Kein Essen in den Tank!

Susanne Aigner

Konkurrenz um Ackerflächen und steigende Getreidepreise sind Gründe genug, die staatliche Förderung von Agrokraftstoffen zu beenden

Am 13. April demonstrierten Greenpeace-Aktivistinnen und -Aktivisten an der Ölmühle von ADM im Hamburger Hafen gegen die Verarbeitung von Getreide und Pflanzenölen zu Agrarkraftstoffen. Dafür befestigten sie ein riesiges Banner mit der Aufschrift "Kein Essen in den Tank!" an etwa 30 Meter hohen Silos.

Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und steigenden Getreidepreisen ist eine Diskussion darüber ausgebrochen, wie sinnvoll es ist, auf knappen Ackerflächen Pflanzen für so genannte Agrokraftstoffe – auch als Biokraftstoffe genannt – anzubauen.

Seit mehr als 15 Jahren werden in Europa herkömmlichem Diesel und Benzin Kraftstoffe aus Raps, Getreide und Palmöl beigemischt. Glaubt man der Deutschen Umwelthilfe (DUH), werden derzeit zwölf Prozent des in Deutschland verwendeten Getreides für die Produktion von Bioethanol und Biodiesel eingesetzt.

Hierzulande werden jährlich über 3,4 Millionen Tonnen Getreide und Ölpflanzen zu Agrokraftstoffen verarbeitet und fossilem Diesel und Benzin beigemischt. Allein das aus der Ukraine importierte Getreide ist Grundlage für fast 40 Prozent des in Deutschland eingesetzten Agroethanols.

Der Verbrauch von Ackerflächen für den Anbau von Energiepflanzen umfasst weltweit mehr als 1,2 Millionen Hektar. Allein in Deutschland werden auf einer Fläche von knapp einer halben Million Hektar Energiepflanzen angebaut. Weil diese Flächen nicht ausreichen, müssen die Rohstoffe importiert werden.

Ausgangsbasis für die Herstellung von Bioethanol sind entweder stärkehaltige Pflanzen wie Getreide, Kartoffeln und Mais oder zuckerhaltige Pflanzen wie Zuckerrüben, Zuckerrohr sowie zellulosehaltige Biomasse. Bei der Verarbeitung werden die Früchte und Samen von Raps, Ölpalmen, Soja und Sonnenblumen ausgepresst und die gewonnenen Öle in Raffinerien zu Kraftstoff verarbeitet.

Während in Nordamerika Stärke aus Mais genutzt wird, wird in Südamerika Zucker aus Zuckerrohr zu Biokraftstoff verarbeitet. In Europa hingegen werden hauptsächlich Getreide und Zuckerrüben genutzt.

Bei Biodiesel beträgt der Anteil von Pflanzenkraftstoff – ähnlich wie bei Biobenzin – bis zu sieben Prozent. Bei Super E10 bestehen zehn Volumenprozent des Kraftstoffs aus Ethanol. Im herkömmlichen Superkraftstoff stecken bis zu fünf Prozent Bioethanol. Bis vor kurzem boten 300 Tankstellen in Deutschland unter der Bezeichnung E 85 eine Mischung aus 85 Prozent Bioethanol und 15 Prozent Mineralölbenzin an.

Doch mit dem Wegfall der Steuervergünstigung im Jahr 2015 ist dieser Kraftstoff verschwunden. Während für Biodiesel und Bioethanol nur ein Teil der Pflanze als Rohstoff genutzt wird, um Öl oder Zucker zu gewinnen, wird bei Biokraftstoffen der zweiten Generation die ganze Pflanze zur Energieproduktion verwendet – wie zum Beispiel bei Biomethan.

Umweltbilanz von Biodiesel schlechter als von fossilen Energieträgern

Agrokraftstoffe wurden eingeführt, um die Kohlendioxid-Emissionen im Straßenverkehr zu senken und das Klima zu schützen. Offiziellen Angaben zufolge betrug die Einsparung durch die Nutzung von Agrokraftstoffen im Jahr 2020 gerade mal 9,2 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente. Durch Renaturierung könnten auf einer Fläche dieser Größe im Schnitt jährlich nahezu 16,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid gebunden werden, rechnet eine aktuelle Studie des Ifeu-Instituts vor, die von der DUH in Auftrag gegeben wurde.

