Kein Kurz-Schluss in Österreich: Rücktritt geht anders

Dürfte viele Strippen in der Hand behalten: ÖVP-Chef und Klubobmann Sebastian Kurz. Foto: Karl Gruber / CC BY-SA 4.0

Der farblose Außenminister Alexander Schallenberg soll Sebastian Kurz als Kanzler ablösen. Kurz tritt einen "Schritt zur Seite", bleibt aber ÖVP-Vorsitzender und Klubobmann

Geahnt hatte es wohl die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner. Als die Sozialdemokratin am Freitag angesichts der Korruptionsermittlungen gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im ORF-Fernsehstudio gefragt wurde, welche Wege aus der Krise und welche Koalitionsmöglichkeiten sie sähe, antwortete sie schulterzuckend. Die Grünen würden höchstwahrscheinlich weitermachen und nichts an Stil und Vorgehensweise der Koalition mit der ÖVP ändern, meinte Rendi-Wagner. Ein zu diesem Zeitpunkt noch ungewöhnlich pessimistisches Bild der Lage.

Beobachter mussten davon ausgehen, dass sich die grünen und türkisen Koalitionäre in einen vollständigen Patt begeben hatten. Einerseits betonte die ÖVP, nur mit Kurz weiter regieren zu wollen, die Grünen hingegen sahen keine Zukunft für Kurz als Kanzler. Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament wäre allerdings eine Koalition der Grünen gegen die ÖVP nur mit Hilfe der FPÖ möglich gewesen.

Keine parlamentarischen Optionen

Der Vorsitzende der FPÖ, Herbert Kickl, genoss die ihm dadurch geschenkte Aufmerksamkeit sichtlich. Kickl ist ein stramm rechter Politiker, der durchaus dem Rechtsextremismus zuzuordnende Haltungen vertritt. In der ÖVP-FPÖ Koalition, die im Jahr 2019 durch das "Ibiza-Video" implodierte, war er Innenminister gewesen. Unmittelbar nach Bekanntwerden des Videos, in dem der damalige FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache in einer angesoffenen Träumerei genau das Regierungsverständnis präsentierte, das Sebastian Kurz damals vermutlich schon lebte, ließ die ÖVP Kickl per Bundespräsident aus dem Amt entfernen.

Obgleich Kickl, dem fraglos vieles anzulasten wäre, in keinem direkten Zusammenhang mit den Vorgängen auf Ibiza stand. Aber ein Innenminister könne nicht die Ermittlungen gegen die eigene Partei kontrollieren, meinte die ÖVP, vom damals noch hohen moralische Ross herab. Diese Entmachtung hat Kickl der ÖVP nie verziehen. Wenn er jedwede Koalition mit der Kurz-ÖVP ausschloss, dann durfte man ihm dies glauben.

Jeder weiteren Spekulation über eine Regierung aus SPÖ, Grünen und den neoliberalen NEOS erteilte er ebenso eine Absage. Nur mit der FPÖ an der Regierung könne es eine Mehrheit gegen Kurz geben. Der Impfskeptiker Kickl gemeinsam mit der Epidemiologin Rendi-Wagner von der SPÖ und den Grünen: undenkbar. Damit war der Wiener Politszene klar, dass es keine parlamentarische Lösung geben konnte.

Vielsagendes Wording

Unklar ist aktuell, wie der Wechsel des bisherigen Außenministers Alexander Schallenberg ins Kanzleramt überhaupt zu verstehen ist. Die türkise Bewegung des Sebastian Kurz ist in ihrem Kern eher eine gewiefte Werbeagentur als eine Parlamentspartei. Deshalb lässt die ÖVP ja auch so gerne wählen, im Schnitt alle zwei Jahre seit Kurz die Partei übernahm. Fraglos liegt ihr der Wahlkampf mehr als die zähe Regierungsarbeit.

Die türkise und medial gut geschulte ÖVP wählt ihre Worte somit mit Bedacht und stets auf Werbewirksamkeit zielend. Wenn die Kurz-Vertraute und Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger mitteilt, Kurz sei aus "Verantwortung für das Land" (…) "einen Schritt zur Seite getreten" und Schallenberg werde die "Funktion des Bundeskanzlers" übernehmen, dann steckt in diesem Wording schon alles, was das Publikum wissen soll.

Zum Mitschreiben: Kurz ist nicht zurückgetreten. Er behält auch weiterhin den Parteivorsitz und übernimmt die wichtigste Funktion im Parlament, die des Klubobmanns – also nach bundesdeutscher Lesart den Fraktionsvorsitz. Es war auch nur ein "Schritt zu Seite", der leicht korrigiert werden kann und Schallenberg übt nur die "Funktion" aus. "Kanzler der Herzen" wird Kurz bleiben und vermutlich Redezeit und Inhalte mit dem neuen Kanzler Schallenberg absprechen.

Der Jurist und Diplomat Alexander Schallenberg ist ein Überbleibsel aus der Übergangsregierung Bierlein, die eingesetzt wurde, nachdem 2019 das Parlament Kurz das Misstrauen ausgesprochen hatte. Schallenberg ist noch nie in den Verdacht gekommen, sich übermäßig zu beschweren, wenn mit ihm "Schlitten gefahren" wurde und eignet sich somit vorzüglich für die Rolle des Zwischenkanzlers.

Die möglichen Folgen des Wechsels

Die in der Koalition leidgeprüften Grünen können nun, wenn ihnen der Sinn danach steht, einen Erfolg verbuchen. Schließlich haben sie Kurz aus dem Amt entfernt und werden hoffen, dass dessen Strahlkraft nun sinkt. Sie müssen aber auch mit der Vendetta der ÖVP rechnen. Die mächtigste und bestvernetzte Partei des Landes wird Mittel und Wege finden, um es ihnen mit entsprechender Münze heimzuzahlen.

Ein Teil des Planes der türkisen ÖVP ist längst aufgegangen. Die schwerwiegenden Vorwürfe gegen Kurz sind längst zu einem politischen Streitfall geworden. Eine nüchterne Beurteilung des politischen und moralischen Versagens von Sebastian Kurz ist somit bereits weitgehend ausgeschlossen.

Die ÖVP wird auf die strafrechtlichen Ermittlungen verweisen, die auf Jahre hin wenig konkrete Ergebnisse erzielen werden, weil Ermittlungen dieser Art einfach hochkomplex sind. Der längst durch Chatprotokolle eindeutig belegte Politikstil von Kurz, der von maßloser Intrige und erbarmungslosem Ringen um das eigene Vorankommen geprägt ist, wird einfach weggelächelt. In den Worten des Ex-Kanzlers Kurz: Heute würde er vieles nicht mehr so sagen. Ob dieser Zuwachs an Verschlagenheit dem Land nützt, darf als fraglich gelten.

Die Grünen sitzen hingegen im staatspolitischen Verantwortungseck. Sie mussten "Chaos" verhindern und verantwortungsvoll das anstehende Budget und die Steuerreform retten. Unterm Strich könnte dies bedeuten, sie retten die Durchsetzung der ÖVP-Politik und werden dafür gescholten, Kurz, dem Strahlemann und Kanzler in Wartestellung, wehgetan zu haben.

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