Kalter Krieg im Cyberspace?

Wird der Cyberspace zum politischen Konfliktfeld zwischen den Supermächten? Geraten Amerikaner und Europäer, Chinesen und Russen bald im virtuellen Raum aneinander?

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Ende Mai 2009 hielt US-Präsident Obama eine Grundsatzrede zum Thema Cybersicherheit. In vier Punkten erklärte er, dass die nationale Sicherheit der USA heute ganz erheblich von der Sicherheit des Internet abhängig ist. Cyberterroristen und Cyberkriminelle seien eine ernst zu nehmende Gefahr für die USA. Insbesondere die US Wirtschaft gelte es vor diesen neuartigen Angriffen zu schützen. Die Internet Ressourcen müssten dauerhaft, stabil und sicher funktionieren. Das Internet sollte aber frei bleiben für Innovation und der Kampf gegen die dunklen Seiten des Netzes dürfe nicht Bürger- und Menschenrechte beeinträchtigen. Demnächst will Obama einen "Cyber-Zar" im Weißen Haus installieren der, wie der Berater für nationale Sicherheit ihn direkt empfehlen soll, was zu tun sei.

Das Problem ist dabei in den USA wie überall, dass das Internet keine territorialen Grenzen kennt. Wo also fängt die Verteidigung der US-Sicherheit im Cyberspace an und wo hört sie auf? Die US-Wirtschaft fordert schon seit geraumer Zeit, wie unlängst die Vize-Präsidentin von Oracle, Mary Ann Davidson, die Verkündigung einer Art "Monroe-Doktrin" für den Cyberspace. Mitte des 19. Jahrhundert hatte der damalige US Präsident Monroe auch Gebiete außerhalb der USA zur amerikanischen Interessenssphäre erklärt, wenn diese zur Organisation feindlicher Aktivitäten gegen die USA genutzt würden. Vor dem US-Kongress sagte Frau Davidson, dass von Servern weit weg von den USA amerikanisches Eigentum gestohlen und kritische Infrastruktur bedroht würde: "Das ist ein Cyberkrieg, der da stattfindet."

Fast mit den gleichen Worten wie Präsident Obama - mit Ausnahme des Verweises auf die Menschenrechte - beschreiben die Chinesen ihre Interessen im Cyberspace. Mit 300 Milllionen Internetnutzern ist China mittlerweile die größte Internet-Community der Welt. Während im Westen die Diskussion zu China und Internet auf das Thema Zensur verkürzt wird, stehen in Bejing schon längst die wirtschaftlichen Aspekte und die Cybersicherheit für chinesische Unternehmen im Vordergrund. Die Internetwirtschaft in China boomt mit Zuwachsraten von 30 bis 100 Prozent und ist ein Milliardengeschäft.

Aber auch die Russen fangen an, im Internet mitzumischen. Präsident Medwedjew hat sich von Anfang an als ein Internetpräsident zu profilieren versucht. Bei einer Jahrestagung der russischen Internet-Community im April 2009 präsentierte er sich mit einem You-Tube-Video, in dem er hemdsärmlig vor einem Laptop sitzt und insbesondere die junge russische Generation auffordert, die Möglichkeiten des Internet für wirtschaftlichen Fortschritt zu nutzen. Noch ist in Russland nur jeder Fünfte online, Medwedjew wird aber nicht müde - auch in den Gesprächen mit Kanzlerin Merkel - für einen Technologieschub und ein, wie er es nennt, "russisches Internet" zu werben. Medwedjew will so schnell wie möglich dass Email und Webadressen auch in kyrillischer Sprache abrufbar sind. Bislang gibt es Domainnamen nur im ASCII-Code, d.h. mit lateinischen Buchstaben. Das ist eine hohe Eintrittsbarriere für ein 160-Millionen-Volk, bei dem die Kenntnis der englischen Sprache nicht weit verbreitet ist.

Ähnlich wie in China ist auch das Thema Cybersicherheit für die Russen ein wichtiger Punkt. Zwar wird immer wieder behauptet, es seien primär die Russen, die hinter Cyberangriffen auf Estland und Georgien oder den kriminellen Machenschaften des "Russian Business Network" (RBN) stünden, in Moskau aber sieht man die Cyberangriffe genau aus der anderen Richtung kommen. Bei der UNO will Russland jetzt Verhandlungen für eine internationale Konvention zur Stärkung der Cybersicherheit vorschlagen.

