Kapitol: Abgeordnete bekommen einen Zaun
Zum Ende der Amtszeit des 45. Präsidenten der USA gibt es eine andere Barriere als die in seinem Wahlkampf versprochene Mauer zu Mexiko
Seit heute Nacht steht um das US-Kapitol in Washington ein gut zwei Meter hoher Metallzaun, den die US-Armee aufgebaut hat. Er reicht von der Constitution Avenue über die Independence Avenue und die First Avenue bis zum Teich vor dem Gebäude und soll dafür sorgen, dass keine Unbefugten eindringen. Anlass für die Errichtung dieser Befestigung war das gewaltsame Eindringen von Demonstranten am Mittwoch (vgl. Liveticker zum "Putschversuch" in Washington und US-Kongress: evakuiert statt debattiert).
Rücktritte und Memes
Weil es der Foreign Policy zufolge insgesamt 1.800 Mann umfassenden Kapitolpolizei nicht gelungen war, das zu verhindern, ist Michael Stenger, der Sicherheitschef des vorher republikanisch und nun demokratisch beherrschten Senats, gestern zurückgetreten. Paul Irving, der Sicherheitsschef des bereits vorher demokratisch beherrschten Repräsentantenhauses, will es ihm nach einer Aufforderung der dortigen Mehrheitsführerin Nancy Pelosi gleichtun. Den beiden Beamten wird unter anderem vorgeworfen, dass sie nicht schon nach der Ankündigung des "March to Save America" die Nationalgarde oder das Heimatschutzministerium um Hilfe baten, sondern erst, nachdem Demonstranten Absperrungen überwunden und Fensterscheiben eingeschlagen hatten.
Bis jetzt wurden 68 Teilnehmer der Demonstration festgenommen - es sollen aber noch mehr werden. Die US-Bundespolizei FBI veröffentlichte dazu zahlreiche Fotos von Personen und rief dazu auf, Namen und Adressen zu diesen Gesichtern zu nennen. Viele der Eingedrungenen hatten sich im Kapitol nicht nur sehr offen von Agenturfotografen ablichten lassen - sie hatten dazu auch Posen eingenommen, die Räume für Spekulationen über ihre Motivation öffneten. Aber ob der Mann, der seine Füße auf Nancy Pelosis Schreibtisch legte, damit tatsächlich zum Ausdruck bringen wollte, dass das "sein" Möbelstück ist, weil er es mit seinem Steuergeld bezahlt hat, wird sich womöglich erst in den Strafprozessen wegen Hausfriedensbruchs und anderer Vorwürfe zeigen.
In jedem Fall lieferten die Fotos aber Material für zahleiche Memes, in deren Mittelpunkt vor allem, der "Q-Anon-Schamane" steht, der Mann mit nacktem Oberkörper und einem mit Hörnern besetztem Büffelfell auf dem Kopf. Das Satiremagazin Babylon-Bee titelte zu dessen Foto am Sprecherpult: "Wahlmännergremium erfolgreich gestürzt, Büffeltyp zum neuen Präsidenten erkoren."
Deutsche Debatte um weitere Reichstagsabschottung
Weniger Anlass für Scherze bot der Tod einer 35-jährigen aus Maryland, die Fotos nach von einem Beamten der Kapitolpolizei erschossen wurde, als sie durch ein eingeschlagenes Fenster stieg. Drei weitere Menschen im Alter zwischen 34 und 55 Jahren starben seinen Angaben nach wegen "medizinischer Notfälle". Diese Vorfälle will Kapitolpolizeichef Steven Sund, der seinen Rücktritt für den 16. Januar angekündigt hat, nun intern untersuchen lassen. Insgesamt verteidigte er das Vorgehen seiner Beamten aber nicht nur, sondern bezeichnete es sogar als "heldenhaft".
Diesen Begriff verwendeten deutsche Medien und Politiker auch für drei Polizisten, die im September Teilnehmer einer Demonstration gegen die Coronamaßnahmen davon abhielten, in den Berliner Reichstag zu gelangen. Nun nehmen sie das Ereignis in den USA zum Anlass, in Deutschland weitere Maßnahmen zur räumlichen Abschottung der Abgeordneten nachzudenken.
Personen, die mit den Räumlichkeiten des Reichstags vertraut sind, halten die Gegebenheiten in Washington und Berlin aber aus architektonischen Gründen für nicht gleichsetzbar: Während beim 1823 fertiggestellten amerikanischen Parlamentsgebäude Sitzungssäle und Büros nahe beieinander liegen, sind die Arbeitszimmer in Deutschland im Regierungsviertel untergebracht, weshalb Abgeordnete dort weniger um ein Stöbern von Eindringlingen in Akten fürchten müssen und auch dann weiterarbeiten könnten, wenn der Plenarsaal besetzt wäre. Darüber hinaus ist das in den 1990er Jahren komplett umgebaute Reichstagsgebäude mit zahlreichen Sicherheitsschleusen ausgestattet, von denen jede einzelne überwunden werden müsste.
Trump: "Abscheulicher Angriff"
Donald Trump hat das Eindringen von Demonstranten in das Kapitol währenddessen in einer weiteren - und nun nicht mehr von Twitter gesperrten - Videobotschaft als "abscheulichen Angriff" verurteilt, mit dem der "Sitz der amerikanischen Demokratie beschmutzt" worden sei. Außerdem verlautbarte er, die parlamentarische Bestätigung der Wahl Joseph Bidens zu seinem Nachfolger zu akzeptieren und sich einer Übergabe der Amtsgeschäfte am 20. Januar nicht in den Weg zu stellen.
Aber er meinte auch: "Während dies das Ende der größten ersten Amtszeit in der Geschichte der Präsidentschaft darstellt, ist es nur der Beginn unseres Kampfes, Amerika wieder großartig zu machen."
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