Journalismus ohne Transparenz: Sucht der MDR Hintertür-Gespräche mit Verfassungsschützern?
Enthüllungen und Spekulationen über geplante Unterredungen. Sieger ist der Generalverdacht. Kommentar.
Gibt es Einflussnahme auf Journalisten durch den Verfassungsschutz und, falls ja, wie sieht er aus?
Trifft zu, was der Ökonomie-Korrespondent des Handelsblatt, Norbert Häring, in seinem Feierabend-Blog vorbringt, so wäre der MDR gefordert, Hintergründe auszuleuchten.
Durchgestochene Termine
Offenbar ist Häring gut vernetzt. Denn er hat Informationen, "wonach in den nächsten Tagen und Wochen beim MDR Hintergrundgespräche der Redaktion mit den Verfassungsschutzpräsidenten von Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt" stattfinden sollen.
Dass solche Unterredungen anberaumt oder geplant sind, darüber findet sich zur Stunde keine weitere Nachricht.
Häring nennt dagegen sogar konkrete Termine: Für den heutigen 21. Februar ist nach seinen Informationen ein Gespräch der Redaktion des Senders mit Dirk-Martin Christian, dem Präsidenten des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz, angesetzt.
Am 7. März soll ein Termin mit Stephan Kramer, der Präsident des Verfassungsschutzes in Thüringen anberaumt sein und am 20. März mit Jochen Hollmann, dem Abteilungsleiter des Verfassungsschutzes des Landes Sachsen-Anhalt.
Regierungsferne Neutralität?
"Die drei Länder konstituieren das Sendegebiet des MDR", erklärt Häring der Leserschaft und er erklärt ihnen, was an den Hintergrundgesprächen aus seiner Sicht politisch heikel ist. Er befürchtet, dass die regierungsferne Neutralität auf dem Spiel steht.
Die Informationen, die die Redaktion des Senders von den Verfassungsschützern bekomme, könnte womöglich eine tendenzielle Rolle bei der Berichterstattung zu den bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen (beide am 1. September dieses Jahres) spielen und sogar in Sachsen-Anhalt, wo der neue Landtag erst 2026 gewählt wird. Es geht um die AfD.
Diese Wahlen gelten als besonders heikel, weil die in Teilen vom Verfassungsschutz beobachtete AfD dort in den Umfragen weit vorne liegt und Regieren gegen die AfD sehr ungewöhnliche Koalitionen in den Landtagen nötig machen könnte.
Norbert Häring
Wenn sich Redakteure des gebühren-finanzierten Senders mit Leiter der Verfassungsschutzämter ihres Sendegebiets unterhalten, so ist daran allein nichts, was unlauter wäre.
Neu justierter Beobachtungshorizont
Im Gegenteil: Fragen an Verfassungsschützer gebe es derzeit genug nach der Pressekonferenz, in der die Bundesinnenministerin Nancy Faeser, der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sowie der Chef des Bundeskriminalamts, Holger Münch eine Ausweitung des Kampfes gegen den Rechtsextremismus verkündet hatten – mit einer Herabsenkung der Eingriffsschwellen des Staates, wie von kritischen Beobachtern herausgestellt wurde.
Wie solches in Ländern, in denen die AfD viel Unterstützung hat, umsetzt, wie man auf Landesebene konkret neue Ansatzpunkte findet für "Prävention und Härte" (Nancy Faeser, wie dort die "Früherkennung" (MDR) funktionieren soll.
Zu welchen Resultaten könnte der neu justierte Beobachtungshorizont ("Es geht auch um verbale und mentale Grenzverschiebung", Thomas Haldenwang) führen, und was das letztlich auch für Journalisten bedeuten könnte.
Das alles wären interessante Gesprächsthemen, die zur Diskussion in die Öffentlichkeit gehören.
Warum sollen die Gespräche im Hintergrund bleiben?
Das nährt ein Misstrauen, mit dem nicht zuletzt die AfD als Opfer punkten kann. Auch zur AfD, die als Partei auf den Wahllisten steht, könnte man in öffentlich-zugänglichen, transparenten Gesprächen mit den Vertretern der Verfassungsschutzämter reden und verdeutlichen, welche konkreten Gefahren von ihr und ihrem "Hinterland" ausgehen.
Warum aber sollen die Gespräche im Hintergrund bleiben? Dies beflügelt hauptsächlich den Verdacht, dass die Berichterstattung staatlich begleitet wird, "embedded" ist, oder gar subtil gesteuert wird, was man ansonsten doch nur aus dem Katalog von autoritär geführten Staatssystem kennt und als manipulativ ablehnt.
Über Hintergrundgespräche wird nicht direkt berichtet. Das Publikum erfährt nicht, dass sie stattgefunden haben, aber die Redakteure können und sollen die Informationen, die sie bekommen, in ihre eigene Berichterstattung und vor allem Kommentierung einfließen lassen. Eventuell sprechen die Schlapphut-Gäste im Anschluss an die Redaktionsgespräche auch Aussagen, mit denen sie sich zitieren lassen wollen, in die Mikrofone.
Norbert Häring
Zu einem Mentalitätswandel, der allenthalben tüchtig gefordert wird, gehört Mut, genau hinzuschauen und Diskussionen in die Öffentlichkeit zu bringen. Die ist klüger, als man es sich bei den Entscheidungsträgern in den ÖRR-Medien anscheinend vorstellt.
Der Gedankenanstoß des Bloggers Norbert Häring – "Wenn Sie also im MDR in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten Einschlägiges zu sehen und zu hören bekommen, kennen Sie nun den wahrscheinlichen Hintergrund" – kann, solange sich der MDR nicht klar zu den Hintergrundgesprächen äußert, als weiträumige Einladung zu Spekulationen gelesen werden.
Die könnten zu einem guten Teil genau dem politischen Milieu nützlich sein, von dem man sich doch abschotten will.
Der Generalverdacht lebt vor geschlossenen Hintertüren auf.