Denn nicht nur durch den Einsatz von Maschinen auf dem Acker zwecks Ernte, Transport, Lagerung und Kraftstoffverarbeitung wird klimaschädliches Kohlendioxid emittiert. Hinzu kommt der künstliche Mineraldünger, der unter erheblichem Energieaufwand hergestellt wird. Auf dem Acker ausgebracht, entweicht ihm jede Menge Lachgas. Das heizt die Atmosphäre 300 Mal stärker auf als Kohlendioxid.

Auch gibt es längst Alternativen: So ist – auf die Fläche bezogen – die Gewinnung von Solarstrom aus Photovoltaik mindestens 34 Mal effizienter als die Produktion von Agrokraftstoffen. Würde die so erzeugte Kilometerleistung durch Solarstrom gedeckt, würden nur drei Prozent der entsprechenden Fläche benötigt. Statt der halben Million Hektar, die hierzulande für den Anbau von Energiepflanzen verbraucht werden, würden dafür nur knapp 36.000 Hektar benötigt.

Intensive Bewirtschaftung schadet Ökosystemen

Erhöht sich die Nachfrage nach Agrosprit, steigen entweder die Preise für Lebensmittel, oder die Gesamtanbaufläche wird ausgeweitet. Momentan ist beides der Fall.

Weil die Flächen für den Anbau von Energiepflanzen innerhalb von Europa nicht ausreichen, sind die Kraftstoffhersteller auf Rohstoffe aus Asien und Südamerika angewiesen. Die EU ist mit jährlich sieben Millionen Tonnen der weltweit zweitgrößte Importeur von Palmöl. Mehr als die Hälfte davon geht in die Produktion von Biodiesel und hydriertem Kraftstoff.

So werden für den Anbau von Soja, Palmöl oder Zuckerrohr massenhaft Regenwälder abgeholzt und brandgerodet. Dabei werden unglaubliche Mengen Kohlenstoff freigesetzt Der Sojaanbau gilt als ein der Hauptursachen für die Rodung der Regenwälder und Cerrado-Savanne in Brasilien.

Dazu kommt, dass die intensive Bewirtschaftung der Ackerflächen mit einer enormen Belastung von Boden, Wasser und Luft durch Rückstände aus Dünge- und Pflanzenschutzmitteln verbunden ist. Hinzu kommen die Treibhausgasemissionen aus der Bodenbearbeitung. Wegen des steigenden Interesses an Anbaubiomasse für Biokraftstoffe wächst die Nachfrage nach Land. Infolgedessen steigen die Preise für Boden und Ländereien.

Häufig werden wertvolle naturnahe Flächen und Habitate in Anbauflächen für Biomasse umgewandelt, heißt es in einem kürzlich veröffentlichten Dossier des Umweltbundesamtes. Das Vordringen in nicht landwirtschaftlich genutzte und schützenswerte Habitate beschleunigt den Artenverlust und befeuert die Treibhausgasemissionen.

Öl-, stärke- oder zuckerreiche Ackerfrüchte sind sowohl für die menschliche Ernährung als auch für Futterpflanzen geeignet. Damit vervielfacht sich die Nutzungskonkurrenz um vorhandene Flächen. Als Folge davon erhöhen sich die Nahrungsmittelpreise – vorwiegend im Globalen Süden. Damit einher geht die Vertreibung indigener Einwohner von ihren Ländereien sowie die Missachtung von Land- und Wasserrechten.

Privilegien für Agrardiesel abschaffen?

Weil es fossile Energieträger subventioniert, stehe die Steuervergünstigung für Agrardiesel im Widerspruch zum Ziel des Klimaschutzes, erklärt das Umweltbundesamt (UBA). Die Agrardieselvergünstigung in Höhe von 21,48 Cent je Liter sollte darum abgebaut werden, ebenso die Befreiung landwirtschaftlicher Fahrzeuge von der Kraftfahrzeugsteuer. Dies beträfe ein Subventionsvolumen von 470 Millionen Euro pro Jahr.

