Kampf in der Ukraine: Wie weit dürfen ukrainische Raketen fliegen?

ATACMS-Raketen und Abschussrampe

Bild: Mike Mareen, Shutterstock.com

Reichweite ukrainischer Raketen umstritten. Russland warnt vor Eskalation, Ukraine will grünes Licht. Bidens Entscheidung könnte Konflikt verändern.

Die Debatte um die militärische Unterstützung der Ukraine durch den Westen erreicht einen neuen Höhepunkt. Wie die New York Times berichtet, geht es im Kern darum, ob die Ukraine westliche Raketen und Marschflugkörper für Angriffe tief auf russischem Territorium nutzen darf. Die verstärkten russischen Luftangriffe auf ukrainische Städte haben diese Diskussion angeheizt.

Während in Kiew über diese Frage verhandelt wird, kommen aus Moskau deutliche Warnungen. Zudem hat die russische Armee eine Gegenoffensive gegen ukrainische Truppen im Verwaltungsbezirk Kursk gestartet.

Biden zögert, aber die Lage spitzt sich zu

US-Präsident Joe Biden hat der Ukraine bislang Grenzen gesetzt, wie weit sie Ziele in Russland mit US-ATACMS-Raketen angreifen darf, die eine Reichweite von rund 300 Kilometern haben.

Derzeit liegt die Grenze bei rund 96 Kilometern. Angesichts der jüngsten Eskalation der russischen Luftangriffe zeigte sich Biden bislang jedoch unentschlossen. Diese Situation scheint sich jetzt zu ändern. Die USA, Großbritannien und Frankreich haben bereits Raketen und Marschflugkörper an die Ukraine geliefert. Eine klare Positionierung Bidens könnte deren Aktionsradius deutlich erweitern.

Putin warnt, Selenskyj drängt

Kremlsprecher Dmitri Peskow, warnte vor Gegenmaßnahmen, sollte der Westen die Schlagkraft der Ukraine erhöhen. Putin sagte, Moskau würde einen solchen Schritt als "militärische Verwicklung in den Konflikt" betrachten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betonte dagegen die Notwendigkeit, russische Flugplätze und Militärbasen anzugreifen, "um den Terror zuverlässig zu stoppen".

Eine Frage der Reichweite

Diskutiert wird auch der Einsatz von F-16-Kampfflugzeugen, die die Ukraine im Sommer erhalten hat und die sowohl zur Luftverteidigung als auch für Angriffsmissionen eingesetzt werden könnten. Sie könnten eine entscheidende Rolle im Kampf gegen die russischen Gleitbomben spielen, die zivile und militärische Ziele in der Ostukraine treffen.

Bislang verläuft der Einsatz der ersten Maschinen allerdings schleppend, ein Jet ist bereits abgestürzt. Experten führen das auf die extrem kurze Ausbildungszeit der ukrainischen Piloten zurück.

EU und Mitgliedsstaaten warten ab

Während die USA über den Einsatz von JASSMs (Joint Air-to-Surface Standoff Missiles) mit einer Reichweite von rund 370 Kilometern nachdenken, haben Großbritannien und Frankreich bereits eigene luftgestützte Marschflugkörper an die Ukraine geliefert. Diese wurden bisher zur Bekämpfung russischer Ziele auf der Krim und im Schwarzen Meer eingesetzt.

Innenpolitische Stimmen für mehr Unterstützung

In der US-Politik mehren sich die Stimmen, die für eine Lockerung der Restriktionen plädieren. Sowohl hochrangige Militärplaner als auch ehemalige US-Diplomaten und Generäle fordern Biden auf, der Ukraine mehr Verteidigungsfreiheit zu gewähren.

Es gibt aber auch warnende Stimmen von Militär- und Sicherheitsexperten.

Eigene Fähigkeiten der Ukraine

Neben westlicher Unterstützung entwickelt die Ukraine eigene Langstreckenraketen und setzt Drohnen ein, um Ziele innerhalb Russlands zu erreichen. Diese Eigenständigkeit ist einer der Gründe, warum die USA bisher zögern, ihre Waffen für Angriffe in größerer Tiefe auf russischem Territorium freizugeben.

