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Jugendliche fordern Klimaschutz und Sicherheit für die Kohlekumpels

Bild: SD-Pictures /CC0

Die Klima- und Energiewochenschau: Von streikenden Schülern, der besonderen Verantwortung der EU und von einer US-Linken, die den Klimaschutz nach vorne bringen will

Im südwestpolnischen Katowice hat am Sonntag die diesjährige UN-Klimakonferenz [1] begonnen. Noch bis zum Ende nächster Woche werden die Vertreter von 194 Staaten sowie der EU im Schneckentempo über Klimaschutz beraten, während die polnische Regierung versucht, unliebsame Klima-Aktivisten durch die zeitweise Wiedereinführung von Grenzkontrollen abzuwehren.

Derweil haben in verschiedenen Ländern [2] am Freitag kurz vor Konferenzauftakt junge Menschen ihre Schulen bestreikt und für mehr Klimaschutz demonstriert. In Berlin hatten 200 Schüler bereits am Montag [3] vergangener Woche das Wirtschaftsministerium belagert, in dem die Kohlekommission tagte.

Ihre Forderungen: unter anderem ein sofortiger Genehmigungsstopps für neue Kohlekraftwerke und Tagebaue, die "Stilllegung der dreckigsten Kraftwerksblöcke bis Ende 2020" und Maßnahmen, damit die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau beschränkt bleibt. Außerdem verlangten sie einen sofortigen Stopp der erzwungenen Umsiedlungen in den Tagebauregionen und "berufliche und finanzielle Sicherheit für Beschäftigte der Kohleindustrie".

Schulstreik fürs Klima

Angeregt wurden die globalen Aktionen von einer jungen Schwedin, die in Stockholm bereits seit Monaten mit ihren Aktionen auf sich und vor allem auf das Thema Klimaschutz aufmerksam macht. Hier [4] ein Bericht des Berliner Tagesspiegels über die 15jährige Greta Thunberg und ihren "Skolstrejk för Klimatet".

Der britische Guardian berichtet [5] von "Tausenden" australischen Schülern, die am Freitag in Australien auf die Straße gingen und von dem dortigen Minister für Rohstoffe den Rat bekamen, sie sollten lieber in der Schule sitzen und etwas über den Bergbau lernen.

Ein Schüler hatte dagegen für den Chef des Ministers, Scott Morrissen [6] (Scomo), einen guten Rat: Send Scomo back to school [7].

Geballte Arroganz gut gekontert (auch von den Schülerinnen hier [8]). Ein kleiner Trost für die jugendlichen Klimaschützer: Die Regierungspartei Liberal Party wird gerade von ihren inneren Widersprüchen zerrissen und wird in den nächsten Wahlen mit ziemlicher Sicherheit abgestraft. Sie wurde kürzlich von rechten Hardlinern übernommen, die insbesondere auch in Sachen Klimaschutz das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen.

Doch nicht jeder in der Partei ist bereit, diesen Kurs mitzugehen und die Anhängerschaft sieht sich offenbar nach Alternativen für die nächste Wahl um.

Derweil haben in Köln und Berlin am Samstag nach Veranstalterangaben [9] zusammen rund 36.000 Menschen für mehr Klimaschutz und den schnellen Ausstieg aus der Kohle demonstriert. In Berlin seien es 16.000 gewesen sein - was nach dem Augenschein stimmen könnte - und 20.000 in Köln. Der WDR schreibt [10] von "mehr als 10.000" Teilnehmern.

"Ökologie nicht gegen Arbeit ausspielen lassen"

Im Vordergrund der Proteste stand die Forderung nach einem raschen Ausstieg aus der Kohle. Die Bundesregierung stehe in Katowice mit leeren Händen da, heißt es [11] beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Die Bundesregierung habe das Klimaschutzziel für 2020 - die Emissionen bis dahin im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent abzusenken - aufgegeben. Dabei wäre es "durch entschlossenes Handeln noch (zu) erreichen. (…) Wir sind im Endspiel um unsere Zukunft und die unserer Kinder und Enkel."