Die Steuerbefreiung verstärke den Trend, immer schwerere Maschinen in der Landwirtschaft einzusetzen, heißt es von Seiten des Umweltbundesamtes. Dies sei umwelt- und klimaschädlich, erhöhe den Kraftstoffverbrauch und schädige und verdichte landwirtschaftlich genutzte Böden. Mit den Steuermehreinnahmen aus dem Abbau der Agrardieselvergütung und der Kfz-Steuerbefreiung sollten besser ökologische Leistungen der Landwirtschaft stärker honoriert werden.

Die Behörde fordert die Bundesregierung dazu auf, die Befreiung landwirtschaftlicher Fahrzeuge von der Kfz-Steuer aufheben. Mit dieser Forderung stieß das UBA auf Kritik von Seiten der Agrarbranche. Es handele sich hierbei nicht um eine Subvention, sondern um einen "Teilausgleich für eine massive Benachteiligung", erklärte etwa DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. In Frankreich und Polen seien die Steuersätze deutlich niedriger.

Um fast eine Milliarde Euro würde die Steuerlast der deutschen Landwirte allein beim Diesel steigen. Deutsche Landwirte aber – ob öko oder konventionell – brauchen gleiche Wettbewerbsbedingungen. Die Landwirtschaft werde aus dem eigenen Land vertrieben, ärgerten sich die Landwirte. Werde die Steuervergünstigung abgeschafft, würden auch die Lebensmittel deutlich teurer werden, wird argumentiert.

Für ein Ende der staatlichen Agrokraftstoff-Förderung

Allen Einwänden zum Trotz beschloss die EU-Kommission, auf der Grundlage einer EU-Richtlinie vom Dezember 2018 die Verwendung von Palmöl in Dieselkraftstoff ab 2023 schrittweise zu reduzieren und bis 2030 zu beenden. Demnach dürfen die Hersteller ab dem kommendem Jahr kein Palmöl mehr nutzen. So sind Treibstoffhersteller seit Ende September 2021 verpflichtet, den Anteil der klimaschädlichen Emissionen ihrer Kraftstoffe kontinuierlich zu senken.

Um eine Ausweitung der Anbauflächen für Agrokraftstoffe zu verhindern, schreibt die EU inzwischen eine Deckelung bei der Verwendung von Palmöl vor. Auch Sojaöl sollte aus dem Kraftstoff ausgeschlossen werden, fordert die Initiative "Rettet den Regenwald".

Die Beimischung von Palm- und Sojaöl im Biokraftstoff kann allerdings schon viel früher beendet werden. Bereits im Dezember 2018 beschloss die französische Nationalversammlung, Palmöl bis 2020 aus dem Biosprit zu verbannen. Diesem Beispiel könnte Deutschland nun folgen.

Prinzipiell soll der Mindestanteil erneuerbarer Energien im Verkehr von zehn Prozent im Jahr 2020 auf 14 Prozent bis 2030 steigen. Mindestens die Hälfte davon sollen mit Biomasse aus Rest- und Abfallstoffen produziert werden.

Es sei nicht vertretbar, weiter Getreide und andere Lebensmittel in Autotanks zu füllen, während in Ländern im Nahen Osten und in Afrika Hungersnöte drohen, erklärte DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner. Diese Fläche müsse dem Anbau von Nahrungsmitteln zur Verfügung stehen. Bereits vor dem Ukraine-Krieg war die Beimischung von Agrokraftstoffen aus Getreide, Raps & Co. zu fossilem Sprit eine Katastrophe für Klima und die Biodiversität.

Angesichts der drohenden Nahrungsmittelkrise ist das Verbrennen von potenziellen Lebensmitteln verantwortungslos. Ohnehin werden nun auf Grund der aktuellen Kriegssituation wohl große Mengen Getreide aus der Ukraine und aus Russland ausbleiben.

Um das Verbrennen von Lebensmitteln für sogenannte Agrokraftstoffe umgehend zu stoppen, startete die DUH eine Petition, in der sie Bürger und Bürgerinnen auffordert, eine entsprechende Protest-Mail an Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zu schreiben.