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Mit anderen Worten: Washington hat bisher die Risiken höher eingeschätzt als den möglichen Nutzen eines Einsatzes von Waffen aus US-Produktion gegen Ziele auf russischem Territorium. Allerdings spielen bei dieser Überlegung mehrere Faktoren eine Rolle: sowohl die inzwischen immer deutlicher zutage tretende militärische Überlegenheit der russischen Armee gegenüber der Ukraine als auch der Wahlkampf in den USA.

Die Entscheidung liegt bei Biden

Letztlich liegt die Entscheidung, inwieweit die Ukraine westliche Waffen in Russland einsetzen darf, bei US-Präsident Biden. Der Ausgang dieser Entscheidung könnte den weiteren Verlauf des Ukraine-Russland-Konflikts maßgeblich beeinflussen.

Die Entwicklung dieser Debatte bleibt von globaler Bedeutung, da sie nicht nur die unmittelbaren Kampfhandlungen, sondern auch das diplomatische Gleichgewicht zwischen den NATO-Staaten und Russland beeinflusst. Die Entscheidungen, die in den kommenden Tagen und Wochen getroffen werden, könnten einen Wendepunkt in der Konfliktdynamik markieren.

Blinken und Lammy in der Ukraine

Inmitten dieser Debatte besuchten am Mittwoch US-Außenminister Antony Blinken und sein britischer Amtskollege David Lammy die Ukraine - es war die erste gemeinsame Mission der Chefdiplomaten beider Länder seit Jahrzehnten.

Bei den Gesprächen mit hochrangigen ukrainischen Vertretern in Kiew ging es auch um eine mögliche Erlaubnis für den Einsatz westlicher Waffen gegen Ziele tief auf russischem Territorium.

Biden und Starmer diskutieren Waffeneinsatz

Blinken und Lammy betonten nach dem Gespräch mit Selenskyj, dass sie die Position der ukrainischen Regierung an Präsident Biden und den britischen Premierminister Keir Starmer übermitteln werden. Biden und Starmer werden das Thema bei einem Treffen am heutigen Freitag in Washington erörtern.

"Vom ersten Tag an haben wir uns angepasst, als sich die Bedürfnisse und das Schlachtfeld änderten", sagte Blinken und versprach, Präsident Biden über die Gespräche im Detail zu informieren. Lammy betonte, dass die Ukraine "an der Frontlinie des Kampfes für Freiheit" stehe.

Besuch in Kiew unter schwierigen Vorzeichen

Der Besuch fällt in eine Zeit, in der die Biden-Administration bemüht ist, die Unterstützung Russlands durch den Iran, Nordkorea und China einzudämmen. Gleichzeitig überschattet der US-Präsidentschaftswahlkampf den Konflikt. Biden hatte wiederholt vor den möglichen Folgen eines Wahlsiegs Trumps für die Unterstützung der Ukraine gewarnt.

Blinken kündigte unterdessen zusätzliche humanitäre Hilfe und Unterstützung für die Energieinfrastruktur der Ukraine an. Während des Besuchs ertönten Luftschutzsirenen, was die angespannte Sicherheitslage im Land unterstrich.

Zunehmende Konflikte um Waffenlieferungen

Das Treffen mit Selenskyj und dem neuen ukrainischen Außenminister Andrij Sybiga fand im Mariinsky-Palast statt, kurz nachdem Sybiga im Rahmen einer Regierungsumbildung ernannt worden war. Diese war notwendig geworden, weil mehrere Minister des bisherigen Kabinetts von Präsident Selenskyj zurückgetreten waren - was auch als Zeichen für die zunehmend problematische Lage im Krieg mit Russland gewertet wurde.

Bei dem Treffen bezeichnete Lammy die iranischen Lieferungen von ballistischen Kurzstreckenraketen an Russland als "bedeutende Eskalation". Großbritannien werde sich den USA anschließen und Sanktionen gegen Iran und Russland verhängen. Iranische Vertreter hatten Berichte über entsprechende Lieferungen dementiert, der Kreml bestritt, Waffen von anderen Staaten erhalten zu haben.

Ukraine kritisiert Mongolei und Brasilien

Selenskyj nahm auch an einer internationalen Konferenz über Gerechtigkeit teil und sagte, dass ukrainische Ermittler Beweise für 137.000 Kriegsverbrechen der russischen Streitkräfte gesammelt hätten. Er kritisierte auch die Entscheidungen der Mongolei und Brasiliens, Putin trotz des internationalen Haftbefehls gegen ihn einzuladen.