Seit 30 Jahren wissen wir Bescheid: Bis zum Ende dieses Jahrhunderts droht eine globale Erderwärmung um drei Grad. Die Umweltzerstörung eskaliert. Aber die Politik verbleibt in einer niedergehenden Epoche, die das wirtschaftliche Wachstum wie ein Goldenes Kalb verehrt. Das Schneller, Höher und Weiter birgt den Keim der Vernichtung in sich. Der Widerspruch zwischen Wissen und Handeln wird immer größer.

Michael Müller, Bundesvorsitzender der Naturfreunde Deutschlands und ehemaliger Staatssekretär im Bundesumweltministerium, am Samstag auf der Demonstration in Berlin

Der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete (1983 bis 2009) Müller betonte weiter [12], dass die Demonstrationen nicht Ökologie gegen Arbeit und Soziales ausspielen lassen" wollen. Es werde "ein Zehn-Milliarden-Programm für den regionalen Strukturwandel, ein Programm für Arbeit und Umwelt" benötigt. Ansonsten gebe es "kein besseres Zukunftsprogramm mit hohen Beschäftigungseffekten als die sozialökologische Modernisierung unseres Landes. Wir bieten den Gewerkschaften an, mit uns gemeinsam für dieses Ziel zu kämpfen."

Denn der Kohleausstieg sei erst der Anfang. Der Ausstieg aus dem Öl und eine Verkehrswende müssten folgen, ebenso "das Ende der Agrarindustrie und (der) Umbau der chemischen Wirtschaft".

Merkel bleibt zuhause

Auf der Klimakonferenz, die Bundeskanzlerin Merkel wie berichtet [13], schwänzen wird, stehen vor allem Finanzen - ein Dauerbrenner der Verhandlungen - und die Frage, nach welchen Regeln die Treibhausgasemissionen beurteilt und entsprechend die eingegangenen Verpflichtungen überwacht werden können, auf der Tagesordnung [14].

Ein Baustein für Letzteres ist die Verdichtung der Messtationen für Treibhausgase. In Europa sind erst kürzlich 15 neue Stationen, zwei davon in Deutschland, in das entsprechende Messenetz aufgenommen worden, wie der Deutsche Wetterdienst (DWD) berichtet [15].

Damit werde es möglich Quellen und Senken des Kohlendioxids zu bestimmen. Eine Senke ist ein Vorgang, mit dem ein Stoff dem System, hier der Atmosphäre, entzogen wird. Wenn das Netz vollständig ist, werden 130 Stationen zur Verfügung stehen, um die europäischen Anstrengungen zu überwachen die Treibhausgasemissionen zu reduzieren.

Mit denen ist es bekanntlich bisher nicht allzu weit her. In Deutschland stagnieren die Emissionen auf viel zu hohem Niveau. Im Rahmen der Pariser Klimaübereinkunft [16] sind die Mitgliedsstaaten zu denen die EU-Mitglieder gehören, Selbstverpflichtungen eingegangen, sogenannte Intended Nationally Determined Contribution. Die EU hat sich in ihrer entsprechenden Erklärung [17] verpflichtet, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 zu reduzieren.

Viel zu wenig

Gemessen an den aktuellen Emissionen [18] der EU-Staaten entspräche das jedoch nur einen Rückgang von rund 23 Prozent. Das bleibt weit hinter den Forderungen der Klimawissenschaften zurück. In seinem jüngsten Sonderbericht hatte der IPCC, die UN-Organisation für Klimawissenschaften, dass die globalen Emissionen bis 2030 um 20 Prozent abgesenkt sein müssen, wenn die Erwärmung die Zwei-Grad-Schwelle nicht überschreiten soll.

