Kein Asyl – zynischer Umgang mit Wehrdienstflüchtigen aus Russland

Denkmal des unbekannten Deserteurs in Hannover. Foto: Martina Nolte / CC BY-SA 3.0 DE

Eine unblutige Möglichkeit, die russischen Truppen in der Ukraine zu schwächen, wird nicht genutzt. Kritik an "doppeltem Spiel" deutscher Behörden. Regierungsparteien versprachen anderes.

Solidarität mit der Ukraine ist offiziell das Gebot der Stunde. Vor allem Kritik an Waffenlieferungen an das Land wird oft als Mangel an Solidarität oder sogar als Unterstützung der russischen Invasion dargestellt. An einer unblutigen Möglichkeit, die russische Kriegsmaschinerie zu schwächen, haben deutsche Behörden aber scheinbar kein Interesse. Das zeigt der Umgang mit russischen Asylsuchenden, die sich der Einberufung an die Front entziehen wollen.

Nach Informationen von Connection e.V., einer internationalen Organisation zur Unterstützung von Kriegsdienstverweigerern, lehnt das Bundesamt für Migration russische Asylsuchende mit der Begründung ab, dass deren Rekrutierung "nicht beachtlich" wahrscheinlich sei – eine deutsche Botschaft lehne dagegen Visumsanträge junger russischer Männer ab, weil sie zu dem Personenkreis gehören, "der in Russland potentiell von der Teilmobilisierung für die russischen Streitkräfte betroffen ist". Deshalb liege in absehbarer Zeit keine Rückkehrbereitschaft vor, heißt es dann zur Begründung.

Im Klartext: Wer tatsächlich damit rechnen muss, in den Krieg geschickt zu werden, den werden wir so schnell nicht wieder los, er soll also gar nicht erst kommen.

"Die deutschen Behörden betreiben ein doppeltes Spiel", betont Rudi Friedrich von Connection e.V. "Die einen sagen, es drohe keine Rekrutierung, die anderen erklären, es drohe eine Rekrutierung. Und alles nur mit dem Ziel, russische Kriegsdienstverweigerer, Militärdienstentzieher und Deserteure außer Landes zu halten und in den Asylverfahren abzulehnen", erklärte Friedrich Anfang der Woche.

Erinnerlich sind ihm Äußerungen von Mitgliedern der Regierungsparteien, die sich für den Schutz der Wehrdienstflüchtigen ausgesprochen hatten – wie Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag, Irene Mihalic. "Wer sich als Soldat an dem völkerrechtswidrigen und mörderischen Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine nicht beteiligen möchte und deshalb aus Russland flieht, dem muss in Deutschland Asyl gewährt werden", hatte Mihalic bereits im September erklärt.

Faeser hatte zumindest erklärt: "Wer sich dem Regime von Präsident Wladimir Putin mutig entgegenstellt und deshalb in größte Gefahr begibt, kann in Deutschland wegen politischer Verfolgung Asyl beantragen." Dass solche Anträge von Wehrdienstflüchtigen in der Praxis weitgehend aussichtslos sind, hatte Faeser nicht erwähnt.

Von Wegen, "Dolce Vita"

Der Umgang mit ihnen entspricht eher dem Wunsch des damaligen ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk, der im vergangenen Jahr Asyl für junge Russen, die sich dem Militärdienst entziehen, als "falschen Ansatz" bezeichnet hatte. In einem Tweet hatte er gefordert, sie sollten lieber das Regime des russischen Präsidenten Wladimir Putin stürzen, "anstatt abzuhauen und im Westen Dolce Vita zu genießen".

Diesen Umsturz stellt sich Melnyk wohl etwas einfacher vor, als er in Ermangelung einer Organisation, die alle Kriegsunwilligen vereint, tatsächlich ist; und deren Vernetzungsarbeit wird durch Repression behindert, sofern sie überhaupt gemeinsame Vorstellungen vom "Wie weiter" hätten.

Stattdessen gab es bereits Suizide junger Russen, die keine bessere Möglichkeit sahen, sich dem Töten und der Knochenmühle an der Front zu entziehen. Der russische Rapper Ivan Petunin wollte damit im Herbst des vergangenen Jahres wohl auch ein Zeichen setzen: "Ich möchte für immer in die Geschichte eingehen, als ein Mann, der das Geschehen nicht unterstützt hat", hatte der 27-Jährige laut einem Bericht des Portals Hiphop.de in seinem Abschiedsvideo erklärt. Vor der Teilmobilmachung flohen damals laut deutschen Medienberichten rund 700.000 Russen, zum Teil in arme Nachbarländer und perspektivlose Situationen.

In der deutschen Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine spielen moralische Argumente eine entscheidende Rolle: Wer dagegen ist, weil er oder sie Zweifel hat, ob sie zu einem gerechten Frieden führen oder zu einem brutalen Abnutzungskrieg, muss mit der Unterstellung charakterlicher Defizite und dem Vorwurf der Feindbegünstigung rechnen. Nach dieser Lesart gibt es keine vertretbare Alternative zu immer mehr Waffenlieferungen, wenn die Ukraine nicht dem russischen Militarismus zum Fraß vorgeworfen werden soll.

Dabei wurden unblutige Alternativen wie eine klare Willkommenskultur für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure noch gar nicht ausprobiert.