Journalisten heute: Opportunistische Unterstützer der Eliten?

Seite 2: Transmissionsriemen herrschender Interessen

Bemerkenswert, dass laut Hanitzsch (wiederum schon 2015) dieser Typus der opportunistischen Unterstützer vorherrscht "in autoritären Kontexten und in vielen Entwicklungs- und Transformationsgesesellschaften". Klar: dass dieses Milieu von Medienschaffenden, die sich vor allem als "konstruktive Partner" der Eliten ihrer Staaten sehen, in Ländern wie z.B. Russland oder China dominiert oder einst in der DDR dominierte, lässt sich mit diesem Modell gut erklären.

Brisant wird es, wenn wir auf die Gegenwart in politisch demokratisch verfassten Gesellschaften wie der Bundesrepublik schauen, wo ja weiterhin nicht/kaum direkt hineinregiert und hineinredigiert wird in den Journalismus.

Reichweitenstarke etablierte journalistische Medien werden aber dennoch offenbar von nicht wenigen, durchaus unterschiedlichen Menschen hierzulande mittlerweile als Teil eines solchen, mit den Mächtigen strukturell verbundenen Milieus wahrgenommen.

Zugespitzt gesagt: Als Sprachrohr oder Transmissionsriemen herrschender Interessen, sich gegenseitig verstärkend.

Beispielsweise ist kaum noch zu unterscheiden, ob nun Frau Strack-Zimmermann oder aber Herr Hofreiter, ob eher die öffentlich-rechtliche Talkshow oder mehr die Bild, ob entweder Rheinmetall oder doch Krauss-Maffei Wegmann zuerst die nächste Runde weiterer, schwererer Waffen für die Führung der Ukraine angesichts des russischen Angriffskrieges fordert.

Es entsteht der Eindruck eines Milieus "konstruktiver Partner", die sich gegenseitig be- und verstärken. Und weite, wichtige Bereiche des Journalismus sind mittendrin (statt nur dabei). Wenn dem so ist, kann das Ganze – mit Bourdieu – als ein Beleg für zunehmend autoritäre Züge der Gegenwartsgesellschaft gelesen und kritisiert werden.

Denn "normalerweise" sollte das typische journalistische Milieu westlicher Gesellschaften ein ganz anderes sein: Jenes des "distanzierten Kontrolleurs" (Detached watchdog): Laut Hanitzsch sehen sich in diesem Bereich Journalistinnen und Journalisten "am ehesten als unabhängige Beobachter, die aus dieser Position heraus eine gesellschaftliche Kontrollfunktion wahrnehmen (...)".

Tempi passati? Oder besteht diese "Kontrolle" im jetzigen Krieg nur noch darin, gegebenenfalls sogar härter als Regierung oder Union bzw. (auf ihre spezielle Weise) AfD nach weiterer Aufrüstung und Militarisierung zu rufen?

Dabei kommt es gerade in Zeiten von Krisen und Kriegen, von Corona und Konflikten darauf an, dass eine (selbst-)kritische Öffentlichkeit vorhanden ist und wahrgenommen werden kann. Sonst wäre diese gesamtgesellschaftliche Öffentlichkeit kaum mehr als eine "Schönwetter"-Show.

Allerdings bleibt wohl gültig, was Kurt Tucholsky (1890-1935) im Jahr 1921 unter dem Pseudonym Ignaz Wrobel in der Weltbühne schrieb, unter dem heute etwas pathetisch anmutenden Titel "Die Verteidigung des Vaterlandes": "Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter, als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein."

Nein, dagegen bleibt wenig zu sagen.