadas durch die Vereinigten Staaten, die alle nicht vom Sicherheitsrat genehmigt wurden – einschließlich des russischen Votums –, so dass es sich technisch gesehen illegale Invasionen sind.

Wir befinden uns also in einer Situation, in der wir, weil wir über diese Dinge berichten, verleumdet, angegriffen und verunglimpft werden. Und PayPal lässt nicht zu, dass wir über ihren Service Geld einnehmen. Aber wie gesagt, wir kommen ganz gut ohne PayPal zurecht, vielen Dank also.

Könnten Sie über NewsGuard sprechen und darüber, wie diese Organisation sie ins Visier genommen hat?

Joe Lauria: NewsGuard wurde vor zwei, drei Jahren gegründet. Es ist ein privates Unternehmen mit Sitz in New York. Im Vorstand sitzen Michael Hayden, der ehemalige CIA- und NSA-Direktor, der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und Tom Ridge, der erste Direktor für Heimatschutz. Sie kooperierten mit dem Pentagon und dem Außenministerium. Steven Brill war einer der Gründer dieser Organisation, der in den 1990er Jahren die Zeitschrift Brill's Content herausgab. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, große und kleine Nachrichtenorganisationen zu überprüfen, von der New York Times bis zu Consortium News.

Sie haben uns geschrieben, dass sie uns überprüfen werden. Aber schon in der ersten E-Mail wurden wir beschuldigt, falsche Inhalte über die Ukraine zu veröffentlichen. Nun, wir haben den Spieß umgedreht. Ich habe einen 9.000 Worte umfassenden Artikel geschrieben, in dem ich auf die Vorwürfe gegen uns eingehe und aufzeige, dass die Berichterstattung von NewsGuard über die Ukraine tatsächlich falsch ist und dass sie vielmehr Korrekturen vornehmen müssen, die sie von uns verlangen.

Ihr Einfluss ist beängstigend, weil sie Websites, die sie für nicht vertrauenswürdig halten, mit einem roten Etikett versehen. Das taucht dann in Bibliotheken in ganz Europa und den Vereinigten Staaten auf. Und jeder, der einen Microsoft-Computer kauft – einen Computer mit Microsoft-Software – hat diese Warn-Extension eingebaut, die er einschalten kann. Und wenn dann unsere Website in den sozialen Medien auftaucht, sei es bei Twitter oder Google, erscheint diese rote Markierung und eine Warnung, mit den Informationen von dieser Seite vorsichtig umzugehen.

Das ist natürlich eine Ungeheuerlichkeit. Wir haben ein Recht darauf, uns zu irren. Wir haben das Recht, zu sagen, was wir wollen. Das soll die Pressefreiheit sein, für die die amerikanische und die europäische Regierung beteuern, dass sie sie schützen und verteidigen. In Wirklichkeit versuchen sie, ihre eigenen Interessen zu schützen und jegliche Kritik wegzudrücken – legitime Kritik an den Fehlern ihrer Politik. Und das ist nichts anderes als das, was in totalitärem Systemen unternommen wird, sorry. Denn sie wollen die totale Kontrolle – und das Wort "total" steckt in "totalitär".

Ich muss hier Julian Assange erwähnen, denn er ist das Symbol für die Repressionsstrategie. Der Kampf gegen journalistische Integrität begann, als sie ihn verhafteten und anklagten. Biden, als er noch Vizepräsident war, sagte, sie könnten ihn nicht anklagen, solange es keinen Beweis dafür gäbe, dass er die Dokumente tatsächlich gestohlen hat. Der Hauptzeuge hat inzwischen widerrufen. Es gibt also keine Beweise gegen Assange. Sie haben es auf ihn abgesehen, weil sie einen Journalisten ins Gefängnis werfen wollen, weil er Kriegsverbrechen und Korruption aufgedeckt hat – so wie es jeder Kleindiktator tun würde.

Wir befinden uns in einer sehr gefährlichen Krise des Journalismus in den Vereinigten Staaten, sollte die US-Regierung der Vereinigten Staaten damit durchkommen, also mit der Verurteilung von Assange bzw. restriktiven Maßnahmen gegen unabhängige Medien wie uns. Es sind ja nicht nur wir. Auch MintPress News wurde das PayPal-Konto gesperrt. Sie wollen nur ein einziges Narrativ im Ukraine-Krieg zulassen. Deswegen wurden auch Dirigenten, russischen Musikdirigenten und Opernsänger entlassen. Und Tennisspieler durften nicht in Wimbledon spielen. Das alles ist Teil eines historischen Angriffs auf die Informationsfreiheit.

Übrigens nutzten die USA meiner Meinung nach die Invasion Russlands in die Ukraine, um ihren Wirtschafts-, Informations- und Stellvertreterkrieg zu entfesseln. US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte, das Ziel sei es, Russland zu schwächen. Joe Biden hat sogar gesagt, dass das Ziel darin besteht, Putin zu stürzen. Er sagte am 24. Februar am Tag der Invasion auf einer Pressekonferenz, dass der Zweck der Sanktionen nicht darin bestehe, die Invasion zu stoppen, sondern Putin zu stürzen. Es gehe darum, das russische Volk zum Aufstand zu bewegen. Die Invasion wird dafür benutzt.

Dazu kommt der Informationskrieg. Die Restriktionen gegen uns sind nur ein kleiner Teil dieses Kriegs. Sie hätten den Sender Russia Today (RT America) niemals abschalten können, ohne den russischen Einmarsch. Europa hat RT und Sputnik verboten. Ob man nun richtig findet, was sie machen, oder nicht, es war die russische Sichtweise auf die Nachrichten.

Ohne die Invasion wäre es zudem nicht möglich gewesen, den Wirtschaftskrieg gegen Russland zu starten. Die Sanktionen gegen die russische Zentralbank und gegen russische Produkte schädigen sogar den Westen. Russische Waren sind jetzt nicht mehr erhältlich, einschließlich Lebensmittel, Mineralien und Treibstoff. Die Blockade wäre ohne die Invasion nicht möglich gewesen. Ich denke, dass die USA Russland eine Falle gestellt haben, in die es hineingetappt ist, nämlich eine Offensive im Donbass anzuzetteln. Russland musste sich entscheiden, ob es eingreifen oder die ethnischen Russen der ukrainischen Regierung überlassen sollte.

Der Kampf gegen unliebsame Meinungen hat eine lange Geschichte in den USA. Sie geht zurück bis zum Gründervater John Adams Ende des 18. Jahrhunderts mit seinem Sedition Act, der Kritik am Staat strafbar machte. Leute wurden für das, was sie geschrieben haben, ins Gefängnis geworfen. Woodrow Wilson scheiterte mit dem Espionage Act an einer Stimme im Senat, um die offizielle Zensur durchzusetzen. Ein Jahr später brachte er seinen eigenen Sedition Act auf den Weg, mit dem er Eugene Debs und Hunderte von Menschen wegen ihrer Reden und Artikel verhaften ließ. Und dann ist da natürlich noch der McCarthyismus. Es ist also ein wiederkehrendes Thema in der Geschichte der USA, und wir sehen gerade ein sehr deutliches Beispiel dafür.

Joe Lauria ist Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenmagazins Consortium News, das 1995 gegründet wurde. Er ist ein ehemaliger U.N.-Korrespondent für das Wall Street Journal, den Boston Globe und andere, investigativer Reporter für die Sunday Times of London, jetzt bei Consortium News.