Kairo: Schwindende jüdische Gemeinde
Kairo war in der ersten Hälfte der 20. Jahrhunderts noch ein Ort, in dem Zehntausende von Juden lebten. Jetzt droht dem Jahrtausende alten jüdischen Erbe in der Stadt ein Ende.
Den 18. Dezember werden viele in diesem Jahr mit dem WM-Sieg Argentiniens in Qatar in Erinnerung behalten. Für Juden ist dieser Tag heuer aus anderen Gründen von Bedeutung, denn das jährliche Lichterfest im Judentum (Chanukka) begann ebenso vergangenen Sonntag.
Für die schwindende jüdische Gemeinde in Kairo, die aus weniger als eine Handvoll Jüdinnen besteht, stellt die geringe Anzahl ein Problem dar, denn im orthodoxen Glauben ist eine Mindestanzahl für die Verrichtung bestimmter (gemeinschaftlicher) gottesdienstlicher Handlungen vonnöten. Kairos jüdisches Erbe droht nach Jahrtausenden ein Ende.
Kairo war in der ersten Hälfte der 20. Jahrhunderts ein Ort, in dem Zehntausende von Juden lebten. Im 19. Jahrhundert und auch später zur Zeit des nationalsozialistischen Dritten Reichs war Ägypten noch ein Zufluchtsort für Juden, die aus Europa vertrieben wurden.
Diese Offenheit gegenüber der jüdischen Minderheit schwand und die Feindschaft hatte im Jahr 1948, dem Kriegsjahr zwischen Israel und den arabischen Staaten, einen Höhepunkt erreicht. Ägyptische Juden mussten zunehmenden Hass und Antisemitismus im eigenen Land erfahren.
Sogar jene, die sich selbst als überzeugte Antizionisten betrachteten und sich nicht mit dem neu gegründeten israelischen Staat identifizieren konnte, sahen sich gezwungen ihre Heimat zu verlassen.
Aufgrund ihrer jüdischen Identität standen sie unter Generalverdacht, wurden verhaftet, zwangsdeportiert und enteignet. Weitere Fluchtwellen folgten in den Kriegsjahren 1956 und 1967. Nur wenige Juden entschlossen sich trotz der zunehmenden Gewalt zu bleiben, wie etwa der bereits verstorbene antizionistische Kommunist und Anwalt Shehata Haroun, dessen Tochter Magda die amtierende Präsidentin der jüdischen Gemeinde in Kairo ist.
Auch Magda Haroun identifiziert sich bis heute als ägyptische Jüdin und bemüht sich mit ihrer NGO "Drop of Milk" gemeinsam mit Muslimen und Christen das jüdische Erbe Kairos aufrechtzuerhalten.
Das jüdische Erbe Kairos heute
Der jüdische Gemeindegottesdienst kann gegenwärtig nicht stattfinden, da hierfür im orthodoxen Judentum zehn erwachsene jüdische Männer die Voraussetzung sind. Kairo verfügt heute nur über vier jüdische Einwohnerinnen (also kein männliches Mitglied). Auch wenn man vom nicht-orthodoxen Verständnis ausgehen würde, das auch Frauen mitzählt, fehlen immer noch sechs Mitglieder.
Es gibt insgesamt 12 Synagogen in Kairo und auch der zweitälteste jüdische Friedhof der Welt (der älteste ist in Jerusalem) befindet sich dort. Im koptischen Viertel Kairos befindet sich die Ben-Esra-Synagoge, die für Besucher jedoch momentan aufgrund von Renovierungsarbeiten nicht zugänglich ist.
Machthaber al-Sisi legt Wert darauf, das jüdische Erbe Ägyptens aufrechtzuerhalten, weshalb hierfür Millionen von US-Dollar investiert werden.
Seit dem Militärputsch im Jahr 2013 ist al-Sisi darum bemüht, das globale Image Ägyptens für den Tourismus wieder aufzufrischen, da dies ein Hauptbestandteil der ägyptischen Wirtschaft ist. Die Renovierung jüdischer Bauten mag dazu führen, dass auch mehr (jüdische) Touristen nach Ägypten reisen, zumal Ägypten und Israel gemeinsame wirtschaftliche Beziehungen pflegen.
In Downtown-Kairo befindet sich die Sha'ar Hashamayim Synagoge, die man jedoch nicht ohne weiteres betreten darf. 2010 kam es zu einem Anschlagsversuch auf die Synagoge, bei der es allerdings zu keinem Schaden oder Verletzten kam.
Dennoch muss man nun im Vorhinein bürokratische Hürden überwinden, wenn man die Synagoge besuchen möchte. Bei dieser wird eine Identitätsüberprüfung vollzogen, um festzustellen, ob der Besucher/die Besucherin eine Gefahr darstellt oder nicht.
In der Kairoer Altstadt, nur etwa 600 Meter entfernt vom berühmten Bazar "Khan el-Khalili" entfernt, befindet sich eine weitere historisch wichtige Synagoge, die als "Maimonides-Synagoge" bekannt ist.
Sie ist benannt nach dem berühmten jüdischen Rechtsgelehrten, Philosophen und Arzt Moses Maimonides (gest. 1204 in Kairo). Auch sein Leben war geprägt von Flucht, denn der in Córdoba geborene Gelehrte musste ebenfalls aufgrund der intoleranten Politik der Almohaden seine Heimat verlassen und bereiste verschiedene Zentren, wie Fez, Jerusalem, Alexandria und letztlich eben auch Kairo.
Als Maimonides Ägypten erreichte, herrschte noch die schiitische Dynastie der Fatimiden. Erst als diese von den sunnitischen Seldschuken unter Saladin gestürzt wurde, soll Maimonides als Arzt unter dem Wesir al-Qadi al-Fadil Berühmtheit erlangt haben.
Anders als die Sha'ar Hashamayim Synagoge ist die Maimonides-Synagoge nicht von der Polizei bewacht und man kann als Tourist ohne Hürden das jüdische Gotteshaus besuchen. Im Gang wird man von einem Mitarbeiter Namens Zamir begrüßt.
Zamir selbst ist Muslim und arbeitet seit zehn Jahren in der Synagoge, wie er berichtet. Der zerbrechlich wirkende Mann erklärt enthusiastisch die Geschichte der Juden in Kairo und der Synagoge selbst, allerdings nur auf Arabisch, da er (wie die meisten Ägypter) kaum Englisch spricht.
Am Eingang der Synagoge findet man zwei zentrale Symbole des Judentums an der Tür kunstvoll hineingeschnitzt: die Dattel-Palme und den Davidstern. Die Dattel-Palme lässt sich in vielen jüdischen Artefakten Kairos finden und soll an Salomons-Tempel verweisen, wobei das Symbol in allen drei monotheistischen Religionen eine gewisse Bedeutung hat, denn sie kommt auch in der Bibel und im Koran vor. Auch Magda Harouns NGO "Drop of Milk" hat die Dattelpalme als Symbol.