Journalisten in der Blase: Welchen Bezug zur Realität haben sie?

Seite 2: Kanzlermacher Markus Lanz?

So ging es auch nach dem Wahltag weiter: Die "Leitmedien" ignorierten das Thema Europa oder reduzierten es auf die Frage, ob eine parlamentarische Mehrheit für Ursula von der Leyen reicht. Sie sahen das, was sie sehen wollten, bzw. wofür sie sich ohnehin schon vorher entschieden hatten, es zu sehen.

Bei "Markus Lanz" wurden Vertreter der Ampelparteien eingeladen, genau gesagt vorgeladen, um sich dafür zu rechtfertigen, dass die Ampel die Wahl "verloren" habe und zu erklären, warum man noch an Olaf Scholz festhält – als ob Markus Lanz am liebsten noch Kanzlermacher werden möchte.

Immerhin hielt Saskia Esken am Donnerstag (13.06.) würdevoll und hart dagegen, als sie vom Populisten und Chefzyniker Lanz und seinem journalistischen Sekundanten in die Zange genommen wird.

Schlimmer aber ist etwas völlig anderes: Es sind alles Fiktionen, worüber in diesen sogenannten Informationssendungen geredet wird. Es sind alles Ideen und Vorstellungen, die absolut keinen Bezug zur Realität haben.

Oder glaubt irgendwer in den Chefetagen der Medienhäuser wirklich, Neuwahlen würden das Land aus seiner bleiernen Lähmung und dem Stimmungstief befreien?

Glaubt irgendwer dort wirklich, die Dinge würden irgendwie grundsätzlich anders sein, wenn Friedrich Merz jetzt plötzlich ab morgen früh Kanzler wäre?

Glaubt irgendwer wirklich, die Dinge würden anders werden, wenn Boris Pistorius morgen früh Kanzler würde?

Davon vollkommen abgesehen, dass ein solcher historisch in Deutschland beispielloser Kanzlertausch schon technisch überhaupt nicht gehen kann – wie sollte es durchgeführt werden ohne ein konstruktives Misstrauensvotum der Koalitionspartner, die aber das geringste Interesse haben, Scholz durch Pistorius zu ersetzen.

Es sei denn, der wäre tatsächlich ein stärkerer Kanzler, als die Medien uns glauben lassen. Aber dann würde er erst recht nicht ausgetauscht werden.

In innenpolitischen Grabenkämpfen verrannte "Hauptstadtkorrespondenten"

Was eigentlich der Fall ist: Die öffentlich-rechtlichen Medienhäuser oder zumindest ihre allesamt in innenpolitischen Grabenkämpfen verrannten, durch politische und betriebswirtschaftliche Scheuklappen vernagelten, und von Controllern und Quotenfetischisten gejagten Chefetagen, Chefkommentatoren und "Hauptstadtkorrespondenten" glauben, die Mehrheit der Wähler sei ein souveräner Herrscher, wie einst der Neo-Absolutist Wilhelm II., der nur ein paar hundert Meter weiter von der "Schwatzbude" Reichstag im Preußenschloss residierte.

Der wechselte seine Reichskanzler einfach nach Gusto aus – allerdings auch gar nicht so oft, wie es die Presse im beginnenden Zeitalter der Massen forderte.

Oder besagte Hauptstadtkorrespondenten halten sich am Ende gleich selbst für Wilhelm Zwo.

Literatur:
Lutz Hachmeister. "Nervöse Zone. Politik und Journalismus in der Berliner Republik"; DVA 2007