Allerdings birgt dieses Erwärmungsniveau bereits ein hohes Risiko für die Eismassen in Grönland und in der Antarktis und damit für den Meeresspiegel. Auch andere Faktoren, wie die Zunahme der Wetterextreme, die größere Intensität tropischer Wirbelstürme oder die Versauerung der Ozeane, lassen es ratsam erscheinen die Erwärmung eher auf 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Für Letzteres wird gewöhnlich die Temperatur um 1850 als Messlatte genommen.

Dafür müssten die globalen Emissionen bis 2030 aber bereits um 45 Prozent abgesenkt sein, oder eher auch um 50 Prozent des heutigen Niveaus, denn diese Angaben beziehen sich auf 2010, als die Emissionen noch etwas niedriger als heute lagen.

Die besondere Verantwortung der EU

Die EU-Staaten liegen aber zum einen mit ihren Treibhausgasemissionen deutlich über dem Durchschnitt der Weltbevölkerung. Zum anderen haben sie auch einen erheblichen Anteil an den historischen Emissionen, die sich bereits in der Luft angereichert haben. Daher wäre von ihnen eigentlich zu erwarten, dass sie auch überdurchschnittlich zur globalen Verminderung der Treibhausgase beitragen.

Das wird vielleicht verständlicher, wenn man sich vorstellt, es würde sich um Steuern halten. Einen einheitlichen Steuersatz von 30 Prozent für alle zur Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben, wird wohl außer Friedrich Merz und Christian Lindner kaum jemand für gerecht halten. Denn der würde bedeuten, dass von einem Monatseinkommen von 1000 Euro 700 und einem von einer Million 700.000 übrigbleiben.

Der eine hätte kaum noch genug zum Überleben, der andere könnte noch immer im Luxus schwelgen. Ganz ähnlich muss man es auch mit der Lastenverteilung im internationalen Maßstab für die Gemeinschaftsaufgabe Klimaschutz sehen.

Wie dem auch sei, auf jeden Fall sind die Industriestaaten einschließlich der Schwellenländer noch sehr weit davon entfernt, wirklich ausreichende Selbstverpflichtungen einzugehen. Das hat auch eine letzte Woche veröffentlichte Bestandsaufnahme [19] des UN-Umweltprogramm UNEP ergeben.

Demnach ist die Welt, selbst wenn alle Staaten ihre derzeitigen Klimaschutz-Versprechen einhalten - was im Falle Deutschlands ja auch noch nicht ausgemacht ist -, auf dem Wege zu einer globalen Erwärmung von 3,2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau bis zum Ende des Jahrhunderts.

US-Linke für Klimaschutz

Die USA ist offensichtlich in vielerlei Hinsicht ein tief gespaltenes Land. Das trifft auch für den Kampf gegen den Klimawandel zu. Während US-Präsident Donald Trump den Rückzug aus der Pariser Übereinkunft angekündigt hat, geht einer seiner stärksten Widersacher davon aus, dass dies in den nächsten Wahlen 2020 zu einer zentralen Frage werden könnte.

Die Huffington Post schreibt [20] über einen Vorstoß des Senators Bernie Sanders, der vor zwei Jahren nur sehr knapp bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei unterlag. Ihm waren seinerzeit von den Umfrageinstituten die größeren Chancen als Hillary Clinton eingeräumt worden, die schließlich antrat.

Auch Clinton bekam, aber das nur am Rande, mehr Stimmen als Trump, doch das reicht in den USA, wie berichtet [21], nicht unbedingt für einen Wahlsieg.

Sanders jedenfalls hatte jedenfalls eine Reihe in der US-Szene der Klimaschützer und Klimawissenschaftler angesehene Köpfe ins US-Parlament zu einer hochkarätigen Veranstaltung eingeladen. Auf dieser sprach er vom Klimawandel als "einer großen Krise, der unser Planet gegenübersteht".

