Justiz gegen "Corona-Richter": Einschüchterung, Rechtsbeugung – oder beides?

Im Zuge von Ermittlungen gegen einen Amtsrichter aus Weimar, der gegen die Maskenpflicht in Schulen entschieden hatte, wurden erneut Büros und Wohnungen durchsucht. Auch Telepolis-Autor betroffen

Zum zweiten Mal wurden vor einigen Tagen Wohn- und Büroräume des Amtsrichters Christian Dettmar (58) aus Weimar durchsucht. Dieser hatte Anfang April entschieden, dass zwei Kinder an örtlichen Schulen keinen medizinischen Mund-Nasenschutz, also Masken, tragen müssen. Denn die Maskenpflicht für Minderjährige, so sein Beschluss, sei geeignet, das Kindeswohl zu gefährden.

Es war bereits die zweite Durchsuchung der Staatsanwaltschaft Erfurt bei dem Richter. Die erste Razzia hatte Ende April stattgefunden. Zudem sind nun weitere Objekte von insgesamt acht Zeugen aus drei Bundesländern – neben Thüringen auch Sachsen-Anhalt und Bayern – durchsucht worden. In der Summe haben die Ermittler im Laufe dieser Woche 14 Objekte unter die Lupe genommen. Gegen die Zeugen werde, so die Staatsanwaltschaft, nicht ermittelt.

Unter diesen Zeugen befinden sich Bundestagskandidaten der Partei Die Basis, die sich kritisch gegenüber den Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern positioniert - etwa die Biologin Ulrike Kämmerer, die in dem Fall von Amtsrichter Dettmar als Sachverständige angefragt worden war. Außerdem standen die Ermittler bei einer Kanzlei sowie einem weiteren Amtsrichter aus Weimar auf der Matte. Betroffen war zudem der Regensburger Psychologe Christof Kuhbandner.

Hintergrund der Ermittlungen ist der von der Staatsanwaltschaft erhobene Vorwurf der Rechtsbeugung. Das bedeutet, dass Dettmar die vorsätzlich falsche Anwendung des Rechts unterstellt wird, um ein Urteil zugunsten der Klägerin – einer Mutter zweier Schulkinder – zu fällen.

Argumentation der Staatsanwaltschaft hinterfragt

Mitte Mai hatte das Oberlandesgericht Thüringen das Urteil des Weimarer Amtsrichters allerdings bereits wieder aufgehoben. Dieser habe als Familienrichter nicht die Befugnis, Anordnungen gegenüber Behörden zu treffen. Für derlei Fälle seien ausschließlich Verwaltungsgerichte zuständig. Gegen diese Aufhebung des Weimarer Urteils hat die Mutter der betreffenden Kinder Beschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt, die Rechtslage scheint zumindest unklar.

Laut Staatsanwaltschaft Erfurt steht gegenüber Dettmar auch der Verdacht der unzulässigen Absprachen im Raum. Die Ermittler waren bei den Razzien deshalb vor allem Beweisen für Kommunikation zwischen dem Amtsrichter und den Zeugen auf der Spur.

Zweifel an diesen Vorwürfen kommen auf, wenn man sich die Stellungnahme des Anwalts des Beschuldigten durchliest. Der Hamburger Staranwalt Gerhard Strate äußert sich in seiner Pressemitteilung über das Agieren der Staatsanwaltschaft und die erneute Hausdurchsuchung. So sei unter anderem nun der Laptop mitgenommen worden, auf dem die Korrespondenz mit ihm, dem Verteidiger, enthalten sei. Auch das Handy, obwohl bereits gespiegelt, sei kassiert worden.

Zudem wird in der Erklärung kritisiert, dass der Vorwurf der Rechtsbeugung schon im Raum stehe, obwohl der Bundesgerichtshof überhaupt erst darüber entscheiden muss, ob der Amtsrichter wirklich nicht zuständig war.

Bezüglich dieses Punktes gibt es offenbar unterschiedliche Rechtsauffassungen, die einer Klärung bedürfen. Schließlich erläutert Strate zu dem Vorwurf der unzulässigen Absprache, es habe sich um ein Verfahren von Amts wegen gehandelt. Ein Richter dürfe in "Vorbereitung seiner Entscheidung mit jedem sprechen, der ihm als Informationsgeber und Erkenntnisquelle hilfreich ist".