Diese Idee kommt bei den Amerikanern nicht gut an. In Washington hat man wenig Lust, sich mit Russen und Chinesen an einen Tisch zu setzen, um über das Internet zu verhandeln. Man brauche keinen völkerrechtlichen Vertrag für den Cyberspace, heißt es im Weißen Haus. Als Obama im Juli 2009 nach Moskau zum Gipfel mit Medwedjew fuhr, hatte die New York Times am Vorabend der Visite den schlummernden russisch-amerikanischen Cyberkonflikt auf ihre Titelseite gesetzt. In Moskau wich dann Obama dem Thema geschickt aus und erwähnte es auch nicht bei seiner Rede vor russischen Studenten. Damals ging es um Iran, Afghanistan und atomare Abrüstung.

Balkanisierung des Internet?

Hintergrund für die wieder anwachsende politische Internetkontroverse ist auch der Ende September 2009 auslaufende Vertrag zwischen der US-Regierung und ICANN. ICANN ist das in Kalifornien sitzende private Unternehmen, das die kritischen Internetressourcen - Domainnamen, IP-Adressen, Root-Server - für die Welt verwaltet. Wenn Medwedjew also sein "russisches Internet" haben will und dafür eine kyrillische Top Level Domain - ".rf" (für Russische Federation) - braucht, wird das von ICANN entschieden. Bevor jedoch das kyrillische .rf-Zonefile in den Internet Root Server eingetragen werden kann, bedarf es noch der Genehmigung durch das US-Handelsministerium. Die würden das sicher nicht blockieren, aber sowohl für Russen als auch für Chinesen (und für viele andere Länder) ist der Fakt der Abhängigkeit ICANNs von der US-Regierung ein politisches Reizthema.

Deshalb wächst nun die Spannung, wie die Obama-Regierung mit dem auslaufenden ICANN-Vertrag umgeht. Im Vorfeld haben Regierung und Kongress in Washington mehrere Anhörungen durchgeführt. Während US-Unternehmen sich mehrheitlich dafür aussprachen, das funktionierende System zu belassen, wie es ist, drückt der Rest der Welt darauf, ICANN zu internationalisieren. Mitten im Sommerloch nun bekam das US-Handelsministerium einen ziemlich eindeutigen Brief von einem für das Internet zuständigen Kongress-Ausschuss. In dem Brief empfehlen 11 demokratische und republikanische Abgeordnete die Unterstellung ICANNs unter die US Regierung dauerhaft zu verankern, d.h. auf eine "Internationalisierung" zu verzichten.

Die US-Regierung ist juristisch nicht verpflichtet, einer Empfehlung von elf Kongressabgeordneten Folge zu leisten. Internet-Kompetenz gibt es genug im Weißen Haus. Eine ehemalige ICANN-Dirketorin, Susan Crawford, ist Obamas Technlogieberaterin. Ein ehemaliger ICANN-Vizepräsident, Andrew Mc Lauglin - zwischenzeitlich bei Google -, ist stellvertretender CTO. Ob aber Obama gewillt ist, einen weiteren Konflikt mit dem Kongress aufzumachen, ist eher zu bezweifeln.

Im schlimmsten Fall könnten Chinesen und Russen ihr eigenen Cyberkapazitäten weiter aufrüsten und, basierend auf ihrer eigenen Sprache, sich ein eigenes Internet basteln, das dann mit dem Internet, wie wir es heute kennen, lediglich über (leicht kontrollierbare) Zugangsstationen verbunden wäre. Manche nennen das zynisch eine "Balkanisierung des Internet". Im besten Fall kommt eine innovative Lösung heraus bei der nicht nur die Regierungen, sondern auch die Wirtschaft, die Zivilgesellschaft und die technische Community gleichberechtigt in die Verwaltung der Internet Ressourcen einbezogen sind.

Und die Europäter? 2005 beim UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft hatten sie sich für ein "neues Internet-Kooperationsmodell" ausgesprochen. Herausgekommen war damals die Gründung des UN Internet Governance Forum (IGF), eine jährlich stattfindende hochrangige Konferenz die aber keine Entscheidungsmacht hat. Im Mai 2009 hat EU-Kommissarin Vivian Reding eine "G 12 für das Internet" vorgeschlagen. 11 Internet-Großmächte und der Präsident von ICANN sollen dann als eine Art "Weltregierung des Internet" über die kritischen Ressourcen wachen. Der Europäische Rat hat sich diesen Vorschlag noch nicht zu Eigen gemacht. Offensichtlich wartet die schwedische EU-Ratspräsidentschaft erst einmal ab, was am 30. September 2009 in Washington passiert. Schwedens Außenminister Carl Bildt gilt als ein starker Befürworter eines regierungsfreien Internet. Vor fünf Jahren war er noch der persönliche Berater von Paul Twomey, damals Präsident von ICANN.

Wolfgang Kleinwächter ist Professor für Internet Politik und Regulierung an der Univertsität Aarhus. Er ist persönlicher Berater des Vorsitzenden des UN Internet Governance Forum (IGF) und Vorsitzender des Nomination Committee bei ICANN.