Journalistin sagt, ukrainischer Geheimdienst versuchte, sie zur Propagandistin zu machen
Die dänische TV-Journalistin Matilde Kimer berichtet aus der Ukraine. Bild: Screenshot
Das ukrainische Verteidigungsministerium beendete die Akkreditierung der dänischen Reporterin Kimer. Der Vorwurf: Russische Propaganda. Vor allem, was darauf folgte, ist schockierend, beklagt nicht nur die Betroffene.
Matilde Kimer ist eine erfahrende und anerkannte Reporterin. Für den dänischen Rundfunk berichtete die Journalistin seit 2014 als Auslandskorrespondentin aus Russland und der Ukraine. Immer wieder produzierte sie aus dem Kriegsgebiet Berichte fürs Fernsehen und Radio. Allein im vergangenen Jahr lieferte sie 230 Beiträge über die russische Invasion in die Ukraine.
Sie ist zudem Autorin des Buchs "Krigen indeni" ("Der Krieg im Inneren"), der die 2014-Proteste in Kiew, den Sturz der ukrainischen Regierung unter Viktor Yanukowitsch und die Kämpfe in der Ostukraine schildert. Im letzten Monat erhielt sie von Königin Margarethe II von Dänemark den angesehene Ebbe Munk Preis.
Doch aus der Ukraine wird die preisgekrönte Kimer nun nicht mehr berichten können. Das ukrainische Verteidigungsministerium hat der dänischen Reporterin ihre Presseakkreditierung entzogen. Der Vorwurf: Sie soll russische Propaganda verbreitet haben. Das behauptet jedenfalls der ukrainische Geheimdienst SBU.
Seit zehn Jahren hat Kimer von Moskau aus für den dänischen Rundfunk gearbeitet. Ihre Social-Media-Seiten enthalten daher auch Bilder und Videoclips von Putin-Reden und Berichte aus Donezk und der Krim. Das reichte den Sicherheitsorganen in Kiew anscheinend, um sie als russische Sympathisantin zu verdächtigen.
Auch Interviews mit Vertretern der selbsterklärten Volksrepublik Donezk wird ihr als "illegale sowjetische Propaganda" und "parteiisch" angelastet. Konkrete Beispiele sollen aber laut Kimer von den Behörden nicht angeführt worden seien, die den Entzug ihrer Akkreditierung im August letzten Jahres nach sich zog.
Der Vorwurf, mit einer pro-russischen Sichtweise zu berichten, ist umso bemerkenswerter, als Kimer im August letzten Jahres die Einreise nach Russland "aus Sicherheitsgründen" für zehn Jahre untersagt wurde.
Statt die Vorwürfe zu erhärten, wurde ihr im Dezember bei einem Treffen in der Zentrale des SBU in Kiew – bei dem auch zwei Diplomaten der dänischen Botschaft anwesend waren, die das Gespräch ermöglicht hatten, um die Situation aufzuklären – vom ukrainischen Geheimdienst mitgeteilt, dass ihre Arbeitserlaubnis nur dann erneuert werden könne, wenn man ihre Berichterstattung lenken dürfe.
Der Außenpolitik-Chef des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Dänemark (DR) und Vorgesetzte von Kimer, Niels Kvale, sagte gegenüber dem US-Medium The Intercept, dass, auf die Frage von Kimer und den Diplomaten, wie sie nachweisen könne, dass sie keine russische Propagandistin sei, ein Geheimdienst-Beamter mit dem Namen Oleg vorschlug, Kimer solle in Zukunft "gute Geschichten" über den Krieg produzieren.
Sie solle dabei Video- und Bildmaterial, das vom ukrainischen Geheimdienst bereitgestellt werde, benutzen und die Berichte auf ihrer Facebook-Seite posten, um zu belegen, dass sie nicht pro-russisch sei. Wenn sie das über Monate mache, werde man ihren Fall neu bewerten.
Kimer wies das Angebot vom SBU-Vertreter Oleg zurück. Sie habe ihm geantwortet, dass sie keine Berichte über etwas veröffentlichen könne, was sie nicht miterlebt habe, oder über Menschen berichten, mit denen sie nicht gesprochen habe. Das sei kein Journalismus, sondern PR-Arbeit. Der Außenpolitikleiter des dänischen Fernsehens Kvale sagte, dass Kimer über das Angebot schockiert gewesen sei.
Breite Empörung: Journalisten sind keine Spitzel!
Das war das Verständnis, mit dem sie aus dem Treffen ging, dass, wenn sie zeigen würde, dass sie keine russische Propagandistin ist – und dieses Material zu diesem Zweck dafür verwendet –, dann würden sie vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob sie akkreditiert werden könnte.
Kvale sieht darin einen Angriff auf die Unabhängigkeit und Freiheit der Presse. Daher habe man sich dafür entschieden, den Vorfall öffentlich zu machen. Er hat in Dänemark breite Empörung ausgelöst. Der ukrainische Geheimdienst und das Büro des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj wollten sich auf Mediennachfragen bisher nicht zu dem Fall äußern.
Die Vorsitzende des dänischen Journalistenverbandes Tine Johansen verurteilt das Vorgehen der ukrainischen Behörden scharf.
Das ist unverschämt. Als Weltgemeinschaft müssen wir Augen und Ohren vor Ort haben. Wir brauchen eine angemessene journalistische Berichterstattung darüber, was bei diesen historischen Ereignissen vor sich geht.
Auch Lina Kushch von der National Union of Journalists of Ukraine bewertet den Fall als "sehr alarmierend für uns." Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) kommentiert: "Journalisten sind keine Spitzel und keine Helfershelfer von Geheimdiensten, auch nicht vom ukrainischen". Gypsy Guillén Kaiser, Sprecherin vom Committee to Protect Journalists (CPJ) mit Sitz in New York City fordert:
Die ukrainischen Behörden müssen Matilde Kimer sofort ihre Presseakkreditierung zurückgeben und ihr erlauben, weiterhin über den Krieg in der Ukraine zu berichten. Unabhängige Medien sind für die Berichterstattung über den Konflikt unerlässlich. Der Entzug der Akkreditierung und für die Erneuerung "gute" Berichterstattung zu fordern ist eine Praxis, die eines demokratischen Landes nicht würdig ist. Die Behörden müssen dafür sorgen, dass sich ein solcher Vorfall nicht wiederholt.
Während Kimer das Angebot des SBU als Versuch beschreibt, sie zu zwingen, als Propagandistin zu arbeiten, wiegelt der ukrainische Botschafter in Dänemark Mykhailo Vydoinyk gegenüber der dänischen Tageszeitung Politiken ab:
Wir versuchen keineswegs, sie unter Druck zu setzen, über etwas zu berichten, was sie nicht will, oder ihre journalistische Tätigkeit einzuschränken. Wir wollen nur, dass sich die Journalisten an die Regeln halten.
In der Ukraine ist man zunehmend besorgt über die Pressefreiheit im Land. Das gilt insbesondere für ein vom ukrainischen Parlament im Dezember verabschiedetes neues Mediengesetz, das dem Präsidenten mehr Macht gibt und von der ukrainischen Journalistengewerkschaft als "Instrumente der Zensur" und eine Bedrohung der Informationsfreiheit angesehen wird.
Im November entzogen die ukrainischen Behörden zudem mehreren ukrainischen und internationalen Korrespondenten, die über die gerade befreite Stadt Cherson berichtet hatten, die Akkreditierung.