Gefährdung des Kindeswohls: Greift § 1666 BGB?

Die Nachrichtenseite, die äußerst kritisch über die Corona-Maßnahmen berichtet und als Querdenker-nah gilt, heißt es hingegen, die Zuständigkeit Dettmars beruhe zumindest teilweise auf § 1666 BGB, was von Bundesverwaltungsgericht in einem gleich gelagerten Fall bestätigt worden sei. Der Paragraf regelt die gerichtlichen Befugnisse beim Verdacht auf Gefährdung des Kindeswohls. Aus diesem Grund stehe der Vorwurf der Rechtsbeugung gegenüber Dettmar "auf äußerst tönernen Füßen", heißt es auf der Seite.

Eine aktuelle Umfrage des ARD-Deutschlandtrends scheint die Skepsis des Amtsrichters gegen Masken für Schulkinder übrigens zu bestätigen. Demnach sprachen sich lediglich 37 Prozent der Befragten für Masken für Schulkinder während des Unterrichts aus. Unter Hamburger Schülern, die als Vergleichswert ebenfalls gefragt wurden, fanden sogar nur 27 Prozent, dass Masken im Unterricht eine gute Idee sind.

Dass auch die Gutachter Ziel von Hausdurchsuchungen wurden, ist zumindest ungewöhnlich. Betroffen war auch der Regensburger Psychologe Christof Kuhbandner. Der Kritiker einiger Corona-Maßnahmen hatte auch bei Telepolis mehrere Texte veröffentlicht. Für eine Stellungnahme war er nicht unmittelbar erreichbar - die Polizei hatte bei der Razzia zur Beweissicherung auch sein Mobiltelefon konfisziert.

Gutachter Kuhbandner zu Telepolis: kein persönlicher Kontakt zum Richter

"Ich kenne weder den Richter persönlich noch habe ich außerhalb der üblichen Verfahrensschritte bei gerichtlich eingeholten Gutachten mit dem Richter Kontakt gehabt", so Kuhbandner in einer schriftlichen Stellungnahme. Von der Qualität seines wissenschaftlichen Gutachtens könne sich jede Person selber überzeugen, da es im Rahmen des Gerichtsbeschlusses vollständig veröffentlicht wurde.

"Dass man eine Hausdurchsuchung erleiden muss, nur weil man der Anfrage eines Gerichtes nach einem wissenschaftlichen Fachgutachten nachgekommen ist, das ist natürlich sehr unangenehm", so der Psychologe gegenüber Telepolis: "Ob der Vorwurf gegen den Richter nachvollziehbar und schwer genug ist, als dass man als bloßer Gutachter so etwas erleiden muss, kann ich als juristischer Laie nicht beurteilen, das müssen die entsprechenden Experten:innen beurteilen."

Der Hamburger Anwalt Strate, der den Weimarer Richter Dettmar vertritt, zieht das erwartungsgemäß in Zweifel. Die Entwicklung dieses Verfahrens lasse ihm "Angst und Bange" um den Rechtsstaat werden, schrieb er in seiner Erklärung. Strate ist sich sicher: "Sein Effekt ist die Einschüchterung einer unabhängigen Richterschaft."

Indes stellte gegenüber der Bild-Zeitung der Sprecher der Staatsanwaltschaft Erfurt, Oberstaatsanwalt Hannes Grünseisen, eine Einstellung des gesamten Ermittlungsverfahrens in Aussicht. Sollten sich bei der Auswertung des in dieser Woche sichergestellten Materials keine neuen Beweismittel für einen hinreichenden Tatverdacht ergeben, werde das Verfahren gegen Dettmar wohl eingestellt.

Dann spätestens müsste in diesem Fall die Frage nach der Legitimität der staatlichen Maßnahmen im Verhältnis zum gesellschaftlichen Nutzen diskutiert werden. Ein wenig so wie bei der Debatte um Maskenpflicht an Schulen eben.

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