Alexandria Ocasio-Cortez [22], die seit den jüngsten Wahlen die New Yorker Bronx auf dem Ticket der Demokraten im Washingtoner Repräsentantenhaus vertritt und sich als demokratische Sozialistin bezeichnet, war ebenfalls mit von der Partie. Laut Huffington Post gab sie die kämpferischste Stimme auf dem Podium und verglich den Kampf gegen den Klimawandel mit der US-Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre.

Dem Gespann Sanders und Ocasio-Cortez wäre vermutlich zuzutrauen, den Klimawandel in das Zentrum des nächsten US-Wahlkampfes zu rücken. Wie es aussieht, will Sanders wohl wieder kandidieren. Ocasio-Cortez, die wegen ihrer Ausstrahlung bereits mit dem jungen Barack Obama verglichen wird - man mag ihr wünschen, dass der Vergleich nicht auch auf ihre politische Elastizität zutrifft - wird mit jetzt 28 Jahren für eine Kandidatur noch zu jung sein. Bewerber fürs Weiße Haus müssen das 35. Lebensjahr vollendet haben.

Ob die beiden nun Erfolg haben werden oder nicht: Auf jeden Fall wird ihre Kampagne auch den vielen Aktivisten Mut machen, die an allen Ecken und Ende des Landes gegen Fracking, Pipelines, das Vernichten ganzer Gebirgszüge [23] und ähnliches kämpfen und das Thema neben der sozialen Frage in das Zentrum der öffentlichen Debatte stellen.


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https://www.heise.de/-4241350

Links in diesem Artikel:
[1] https://unfccc.int/katowice
[2] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1106981.fridaysforfuture-wir-koennen-die-welt-nicht-dadurch-retten-dass-wir-uns-an-die-regeln-halten.html
[3] https://www.bundjugend.de/kohleausstieg-klimagerechtigkeit-und-sozialvertraeglichkeit/
[4] https://www.tagesspiegel.de/politik/demos-fuer-mehr-klimaschutz-die-jungen-kaempfen-fuer-ihre-zukunft/23698894.html
[5] https://www.theguardian.com/environment/2018/nov/30/climate-change-strike-thousands-of-students-to-join-national-protest
[6] https://www.smh.com.au/politics/federal/who-is-this-australians-can-probably-relate-to-angela-merkel-s-predicament-20181202-p50jq0.html
[7] https://twitter.com/StrikeClimate/status/1068293618077597696/photo/1
[8] https://twitter.com/mkcully/status/1068292876654665728/photo/1
[9] https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/doppel-demo-zum-klimaschutz-endspiel-um-unsere-zukunft/
[10] https://www1.wdr.de/nachrichten/rheinland/klimaschutz-demo-koeln-100.html
[11] https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/doppel-demo-zum-klimaschutz-endspiel-um-unsere-zukunft/
[12] https://www.naturfreunde.de/klima-kohle-demos-auftaktreden-von-michael-mueller-und-maritta-strasser#Rede-MM
[13] https://www.heise.de/tp/news/Klimawandel-Wir-sind-nicht-auf-dem-richtigen-Weg-4236861.html
[14] https://unfccc.int/sites/default/files/resource/Overview%20Schedule.pdf
[15] https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2018/20181203_icos_news.html?nn=16210
[16] https://unfccc.int/process-and-meetings/the-paris-agreement/the-paris-agreement
[17] https://ec.europa.eu/clima/sites/clima/files/docs/2015030601_eu_indc_en.pdf
[18] https://www.eea.europa.eu/data-and-maps/data/data-viewers/greenhouse-gases-viewer
[19] https://www.unenvironment.org/resources/emissions-gap-report-2018
[20] https://www.huffingtonpost.com/entry/bernie-sanders-climate-change-2020-election_us_5c05a321e4b066b5cfa4c686
[21] https://www.heise.de/tp/features/Die-Mehrheit-waehlt-Demokraten-aber-Republikaner-regieren-4230360.html
[22] https://www.wr.de/politik/eine-linke-hoffnung-fuer-die-amerikanischen-demokraten-id214950559.html
[23] http://appvoices.org/end-mountaintop-removal/mtr101/