Jetzt kennen wir keine Parteien mehr

Seite 4: Wer den Krieg gewinnt, ist im Recht

Derart funktioniert das gerade auch im Fall Ukraine. Der Dämon heißt wahlweise "Putin" oder "Russland" – und sehr viele Deutsche stimmen vehement in die von Politik und Medien befeuerte Hetze ein. Gegen das russische Volk hat man eigentlich nichts, wird immer wieder betont. Es sind halt "Putin" und seine ihm ergebene Mannschaft.

Aber "die Russen" wirtschaftlich zu ruinieren, auf sie zu schießen oder, wenn man das nicht persönlich erledigen kann, das zu unterstützen und zu beklatschen? Na klar! Das macht "Putin" doch gerade auch mit den Ukrainern! Eben, und genau deshalb sollte man sich gegen diese brutale Durchsetzung staatlicher Interessen grundsätzlich verwahren. Wenn Staaten aufeinander losgehen, gibt es kein "Gut" und "Böse". Sondern wer das am besten gerüstete Volk hat. Mit dem gewinnt dann der Staat und ist "im Recht".

Deshalb trifft der Gegensatz zwischen "guter", weil "freiheitsliebender, friedlicher" Ukraine und "bösem", weil "Unterdrückerregime" Russland nicht die Wahrheit. Der eine Staat verspricht sich durch die Aufnahme in EU und Nato Vorteile, nimmt dafür die Feindschaft seines russischen Nachbarn in Kauf. Der wiederum fasst dies zutreffend als Feindschaftserklärung auf und will das mit all seiner Macht verhindern. Die Kategorien "Gut" und "Böse" greifen dabei einfach nicht.

Auch der Gegensatz Freiheit und Frieden auf der einen Seite, Unterdrückung auf der anderen beschreibt keine Wirklichkeit. Vielmehr dient er nur der Vergewisserung, auf der "richtigen" Seite zu stehen. Denn was soll das in der Ukraine bedeuten? Strebt Kiew etwa die Freiheit von Kriegsbündnissen an, will neutral sein und jeglicher Feindschaft zu anderen Staaten entsagen? Nein, das ist sicher nicht mit Freiheits- und Friedensliebe gemeint.

Die ukrainische Regierung denkt da eher an den Segen prosperierenden freien Kapitals mit westlicher Hilfe, abgesichert gegen Russland durch die waffenstarrende Nato. Eine feine friedliche Freiheit.

"Unterdrückerregime": nur gültig mit Feindaufdruck

Und das "Unterdrückerregime"? Dass sich in Russland das Volk an die Gesetze zu halten hat und dies mit Gewalt gegen es durchgesetzt wird? Dass es eine Elite gibt, die die Klasse der Politiker und Unternehmer stellt, und verbindliche Ansagen macht, was der Rest des Volks für das Wohl der Nation zu leisten hat? Stimmt, das ist "Unterdrückung" – und ganz normal in jedem ordentlichen Staat. Aber so ist der Vorwurf sicher nicht gemeint.

Vielmehr handele es sich bei Putins Russland um irgendetwas zwischen Autokratie und Diktatur. Die Feindschaft gegen Moskau ist damit hinlänglich begründet. Welche Interessen dort wie zur Geltung kommen, wie der Staat organisiert ist, wie der russische – wohlgemerkt – Kapitalismus funktioniert, muss man dafür nicht wissen. Das Urteil steht fest, weil es den erklärten Feind betrifft.

Doch selbst wenn dieser Hinweis nicht verfängt, eines sollte schon zu denken geben: Mit anderen Diktaturen und Unterdrückern auf der Welt hat Deutschland kein Problem, beispielsweise Ägypten oder Saudi-Arabien. Da stehen dann nützliche Beziehungen im Vordergrund statt Feindschaftserklärungen. Wie beim Vorwurf Angriffskrieg entscheidet die Parteinahme für eine Konfliktpartei, ob Unterdrückerregime zur Anklage wird – oder nicht.

Keine Chance für Propaganda – des Gegners

Wenn ein Staat kundgibt, dass er einen anderen Staat auf die schwarze Liste setzt, ist das ein Alarmsignal für sein Volk. Von nun an wird die Propagandamaschine angeworfen. Alles Schlechte dieser Welt vereint dann der Gegner auf sich. Umgekehrt handelt zwar der eigene Staat nach den gleichen Maßstäben und will das Gleiche, kapitalistischen Reichtum und ihn absichernde Macht.

Aber solche Vergleiche verbieten sich, denn im Konfliktfall haben die nationalen Reihen fest geschlossen zu sein und sich hinter die Herrschaft zu versammeln. Dafür werden wechselseitig die Medien blockiert, damit die gegnerische Propaganda keine Chance hat.

Dann kennt man keine Parteien mehr, sondern nur noch ein einig Volk – das den eigenen Staat beim Vorgehen gegen den Feind nach allen Kräften unterstützt. Wenn es hart kommt, unter Einsatz des Lebens. Aktuell genügen hierzulande Solidaritätsadressen und Spenden – noch.