Kalte Krieger:innen in Aktion
Geopolitik statt Klimapolitik: Die Grünen, Russland und Nord Stream 2
Worum geht es hier, könnten sich manche Wahlberechtigten fragen, die den Grünen ihre Stimme gegeben haben, weil sie Annalena Baerbock als "Klimakanzlerin" wollten, und vom Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung schon einigermaßen enttäuscht waren. Jetzt ist Baerbock Außenministerin und droht Russland im Ukraine-Konflikt "schwerwiegende Konsequenzen" an.
Eine dieser Konsequenzen wäre wohl das Aus für die Erdgas-Pipeline Nord Stream 2. Wer sich für ambitionierten Klimaschutz einsetzt, muss das für sich genommen gar nicht schade finden – aber es ist ein Armutszeugnis deutscher Klimapolitik, wenn ein solches Projekt nicht an seiner schlechten Klimabilanz, sondern am schlechten Verhältnis zu Russland scheitert.
Vor allem, wenn überhaupt nicht klar ist, ob der deutsche Energiemix dadurch mittelfristig klimafreundlicher wird – oder ob nur die Chancen für jede Entspannungspolitik sinken und die Rüstungsausgaben steigen. Denn was den Kohleausstieg angeht, hat sich die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag nicht festgelegt – er soll nur "idealerweise" vorgezogen werden. Und aktuell scheint es für die Koalitionäre wichtigeres zu geben.
Die aktuelle Rhetorik ähnelt der des Kalten Krieges. Russland zieht seine Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen und will verhindern, dass das Land zum Aufmarschgebiet der Nato wird – soviel ist klar.
Was darüber hinausgeht, sind zunächst Unterstellungen, die angesichts wiederholter Nato-Manöver in der Nähe russischer Grenzen erst recht der anderen Seite gemacht werden könnten. Aber das ist natürlich im Zweifel nur "Whataboutism"; oder gleich Feindbegünstigung – wie jeder Hinweis auf zweierlei Maß, wenn man es mit geopolitischen Überzeugungstätern zu tun hat.
Was sie tun und wofür sie primär gewählt wurden
Sicher ist: Geopolitik dieser Art war für viele Menschen, die den Grünen ihre Stimme gegeben haben, nicht wahlentscheidend. Wer den Wahlkampf der Grünen glaubwürdig fand, musste schließlich davon ausgehen, dass es ihnen um die Zukunft der Kinder und Jugendlichen ging, die sich nicht speziell wegen Russland Sorgen machen, sondern wegen aller Staaten einschließlich Deutschland, die jeweils ihre eigene Energiewende verbummeln und damit die natürlichen Lebensgrundlagen der Menschheit gefährden.
Die Gefahr eines Atomkriegs ist für viele Menschen weniger präsent, weil sie darauf setzen, dass schon keiner dumm genug sein wird, ihn anzufangen. Schließlich könnten ihn beide Seiten nur verlieren. Allerdings wird weiterhin Wert auf eine glaubwürdige Drohkulisse gelegt, die Geld und Ressourcen verschlingt und im günstigsten Fall ein Entsorgungsproblem darstellt.
Wohlgemerkt: im günstigsten Fall; und das im Rahmen der nuklearen Teilhabe der Nato auch auf deutschem Boden. Im Fall einer nuklearen Konfrontation sollen US-Atomwaffen vom deutschen Fliegerhorst Büchel in der Eifel an ihr Ziel gebracht werden. Für die bisher dafür vorgesehenen Tornados wird zur Zeit Ersatz gesucht. Die Bundesverteidigungsministerin der "rot-grün-gelben" Koalition, Christine Lambrecht (SPD), soll zuletzt wieder den US-Tarnkappen-Kampfjet F35 von Lockheed Martin ins Auge gefasst haben.
Warum die "Doomsday Clock" auf 100 Sekunden vor zwölf steht
Seit knapp zwei Jahren steht die "Doomsday Clock" auf 100 Sekunden vor zwölf. Und sie wurde nie von dummen Menschen gestellt, sondern zum Teil von Nobelpreisträgern. Die symbolische "Weltuntergangsuhr" des von Albert Einstein mitgegründeten Bulletin of the Atomic Scientists (BAS) wurde 1947 ins Leben gerufen und zunächst bei 11.53 Uhr gestartet. Während der Blockkonfrontation zwischen Nato-Staaten und Warschauer Pakt bewegten sich die Zeiger abhängig von der Weltlage vor und zurück – allerdings nie weiter nach vorn als auf zwei Minuten vor zwölf.
Inzwischen berücksichtigt die Uhr aber zweierlei Gefahren: Die Gefahr eines Atomkriegs und diverse Kipppunkte der Klimakatastrophe. "Die internationale Sicherheitslage ist düster, nicht nur weil diese Bedrohungen existieren, sondern weil die Weltpolitiker zugelassen haben, dass die internationale politische Infrastruktur, die sie kontrollieren könnte, erodiert", stellte das BAS im Januar 2020 fest.
Wer heute glaubwürdig die Welt vor den schlimmsten Folgen der Klimakatastrophe bewahren will oder gar Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus mit dem Schutz jedes einzelnen Menschenlebens begründet, kann nicht gleichzeitig Geld und Ressourcen in eine nukleare Drohkulisse stecken.
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